Was bringt die freie Fahrt in allen Zügen, wenn man sie nicht nutzt? Adobe Stock: Studio32
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Klägerin ist hier die Arbeitgeberin. Sie stellt dem bei ihr beschäftigten Fahrpersonal, also Triebfahrzeugführern, Zugführern und Zugbegleitern eine Bahncard 100 zur Verfügung, um die jeweiligen Einsatzorte mit dem Zug erreichen zu können. Dafür schließt sie mit ihrem Fahrpersonal, also auch dem hier beklagten Zugbegleiter, einen Vertrag ab. Die Arbeitnehmer:innen haben danach für den Fall des unterjährigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis die Kosten der Bahncard anteilig an die Klägerin zu erstatten.

 

Der Beklagte erhielt eine betriebsbedingte Kündigung

 

Der betroffene Mitarbeiter hatte einen solchen Vertrag abgeschlossen. Noch innerhalb der Probezeit sprach die Klägerin eine betriebsbedingte Kündigung aus. Im Anschluss stellte sie dem Gekündigten für die nicht genutzte Bahncard 2.459,09 € in Rechnung. Der Beklagte zahlte nicht, so dass es zum Klageverfahren kam.

 

Die Jurist:innen vom DGB Rechtsschutzbüro Koblenz vertraten den Beklagten im Prozess. Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht erschien die Klägerin nicht, so dass das Gericht per Versäumnisurteil die Klage abwies. Die Klägerin erhob Einspruch. Das Gericht hatte sich daher mit der Sache noch einmal zu befassen, blieb aber bei der ursprünglichen Entscheidung. Der Mann muss nun nichts zurückzahlen.

 

Die Klausel im Vertrag war gerichtlich überprüfbar

 

Die von der Klägerin verwandten Verträge seien vorformulierte Vertragsbedingungen, heißt es im Urteil. Diese seien anzunehmen, wenn sie zeitlich vor dem Vertragsschluss fertig formuliert vorlägen, um in künftige Verträge eingearbeitet zu werden. Des Weiteren müssten die Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen bestimmt sein.

 

Die Klägerin selbst trage vor, dass sie dem bei ihr beschäftigten Fahrpersonal die Bahncard 100 zu den skizzierten Bedingungen überlasse, stellte das Gericht fest. Der Beklagte habe die Bahncard nicht erbeten. Die Klägerin habe sie dennoch ausgehändigt und dem Beklagten gleichzeitig eine Vereinbarung mit der Rückzahlungspflicht bei unterjährigem Ausscheiden vorgelegt.

 

Das Gericht war davon überzeugt, dass es sich bei dieser Vereinbarung nicht um ausgehandelte, sondern um vorformulierte, vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsbedingungen handelte. Diese könnten nach dem BGB einer Inhaltskontrolle durch das Gericht unterzogen werden. Dazu zähle auch das sog. Transparenzgebot. Des Weiteren sei zu prüfen, ob die Vereinbarung den Beklagten unangemessen benachteiligte.

 

Hier fehlte es an Transparenz

 

Dem Transparenzgebot genügt der Arbeitgeber, wenn sein:e Vertragspartner:in den Rückzahlungsanspruch abschätzen kann. Deshalb müssen die durch die Überlassung der Bahncard entstehenden Kosten dem Grunde und der Höhe nach im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren bezeichnet werden. Das umfasst zumindest die Benennung von Art und Berechnungsgrundlagen der Kosten.

 

Beides sei hier nicht der Fall, so das Arbeitsgericht. Weder habe die Klägerin im Vertrag die Kosten der Bahncard 100 beziffert, noch sei erkennbar, welchen Berechnungsmodus sie anstellen wolle, um die Kosten der Bahncard "anteilig" zurückzufordern. Im Vertrag hieß es dazu nur, dass die Arbeitgeberin berechtigt sei, „die Kosten für diese Bahncard anteilig zurückzufordern“. Es sei weder klar, was mit den Kosten für „diese Bahncard“ gemeint sei, noch was der Begriff „anteilig“ bedeute. Damit verstoße die Vereinbarung gegen das Transparenzgebot.

 

Die Klausel ist auch unangemessen

 

Das Gericht hielt die Rückzahlungspflicht darüber hinaus für unangemessen. Rückzahlungsklauseln sind nämlich zu beanstanden, wenn die Pflicht zur Rückzahlung bei verständiger Betrachtung einem billigenswerten Interesse des Arbeitgebers nicht entspricht und der:die Arbeitnehmer:in mit der Leistung keine angemessene Gegenleistung erhält.

 

Hier war aus Sicht des Arbeitsgerichts schon fraglich, ob der Beklagte überhaupt eine angemessene Gegenleistung erhalten hat. Zwar habe die Bahncard 100 für die Dauer vom einem Jahr für Bahnkunden Vorteile. Es sei aber zu berücksichtigen, dass der Beklagte gar kein Interesse an der Überlassung einer Bahncard 100 für ein komplettes Jahr hatte. Er habe die Bahncard nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen überhaupt nicht genutzt. Für das Gericht war es daher schon zweifelhaft, ob der Beklagte überhaupt einen geldwerten Vorteil erlangt hatte.

 

Genau prüfen mussten die Richter:innen das nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es nämlich nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden von Arbeitnehmer:innen innerhalb einer vorgesehenen Bindungsfrist zu knüpfen. Arbeitgeber müssen in ihren Verträgen nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens unterscheiden. Eine Rückzahlungspflicht wird dabei in der Regel nicht ausgelöst, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber (mit) veranlasst wurde.

 

So liegt der Fall hier

 

Die Klägerin habe eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen. Die Klausel im Vertrag differenziere nicht nach dem Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und erfasse daher beispielsweise auch Fälle, in welchen der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch vertragswidriges Verhalten beendet habe. Im Rahmen der Interessenabwägung stellte das Gericht daher eine unangemessene Benachteiligung des Beklagten fest.

 

Damit war die vertragliche Vereinbarung zur Rückzahlungspflicht insgesamt rechtsunwirksam. Der Klägerin stand für ihre Aufforderung zur Zahlung keine Anspruchsgrundlage zur Seite.