Trotz Eigenfinanzierung und einiger Risiken kann das Auszeitkonto von Aldi Süd interessant für Arbeitnehmer*innen sein. Copyright by Adobe Stock/nmann77
Trotz Eigenfinanzierung und einiger Risiken kann das Auszeitkonto von Aldi Süd interessant für Arbeitnehmer*innen sein. Copyright by Adobe Stock/nmann77

Neumann ist gerade 60 Jahre alt geworden und ist neidisch auf seinen gleichaltrigen, besten Kumpel. Der ist schon seit drei Jahren in Altersteilzeit und geht jetzt in die Freistellungsphase.
 
Im Altersteilzeitgesetz ist geregelt, wie älteren Beschäftigten ein gleitender Übergang von Arbeit in die Altersrente ermöglicht wird. So wurde ein Blockmodell und ein Teilzeitmodell entwickelt.
 

Das Blockmodell

Im Blockmodell arbeitet der Beschäftigte zunächst in Vollzeit weiter. Das ist die sogenannte Arbeitsphase. Ab der Hälfte der Laufzeit beginnt dann die Freistellungsphase. Dieses Modell würde auch Neumann bevorzugen.
 
Während der Arbeitsphase muss der Arbeitnehmer auf einen Teil seiner Vergütung verzichten und zwar auf die Hälfte. Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, das Gehalt um mindestens 20% aufzustocken. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sehen noch oft einen höheren Ausgleich vor. Neumanns Kumpel bekommt zum Beispiel 80% seiner letzten Nettobezüge.
 

Das Teilzeitmodell

In diesem Modell arbeitet der Beschäftigte während der gesamten Laufzeit der Altersteilzeit nur die Hälfte der Arbeitszeit. Es gibt aber eben nicht nur die halbe Vergütung, sondern auch die 20% Aufstockung durch den Arbeitgeber.
 
Dieses Modell findet Neumann nicht interessant. Denn im schlimmsten Fall soll er die gleiche Menge an Arbeit in der Hälfte der Zeit erledigen. Diese Befürchtung teilen viele, und das Modell kommt praktisch sehr selten vor.
 

Verdienstverlust und Rentenabschläge

Neumanns Kumpel bekommt für die Laufzeit der Altersteilzeit von sechs Jahren 80% seines letzten Nettolohns. Dann geht er mit dem erstmöglichen Zeitpunkt mit 63 Jahren in Rente. Dieser Verdienstverlust und auch die Abschläge von 12%, die bei einem 1960 geborenem anfallen, nimmt er hin. Denn das war sein Traum, schon mit 60 Jahren nicht mehr arbeiten zu müssen.
 
Er weiß auch, dass er eigentlich noch mehr Geld verliert. Bei einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit über das 63. Lebensjahr hinaus, würde sich der Abschlag um 0,3 % vermindern und durch weitere Entgeltpunkte die Altersrente noch erhöhen. Er hat es für sich durchgerechnet und schmettert Zweiflern gern entgegen „Reise vor dem Sterben, sonst reisen Deine Erben“.
 

Kein Rechtsanspruch auf Altersteilzeit

Neumann musste erkennen, dass es zwar ein Gesetz gibt, dieses Gesetz aber nur die Rahmenbedingungen regelt, unter denen die Altersteilzeit durchgeführt wird. Es gibt keinen Rechtsanspruch. Vielen Arbeitgebern ist es schlichtweg zu teuer. So äußert sich auch Neumanns Chef.
 

Sabbatjahr für Beamte in Nordrhein-Westfalen

Ein anderer Kumpel von Neumann ist Landesbeamter in NRW. Er hat die Möglichkeit genutzt, bei reduziertem Einkommen, Teile der Arbeitszeit anzusparen, um dann ein Sabbatjahr vor der Rente einzulegen. Das funktionierte wie folgt: er hat ab einem Alter von 59 Jahren drei Jahre Vollzeit gearbeitet, aber nur 75% seiner Vergütung erhalten. So hat er in den drei Jahren das 4. Jahr angespart, in dem er nicht mehr arbeiten muss und trotzdem 75% der Vergütung erhält.
 
Auch bei der Polizei in NRW werden demnächst Langzeitkonten geführt.
Trotz eigener Finanzierung durch die Beamten ist das Modell sehr beliebt. Verdi schreibt dazu, die Gründe, um eine gewisse Zeit aus dem Job auszusteigen, seien sehr vielfältig: Familienphase, lange Reisen, Vorbeugen von Erschöpfungssyndromen oder - wohl die größte Gruppe  - ein früherer Ruhestand.
 

Auszeitkonto: das Modell von Aldi Süd

Da staunt Neumann. Selbst ein Discounter warb bei der Suche nach Mitarbeitern mit einem Auszeitkonto. Um die Euphorie zu bremsen, im Ergebnis ist dieses komplett Arbeitnehmerfinanziert.
Sollte man dem Arbeitgeber womöglich über mehrere Jahre den Wert von angesparten Stunden oder Geld anvertrauen? Ohne Absicherung sollte man das keineswegs tun.
 

Absicherung über Versicherung

Aldi Süd wählt dafür den Weg über eine Versicherung. Das Unternehmen bietet Mitarbeitern an, eine Teilnahmevereinbarung zu schließen. Dann wird bei einem Versicherer ein Auszeitkonto eingerichtet und dort verwaltet. Es ist gegen Insolvenz gesichert.
Über einen Online-Zugang kann der Teilnehmer jederzeit die Höhe des angesparten Betrages ersehen. Es wird garantiert, dass zumindest der Nominalwert, also wenigstens der eingezahlte Betrag, verbleibt. Falls die Versicherung einen Überschuss erwirtschaftet, fließt dieser auch auf das Konto.
 

Ansparen auf das Konto

Was können die Beschäftigten einbringen?
Teile der normalen Bruttovergütung, der Sonderzuwendung, des Urlaubsgeldes. Es gibt mit 50 € im Monat einen Mindestbetrag.
 

Die Ansparphase ist steuer- und sozialabgabenfrei

Neumann will 200 € ansparen im Monat. Normalerweise verdient er 2.600 € brutto. Durch das Ansparen reduziert sich sein Bruttoverdienst auf 2.400 € und nur davon zahlt er Steuern und Sozialversicherungsabgaben.
 
Diese Vergünstigung ist aber nur eine Verschiebung.
 

Beiträge und Steuern fallen in der Freistellungsphase an

Angenommen, Neumann hat mit 62 Jahren 24.000 € auf dem angesparten Konto. Er muss die Ankündigungsfrist von einem halben Jahr einhalten. Da er danach nahtlos in Rente gehen will, hat der Chef nichts dagegen. Er tritt sein Freistellungsjahr an und lässt sich monatlich 2.000 € brutto auszahlen. In dieser Zeit bleibt er Arbeitnehmer.
 

Risiken dieses Modells

  • Krankheit des Arbeitnehmers während der Auszeit:

Aldi Süd verschweigt nicht, dass bei Krankheit während der Freistellung das Wertguthaben weiterhin verbraucht wird. Ähnlich, wie wenn der Arbeitnehmer an schichtfreien Tagen erkrankt. Es fallen dann nicht wegen der Erkrankung Arbeitstage aus, sondern er ist in seiner Freizeit erkrankt. Bei Fortdauer der Erkrankung über die Freistellungszeit hinaus, fällt wieder Arbeit wegen Erkrankung aus. Dann ist normal Entgeltfortzahlung zu leisten.
 

  • Steigende Beiträge:

Sollten Sozialversicherungsbeiträge weiter steigen, schmilzt der Nettoauszahlungsbetrag aus unserem Beispiel von den 2.000 € brutto. Bei Anstieg der Beiträge für Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung bedeutet das eine Entwertung. Im umgekehrten Fall bei Beitragssenkung profitiert der Arbeitnehmer.
 

  • Kein Urlaubsanspruch für die Freistellungszeit:

Das gilt auch, wenn nur einzelne Monate frei genommen wird. Für die Zeit der Freistellung erwirbt der Arbeitnehmer keinen Urlaubsanspruch.
 

  • Keine Auszahlung außerhalb der Regelung:

Es gibt eine Härtefallprüfung, der Anspruch ist auch vererblich und wird auch bei Rentengewährung ausgezahlt. Braucht man jedoch eine reine Finanzspritze, hat man keinen Anspruch auf Auflösung des Kontos. Als Geldanlage ist es also nicht gedacht.
 

  • Keine Verzinsung:

Das eingezahlte Kapital wird nicht verzinst, es bleibt bei der eventuellen Überschussbeteiligung.
 

  • Zustimmungserfordernis:

Die Freistellung bedarf der Zustimmung des Arbeitgebers. Er kann dies aus dringenden betrieblichen Gründen ablehnen.
 

Fazit zum Modell Aldi Süd

Trotz kompletter Eigenfinanzierung kann dieses Modell interessant für Arbeitnehmer*innen sein, die eine persönliche Auszeit gestalten wollen.
 
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt das Zustimmungserfordernis des Arbeitgebers. Nach Auffassung der Autorin dürften Arbeitsgerichte voraussetzen, dass derjenige Arbeitgeber, der solche Regelungen anbietet, auch organisatorisch für eine mögliche Umsetzung sorgen muss. Ähnlich wie beim Urlaubsrecht. Notfalls könnte man durch ein Eilverfahren einen solchen Anspruch durchsetzen.