Wer schnell wie die Feuerwehr einsatzbereit sein muss, für den zählt Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit. Copyright b y Adobe Stock/ Sven Grundmann
Wer schnell wie die Feuerwehr einsatzbereit sein muss, für den zählt Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit. Copyright b y Adobe Stock/ Sven Grundmann

Mit einer aktuellen Entscheidung stärkt der Europäische Gerichtshof (EuGH) erneut die Position der Beschäftigten im Hinblick auf Ihre Arbeitszeit.
 

Arbeitszeit, wenn Freizeitgestaltung erheblich eingeschränkt ist

Denn er erklärt auch solche Zeiten für Arbeitszeit, in denen die Arbeitnehmer*innen aufgrund der ihnen auferlegten Einschränkungen objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigt sind, sich ihren eigenen Interessen zu widmen.
 
Dabei sind nach Einschätzung des EuGH nur solche Einschränkungen zu berücksichtigen, die der/dem Arbeitnehmer*in durch nationale Rechtsvorschriften, Tarifvertrag oder ihren/seinen Arbeitgeber*in auferlegt werden.
 
Unerheblich seien dagegen organisatorische Schwierigkeiten, welche die Bereitschaftszeit infolge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung der/des Arbeitnehmer*in mit sich bringt, etwa wenn sie/er das erreichbare Gebiet nur wenige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten bietet.
 

Erleichterungen sind zu berücksichtigen

Ob es sich bei der Bereitschaft tatsächlich um Arbeitszeit handelt, müssten die nationalen Gerichte unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Allein die Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu verlassen, führe noch nicht dazu, dass es sich um Ruhezeit handelt.
 
Vielmehr müsse geprüft werden, ob es der/dem Beschäftigten möglich sei, ihren/seinen Arbeitsplatz innerhalb einer angemessenen Frist zu erreichen. Zu berücksichtigen sei, ob die/der Arbeitnehmer*in mit einer speziellen Ausrüstung am Arbeitsplatz zu erscheinen hat. Erheblich ist auch, ob ihr/ihm beispielsweise durch Bereitstellung eines Dienstfahrzeugs mit Sonderberechtigung die Anfahrt zum Arbeitsplatz erleichtert werde.
 
Die nationalen Gerichte hätten außerdem bei der Entscheidung zu berücksichtigen, wie oft die/der Arbeitnehmer*in während ihrer/seiner Bereitschaftszeiten tatsächlich zum Einsatz gerufen wird.
 

Geklagt hatte auch ein Feuerwehrmann aus Hessen

Der Entscheidung des Gerichts lagen zwei Vorabentscheidungsverfahren zu Grunde, in denen es jeweils um die Anerkennung und Vergütung von Arbeitszeit ging. In dem einen Verfahren hatte ein deutscher Feuerwehrmann geklagt, im anderen ein slowenischer Fernmeldetechniker.
 
Der Feuerwehrmann war als Beamter bei der Stadt Offenbach am Main tätig. Während der Rufbereitschaft musste er sich zwar nicht an einem bestimmten Ort aufhalten, im Alarmfall musste er aber binnen 20 Minuten in Einsatzkleidung mit dem Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen erreichen.
 
Der Fernmeldetechniker war damit betraut, über Tage hinweg den Betrieb von Fernsehsendeanlagen in den slowenischen Bergen sicherzustellen. Er arbeitete täglich zwölf Stunden in den Sendeanlagen; weitere sechs Stunden täglich musste er telefonisch erreichbar und in der Lage sein, innerhalb einer Stunde dorthin zurückzukehren.
 
Da die Sendeanlagen jedoch nur schwer zugänglich waren, war er faktisch gezwungen, sich während dieser Zeit in einer von seiner Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft aufzuhalten, die nur wenige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung bot.
 

Keine Entscheidung zur Vergütung

Offen blieb hingegen die Frage, ob und in welcher Form die Bereitschaftszeit zu vergüten ist. Die für die Entscheidung maßgebliche Richtlinie 2003/88 enthält hierzu keine Regelungen, weil die Europäische Union insofern keine Zuständigkeit erhalten hat.
 
Der EuGH weist aber darauf hin, dass die Richtlinie es nicht verbiete, wenn nationales Recht  - sei es durch Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag  - Zeiten der Bereitschaft geringer vergüte als Zeiten regulärer Arbeit.
 
Der Richtlinie stehe es allerdings auch nicht entgegen, wenn Beschäftigte für Bereitschaftszeiten, die nicht als „Arbeitszeit“ eingestuft werden können, einen finanziellen Ausgleich für die durch diese verursachten Unannehmlichkeiten erhalten.
 

EuGH führt Rechtsprechung zu Bereitschaftszeit fort

Mit der Entscheidung führt der EuGH seine Rechtsprechung zur Bereitschaftszeit fort. Bereits im Februar 2018 hatte er dem belgischen Feuerwehrmann Rudy Matzak Recht gegeben, der ebenfalls auf Anerkennung von Bereitschaftsdiensten geklagt hatte.
 
Während seines Bereitschaftsdienstes musste er zum einen innerhalb von acht Minuten am Einsatzort sein, zum anderen musste er an einem von Arbeitgeber festgelegten Ort präsent sein.
 
Der EuGH klassifizierte diesen Zustand als Arbeitszeit. Auch wenn sich der Feuerwehrmann in seiner eigenen Wohnung aufhalten könne, sei er kaum in der Lage, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen.
 
Links
Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs

Volltext der Urteile Gerichtshof der Europäischen Union, Urteile vom 9. März 2021

C-344/19 (D.J./Radiotelevizija Slovenija)

C-580/19 (RJ/Stadt Offenbach am Main)
 
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Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des EuGH stärkt die Rechte der Beschäftigten nicht nur in Deutschland. Denn der EuGH setzt den Fokus auf das Wesen der Arbeitszeit und damit des Arbeitsverhältnisses als solches: Die Fremdbestimmtheit. Arbeitszeit ist eben nicht nur die Zeit, in der tatsächlich „gearbeitet“ wird, sondern jede Zeit, in der die/der Arbeitnehmer*in der/dem Arbeitgeber*in zur Verfügung steht und eben nicht ihren/seinen eigenen Interessen nachgehen kann.

Arbeitsverhältnis ist geprägt von Fremdbestimmung

Ganz deutlich ist dies – grade in Zeiten der Pandemie – wenn wegen Auftragseinbruch nichts zu tun ist. Denn ob tatsächlich etwas zu tun ist, unterfällt dem Betriebsrisiko des Unternehmers, wie das BGB schon seit über 120 Jahren festlegt.

Aber auch in Zeiten von Bereitschaft kann die Situation entstehen, dass Beschäftigte zwar aktuell keine produktive Arbeit erbringen, die Zeit aber auch für sich selbst nicht produktiv nutzen können. Hier hat der EuGH nun nochmal klargestellt, dass es sich hierbei um Arbeitszeit handelt.

Diese ist, jedenfalls solange nichts Gegenteiliges vereinbart ist, wenigstens mit dem Mindestlohn zu vergüten.

Reisezeit als Arbeitszeit?

In dieselbe Rubrik fällt auch die Frage, ob Reisezeit zu vergüten ist. Siehe auch:

Dienstreisen – Arbeitszeit oder Freizeit?

Denn auch auf Reisen können Beschäftigte nur sehr eingeschränkt über ihre Zeit disponieren.

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht 2018 entschieden, dass auch Reisezeit als Arbeitszeit zu vergüten ist.

Anspruch auf Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendung

Dies allerdings nur für den Sonderfall der Auslandsentsendung-

Gleichwohl ätzten schon seinerzeit Vertreter der Arbeitgeberseite, nun könnten Beschäftigte ihr Geld im Schlaf verdienen. Doch diese Polemik übersieht natürlich den oben genannten Aspekt der Fremdbestimmung. Denn es ist der Arbeitgeber, der entscheidet, ob der Beschäftigte auf Dienstreise geht.

Sollte der EuGH auch in dieser Frage im oben genannten Sinne entscheiden, so gäbe es in Zukunft neben der Pandemie einen weiteren Grund, Dienstreisen ernsthaft auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.

Rechtliche Grundlagen

Artikel 2 Richtlinie 2003/88

[…]
1. Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;
2. Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;
[…]