Um Lokführer*in werden zu können, muss für die gesamte Dauer der Ausbildungszeit eine gesundheitliche Eignung vorliegen. © Adobe Stock: elmar gubisch
Um Lokführer*in werden zu können, muss für die gesamte Dauer der Ausbildungszeit eine gesundheitliche Eignung vorliegen. © Adobe Stock: elmar gubisch

Seine Eignung für den Ausbildungsberuf des Triebfahrzeugführers hatte der Kläger nachgewiesen. Eine Psychologin und der Bahnarzt stellten diese vor Beginn des Ausbildungsverhältnisses fest. Auch der Hausarzt des Klägers bestätigte die Tauglichkeit des jungen Mannes.

 

Gut ein Jahr später sah das anders aus

 

Der Arbeitgeber gab eineinhalb Jahre nach Beginn des Ausbildungsverhältnisses ein Gutachten zur Feststellung der psychologischen Entwicklung des Auszubildenden in Auftrag. Auf Grund der dort erhobenen Daten sollte der Kläger aus psychologischer Sicht für seinen Ausbildungsberuf nicht geeignet sein.

 

Die beauftragte Psychologin hatte ein Gespräch mit dem Kläger geführt, einen standardisierten Fragebogen verwandt und darüber hinaus schriftliche und computergestützte Leistungsdiagnosetests durchgeführt. Daraus ergab sich deren Auffassung nach eine Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADS) mit weiteren Auffälligkeiten, was zur Nichteignung des Klägers führen sollte.

 

Ein Privatgutachten sollte die Ergebnisse erhärten

 

Der Arbeitgeber ging der Sache weiter nach und gab zusätzlich eine medizinisch-ärztliche Untersuchung bei einem Privatinstitut in Auftrag. Auch dieses ergab, dass der Kläger dauerhaft nicht geeignet für die Tätigkeit als Lokführer sei.

 

Eine ergänzende medizinische Begutachtung hielt das Institut nicht für erforderlich. Die anlassbezogene Untersuchung habe der Arbeitgeber aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten am Arbeitsplatz in Auftrag gegeben. Er könne darüber hinaus auf das Ergebnis der psychologischen Untersuchung verweisen, wonach der Kläger „dauerhaft untauglich“ sei.

 

Wegen fehlender Eignung kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrates fristlos. Der Betriebsrat hatte im Vorfeld nicht zugestimmt. Ihm waren nur die Ergebnisse der Gutachten bekannt gegeben worden, weiter nichts. Das Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss bei der IHK hatte zuvor erfolglos geendet.

 

Der Auszubildende erhob Klage

 

Der Kläger wandte sich unterstützt durch die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Kiel arbeitsgerichtlich gegen diese Kündigung. Er bestritt ausdrücklich das Vorliegen der vom Arbeitgeber behaupteten psychischen Erkrankung. Darüber hinaus legte er einen ärztlichen Bericht vor, aus welchem sich ergab, dass aus jugendpsychiatrischer Sicht nichts gegen eine Fortführung der Ausbildung spreche.

 

Der Kläger war der Ansicht, er sei keineswegs dauerhaft dienstuntauglich. Das vom Arbeitgeber eingeholte Gutachten des Privatinstituts habe den Umstand, dass er ein Auszubildender sei, nicht hinreichend berücksichtigt. Im Übrigen sei der Beweiswert des Gutachtens erschüttert. Die Gutachter hätten einerseits widersprüchliche Angaben gemacht und andererseits den Kläger vor Beginn der Ausbildung noch für tauglich befunden.

 

Die Beklagte hätte die Gesamtumstände in die abschließende Beurteilung einbeziehen müssen. Auch etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten habe der Arbeitgeber außer Betracht gelassen.

 

Die Beklagte hielt das Gutachten des Privatinstituts für verbindlich

 

Im gerichtlichen Verfahren blieb die Beklagte bei ihrer Auffassung, wonach der Kläger für den Ausbildungsberuf des Triebfahrzeugführers nicht geeignet sei. Das beim Privatinstitut eingeholte Gutachten stelle ein für das Eisenbahnbundesamt verbindliches Dokument dar. Bei diesem Gutachten handele es sich um eine Urkunde, deren Beweiswert das Gericht berücksichtigen müsse. Nun sei die Reihe am Kläger, der seinerseits beweisen müsse, dass das Gutachten nicht zutreffe. Die Beweislast liege beim Kläger.

 

Nein, sagt das Gericht. Die Beklagte bleibt weiter beweispflichtig dafür, dass der Kläger für den Ausbildungsberuf nicht geeignet ist.

 

Ausbildungsverhältnisse dürfen nur aus wichtigem Grund gekündigt werden

 

Gemäß § 22 Abs. 2 Nummer 1 BBiG könne das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit nur aus einem wichtigen Grund fristlos gekündigt werden. Ein wichtiger Grund sei gegeben, wenn Tatsachen vorlägen, aufgrund derer dem*der Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden könne.

 

Eine dauerhafte Dienstuntauglichkeit und die dadurch bedingte Unmöglichkeit, das Ausbildungsziel zu erreichen, könne einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen.

 

Die Beklagte habe diese Voraussetzungen nicht nachgewiesen. Ein privates Gutachten, das in ein Verfahren eingebracht werde, stelle lediglich einen Parteivortrag dar, nicht jedoch einen Beweis.

 

Das Gerichtsgutachten blieb unergiebig

 

Zwar habe ein vom Gericht eingeholtes weiteres Sachverständigengutachten ergeben, dass das Privatinstitut bei der Erstellung seines Gutachtens formell korrekt vorgegangen sei. Auch das Ergebnis des Arbeitgebergutachtens sei vertretbar. Allerdings lasse sich daraus keineswegs der Schluss ziehen, der Kläger zeige Persönlichkeitsmerkmale, die zu einer dauerhaften Nichteignung führten. Das Privatinstitut habe den Aspekt der Jugendlichkeit des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt. Es erschließe sich auch nicht, weshalb der Kläger dauerhaft ungeeignet sein solle.

 

Das Privatinstitut habe neben der Ankreuzmöglichkeit „nicht geeignet“ auch die Variante „aktuell bzw. derzeit nicht geeignet“ gewählt. Daraus lasse sich durchaus schließen, dass nicht von einer dauerhaften Nichteignung ausgegangen werden könne.

 

Das Gesetz regelt den Urkundsbeweis

 

Bei dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Privatinstituts handele es sich um keinen Urkundsbeweis. Diesen regele § 416 Zivilprozessordnung. Danach begründen die von den jeweiligen Ausstellern unterschriebenen Privaturkunden vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind.

 

Selbst wenn die gerichtliche Sachverständige die Diagnose des beauftragten Privatinstituts zweifelsfrei bestätigt hätte, sei der Beklagten der Nachweis einer dauerhaften Untauglichkeit des Klägers nicht gelungen. Die Beklagte habe schon nicht ausreichend dargelegt, dass die von ihr behaupteten betrieblichen Auffälligkeiten des Klägers tatsächlich vorlägen. Das wäre aber notwendig gewesen, um eine dauerhafte Untauglichkeit zu begründen.

 

Die Beklagte werfe dem Kläger vor, die Unwahrheit zu sagen und einen „Hang zum Lügen“ zu haben. Diese betrieblichen Auffälligkeiten hätten schon bei dem früheren Gutachten eine Rolle gespielt. Dazu habe sich auch die Gerichtsgutachterin geäußert. Die Diagnose der dauerhaften Untauglichkeit und damit das Ergebnis des Privatgutachtens seien demnach noch weniger nachvollziehbar, wenn sich bestätigen würde, dass die behaupteten betrieblichen Auffälligkeiten nicht vorlägen.

 

Die Darlegungs- und Beweislast lag weiter bei der Beklagten

 

Die für die Diagnose einer Nichteignung zwingend erforderlichen betrieblichen Auffälligkeiten habe die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Sie habe lediglich pauschal auf ein auffälliges Verhalten des Klägers hingewiesen. Das reiche nicht aus.

 

Das Gericht hierüber keinen Beweis erheben müssen. Eine Beweiserhebung durch Vernehmen eines Zeugen würde auf einen sogenannten „Ausforschungsbeweis“ hinauslaufen.

 

Ein Ausforschungsbeweis ist ein Beweisantrag, der darauf abzielt, durch die beantragte Beweisaufnahme Tatsachen in Erfahrung zu bringen, die einen genaueren Vortrag oder die Benennung weiterer Beweismittel durch eine*n Beklagte*n erst ermöglichen.

 

Fehle es an der Darlegung hinreichend konkreter Tatsachen und diene die Beweiserhebung erst dazu, gegebenenfalls die Grundlagen für eine aussagekräftige Tatsachenbehauptung zu erhalten, sei der Beweisantritt als Ausforschungsbeweis unzulässig, so das Arbeitsgericht.

 

Das Gericht hatte keine Hinweispflicht

 

Das Gericht habe den Arbeitgeber im Rahmen des Verfahrens nicht gesondert darauf hinweisen müssen, dass es weiteren Sachvortrag für erforderlich halte.

 

Eine Hinweispflicht mit der Gelegenheit zur Stellungnahme bestehe nur, wenn eine Partei einen relevanten Gesichtspunkt erkennbar übersehen habe oder das Gericht ihn anders beurteile als beide Parteien. Die Beklagte hätte ohne gerichtlichen Hinweis ausreichend Anlass gehabt, den eigenen Vortrag zu ergänzen. Der Kläger habe im Rahmen des Verfahrens mehrfach darauf hingewiesen, dass die Darlegungen der Beklagten nicht ausreichten.

 

Schließlich sei zwar der Betriebsrat vor der Kündigung angehört worden, aber nicht umfassend. Die Beklagten habe die von ihr behaupteten betrieblichen Auffälligkeiten dem Betriebsrat nicht mitgeteilt, sondern nur die Ergebnisse der Eignungsprüfung.

 

Die Kündigung sei daher unwirksam.

 

Dem Weiterbeschäftigungsantrag gab das Gericht nicht statt

 

Der Kläger habe keinen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung, so das Arbeitsgericht.

 

Außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründe die Ungewissheit über den Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des*der Gekündigten. Dieses Interesse überwiege in der Regel das Beschäftigungsinteresse des*der Betroffenen bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein Urteil ergehe, das die Unwirksamkeit der Kündigung feststelle.

 

Solange anschließend ein solches Urteil bestehe, könne die Ungewissheit des Prozessausgangs ganz für sich allein das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung dann nicht mehr begründen. In dem Fall müssten zusätzliche Umstände hinzukommen.

 

Das sei hier der Fall. Zwar gingen die Zweifel an der (Un-)Tauglichkeit des Klägers zulasten der Beklagten. Im Zusammenhang mit der begehrten vorläufigen Weiterbeschäftigung wirkten sich diese Zweifel aber zulasten des Klägers aus, da sein Arbeits- und Ausbildungsbereich auch die öffentliche Personenbeförderung betreffe und etwaige gesundheitliche Einschränkungen die Gesundheit und gegebenenfalls das Leben anderer gefährden könnten.

 

So sieht es aus

 

Für die Dauer des fast zweijährigen Prozesses war der Kläger nicht beschäftigt worden. Trotz des positiven Urteils des Arbeitsgerichts muss die Beklagte den Kläger vorerst weiterhin nicht beschäftigen. Ob die Gegenseite Berufung einlegt, ist noch offen.

 

Christian Klein vom Rechtsschutzbüro Kiel empfahl seinem Mandanten nun seinerseits ein eigenes Gutachten erstellen zu lassen und das dem Arbeitgeber vorzulegen. Bleibt zu hoffen, dass die Sache damit ausgestanden sein wird.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Kiel.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 416 ZPO

§ 416 Beweiskraft von Privaturkunden
Privaturkunden begründen, sofern sie von den Ausstellern unterschrieben oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet sind, vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von den Ausstellern abgegeben sind.