Kann man sich von der Arbeit erholen, während man eine andere ausübt? Der EUGH sagt „Nein“. Copyright by Adobe Stock/ photoschmidt
Kann man sich von der Arbeit erholen, während man eine andere ausübt? Der EUGH sagt „Nein“. Copyright by Adobe Stock/ photoschmidt

Ein rumänisches Gericht wollte vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wissen, ob es mit europäischem Recht vereinbar ist, wenn Beschäftigte über die gesetzliche Arbeitszeit von 13 Stunden hinaus beschäftigt sind. Die Antwort aus Luxemburg war eindeutig.
 

Akademie beschäftigt Arbeitnehmer mit mehreren Verträgen

Vorausgegangen war ein Rechtsstreit zwischen der Akademie für wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge in Bukarest und dem rumänischen Bildungsministerium. Letzteres hatte sich geweigert, abgerechnete Arbeitsstunden eines Forschungsprojektes zu erstatten, da diese über der zulässigen Höchstarbeitszeit von 13 Stunden lagen.
 
Während der Laufzeit des vom Ministerium bewilligten Projekts hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur für dieses, sondern auch für andere Projekte gearbeitet. So hatten sie die vorgegebene Obergrenze überschritten.
 
Das Landgericht Bukarest als entscheidendes Gericht hatte daraufhin dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die tägliche Mindestruhezeit sich auf jeden einzelnen Arbeitsvertrag bezieht oder auf sämtliche mit dem Arbeitgeber geschlossene Arbeitsverträge.
 

EuGH: Ruhezeit muss eingehalten werden

Der Gerichtshof entschied nun, dass die tägliche Mindestruhezeit, wenn ein Arbeitnehmer mit demselben Arbeitgeber mehrere Arbeitsverträge geschlossen hat, für diese Verträge zusammengenommen und nicht für jeden dieser Verträge für sich genommen gilt.
 
Er verweist dazu auf die Regelung der Arbeitszeitrichtlinie, nach der die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.
 
Dabei sei „Ruhezeit“ als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit definiert. Diese sei aber nur gewährleistet, wenn man nicht die Ruhezeiten für jeden Vertrag zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber getrennt prüft.
 

Nur einheitliche Betrachtung gewährleistet Arbeitsschutz

Bei separater Betrachtung müsste man Zeiten, die in Bezug auf einen Vertrag als Arbeitszeit gelten, als Ruhezeit werten. Dies sei aber nicht möglich, da ja Ruhezeit gerade als die Zeit definiert sei, die außerhalb der Arbeitszeit liegt.
 
Dieses Ergebnis werde auch der Zielsetzung der Richtlinie gerecht, wonach sie Mindestvorschriften festlegen soll, um die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer*innen zu verbessern. Diese Verbesserung werde nicht erreicht, wenn die Mindestruhezeit durch eine separate Betrachtung einzelner Arbeitsverträge unterlaufen werde.
 
Das Ziel, die Höchstarbeitszeit insbesondere durch eine Mindestruhezeit zu begrenzen, habe als Regel des Sozialrechts der Union nicht nur besondere Bedeutung, sondern sei außerdem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verbürgt.


Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 17. März 2021
 
Links
Pressemitteilung des EuGH
 
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EuGH: Bereitschaftszeit kann Arbeitszeit sein

Europäischer Gerichtshof verpflichtet Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung

Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des EuGH ist so vorhersehbar wie richtig. Unabhängig von juristischer Struktur und Terminologie war schlicht die Frage zu entscheiden, ob man es tatsächlich für möglich hält, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich von ihrer Arbeit entspannen, indem sie einer anderen nachgehen.

EuGH: entweder „Arbeitszeit“ oder „Ruhezeit“

Nur dann wäre das Arbeitszeitmodell der Akademie zu halten gewesen, das zu einer Überschreitung der ohnehin schon hohen Höchstarbeitszeit von 13 Stunden geführt hat. Man darf sich das so vorstellen: Wissenschaftlerin A beginnt ihre Arbeit morgens um 9:00 Uhr und arbeitet – mit einer Pause – bis 16:00 Uhr an dem Forschungsprojekt F1. Nach einer weiteren Pause beginnt sie um 17:00 Uhr mit der Arbeit an einem anderen Forschungsprojekt F2 und macht um 23:00 Uhr Feierabend.

Zwischen 23:00 Uhr und 9:00 Uhr am Folgetag liegen nur 10 Stunden, sodass ein Verstoß gegen das EU Arbeitszeitrecht vorliegt. Anders wäre dies zu werten, wenn man davon ausging, dass sich die Wissenschaftlerin bereits ab 16:00 Uhr von F1 und bis 16:00 Uhr am Folgetag von F2 erholt.

Dieser Betrachtung schiebt der EuGH mit dem Argument einen Riegel vor, das Arbeitszeitrecht kenne nur „Arbeitszeit“ oder „Ruhezeit“, keine Zwischenformen. Diese formell anmutende Betrachtung, die der EuGH erst kürzlich in seiner Entscheidung zur Bereitschaftszeit bekräftigt hat, hat aber auch seine inhaltliche Richtigkeit. EuGH: Bereitschaftszeit kann Arbeitszeit sein


Ruhezeit schützt vor übermäßiger Fremdbestimmung

Mit Sicherheit jedenfalls dann, wenn sich die Tätigkeiten nicht sonderlich unterscheiden. So wie in diesem Fall, in dem es sich um wissenschaftliche Forschung beim selben Arbeitgeber handelt.

Theoretisch denkbar ist natürlich auch ein Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Tätigkeiten, also körperlicher und geistiger Arbeit. Aber selbst, wer vormittags Schriftsätze fertigt und nachmittags Steine schleppt, dürfte sich kaum während der einen Arbeit von der anderen erholen.

Dies liegt im Wesentlichen daran, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fremdbestimmt tätig und eben nicht über ihre Zeit verfügen können. Der damit einhergehende Zeit- und Leistungsdruck soll durch die Ruhezeit ausgeglichen werden. Sie muss deswegen täglich mindestens elf Stunden betragen, in denen nicht gearbeitet wird. Auch wenn das Urteil im Ergebnis keine Überraschung ist, so ist es dennoch gut, dass der EuGH diesen Grundsatz noch einmal klar herausgearbeitet hat.

Rechtliche Grundlagen

Artikel 3 Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

Tägliche Ruhezeit: Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.