In diesem Fall musste der Arbeitgeber Weihnachtsgeld zahlen
© Adobe Stock - Von Wilm Ihlenfeld
In diesem Fall musste der Arbeitgeber Weihnachtsgeld zahlen © Adobe Stock - Von Wilm Ihlenfeld

In den Jahren 2015 bis 2018 erhielt der Kläger immer mit dem Novemberlohn eine als „Weihnachtsgeld" bezeichnete Zahlung in Höhe von 947 €. Im Jahr 2019 erhielt er 925 €, ebenfalls ausdrücklich als „Weihnachtsgeld" benannt.

 

Auf den Lohnabrechnungen war jeweils vermerkt: Die Zahlung des Weihnachtsgeldes ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers und begründet auch bei wiederholter Zahlung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft."

 

2020 und 2021 zahlte das Unternehmen kein Weihnachtsgeld

 

Der Kläger machte das fehlende Weihnachtsgeld in Höhe von jeweils 925 € geltend und verfolgte diesen Anspruch per Klage weiter. Das gerichtliche Verfahren führte der DGB Rechtsschutz Berlin für ihn.

 

Das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe das Entstehen einer betrieblichen Übung nicht dargelegt. Ein Anspruch folge auch nicht aus dem Arbeitsvertrag, da dieser keine konkrete Bezugsgröße enthalte.

 

Diese Begründung hielt einer Berufung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hob das erstinstanzliche Urteil auf und verurteilte das beklagte Unternehmen zu einer Nachzahlung des Weihnachtsgeldes.

 

LAG bejaht arbeitsvertraglichen Anspruch

 

Auf eine betriebliche Übung brauchte das Landesarbeitsgericht nicht zurückgreifen. Der Anspruch ergebe sich bereits aus dem Arbeitsvertrag.

 

Die Regelung zum Weihnachtsgeld lautet:

 

Die Zahlung von Weihnachtgeld erfolgt leistungsbezogen auf der Basis des Gehalts. Es setzt eine Mindestvertragsdauer von 6 Monaten voraus. Vom Arbeitgeber gewährte Gratifikationen gelten als freiwillige Leistungen und schließen einen Rechtsanspruch auch nach wiederholter Zahlung aus.

 

Der Anspruch auf die Gratifikation besteht nicht, wenn das Arbeitsverhältnis im Auszahlungszeitpunkt gekündigt ist oder ein Aufhebungsvertrag vorliegt. Das gilt jedoch nicht, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten, vom Arbeitnehmer nicht zu vertretenden Gründen erfolgt.

 

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Gratifikation zurück zu zahlen, wenn er aufgrund eigener Kündigung oder verhaltensbedingter Kündigung des Arbeitgebers aus einem von ihm zu vertretenden Grund bis zum 31.03. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Das gilt auch für den Fall eines Aufhebungsvertrages, wenn dieser durch ein Aufhebungsbegehren des Arbeitnehmers oder ein Recht des Arbeitgebers zur verhaltensbedingten Kündigung veranlasst ist."

 

Rechtsprechung des BAG zur Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen

 

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders – also hier des Arbeitnehmers - zugrunde zu legen. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss.

 

Die Richter:innen beim LAG hielten sich an diese Grundsätze. Danach ergebe sich bereits aus dem Wortlaut und der Systematik der Regelung zum Weihnachtsgeld im Arbeitsvertrag ein Anspruch dem Grunde nach. Auf die Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB komme es nicht einmal an. Danach gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders, also des Arbeitgebers. 

 

Wortlaut und Systematik sprechen für einen Anspruch

 

Nach dem Wortlaut der Vereinbarung „erfolgt" die Zahlung eines Weihnachtsgeldes. Bereits dies spreche für einen Anspruch.

 

Außerdem sei im Einzelnen geregelt, was die Voraussetzungen für die Gewährung als auch für eine Rückzahlungsverpflichtung des Weihnachtsgeldes sind. Dies könne nur dahingehend verstanden werden, dass ein Anspruch dem Grunde nach besteht, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

 

Zahlung nach Arbeitsvertrag und Lohnabrechnungen „freiwillig“

 

Deshalb könnte man meinen, die Sache sei klar. Wer etwas freiwillig zahlt, kann das nach eigenem Gusto auch wieder lassen. Aber so einfach ist das rechtlich nicht. Denn auch der Freiwilligkeitsvorbehalt zählt zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Und das LAG hält die Regelungen zur freiwilligen Zahlung für unwirksam, da sie gegen das Transparenzgebot verstoße.

 

Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) kann eine unangemessene Benachteiligung sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

 

Was widersprüchlich ist, ist nicht klar und verständlich

 

Der Vorbehalt im Arbeitsvertrag bezeichnet die Zahlung der betrieblichen Gratifikationen als freiwillig und will einen Rechtsanspruch auch nach wiederholter Zahlung ausschließen. Nach dem LAG ist der Wortlaut hier zwar eindeutig, die Bestimmung stehe aber im Widerspruch zu dem gewährten Anspruch auf ein Weihnachtsgeld. Sie sei deshalb nicht klar und verständlich im Sinne des Transparenzgebotes.

Wenn der Arbeitgeber also auf der einen Seite eine Leistung zusagt und die Voraussetzungen für einen Anspruch nennt, ist es widersprüchlich, auf der anderen Seite einen Rechtsanspruch ausschließen zu wollen.

 

Gleiches gilt nach dem LAG für den auf den Lohnabrechnungen enthaltenen Freiwilligkeitsvorbehalt.

Das hätte vielleicht anders ausgesehen für einen Anspruch aus betrieblicher Übung. Da der Kläger einen solchen Anspruch aber nicht geltend mache, sondern sich auf einen vertraglichen Anspruch stützte, könne dahinstehen, ob die bei jeder Zahlung erklärten Vorbehalte für sich genommen wirksam wären und einen Anspruch aus betrieblicher Übung verhindern könnten.

Der hilfsweise Verweis auf eine betriebliche Übung betreffe einen anderen Streitgegenstand, den der Kläger ersichtlich nur für den Fall geltend mache, dass er mit seinen auf den Arbeitsvertrag gestützten Anspruch nicht durchdringen sollte. Der vertragliche Anspruch könne aber durch spätere einseitige Erklärungen des Arbeitgebers nicht beseitigt werden. Schließlich habe der Arbeitgeber auch nicht von einem Einverständnis des Klägers ausgehen dürfen, nur, weil dieser die Zuwendung in den Jahren 2015 bis 2019 widerspruchslos entgegengenommen habe.  

 

Arbeitsvertrag legt keine konkrete Höhe des Weihnachtsgeldes fest

 

Auch das steht nach dem LAG dem Anspruch nicht entgegen. Bereits aus dem Gesetz (§ 612 Abs. 2 BGB) ergebe sich, dass die fehlende Festlegung einer konkreten Höhe einem Anspruch dem Grunde nach nicht entgegensteht.

 

Das LAG sieht den Anspruch auch in der Höhe als begründet an, wobei der Anspruch nach § 612 Absatz 2 BGB zu bestimmen sei. Die Vorschrift gelte für alle Arten der Vergütung, also auch für Sonderleistungen wie Gratifikationen.

 

Der Arbeitgeber habe durch die wiederholte Zahlung von 947 € als Weihnachtsgeld nach dem objektiven Empfängerhorizont zum Ausdruck gebracht, dass hierin das übliche Weihnachtsgeld liege. Dem hat der Kläger nicht widersprochen, so dass von einer üblichen Vergütung von 947 € auszugehen sei. Dabei ließ es das LAG offen, ob im Hinblick auf die Zahlung 2019 nunmehr von einem Betrag von 925 € auszugehen sei, weil der Kläger seinen Anspruch entsprechend beschränkt habe.

 

Revision nicht zugelassen

 

Nach dem LAG liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vor, da bei der Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt wurde.

Das sagen wir dazu:

Der Gang in die zweite Instanz war hier nicht nur lohnenswert, sondern sogar zwingend. Das Arbeitsgericht hat es sich zu leicht gemacht, als es einen arbeitsvertraglichen Anspruch verneinte, nur, weil im Arbeitsvertrag keine konkrete Bezugsgröße genannt ist.

 

Rico Graumann, DGB Rechtsschutz Berlin, hob in diesem Punkt die Entscheidung des LAG besonders hervor:

Inhaltlich sehr erfreulich war, dass das LAG im Gegensatz zum Arbeitsgericht erkannt hat, dass bereits ein arbeitsvertraglicher Anspruch besteht und eine Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (vgl. § 315 BGB) zu erfolgen hat. Sollte der Arbeitgeber sein Ermessen nicht ausüben, kann eine Leistungsbestimmung durch das Gericht vorgenommen werden.“

 

Das Bundesarbeitsgericht sagt zum Thema Freiwilligkeitsvorbehalt ganz klar, dass die Bezeichnung im Arbeitsvertrag als "freiwillige Leistung" für sich genommen nicht genügt, um einen Rechtsanspruch auszuschließen. Denn eine solche Bezeichnung könne schlicht und ergreifend nur im Vertrag stehen, weil der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet ist. Das Wort „freiwillig“ allein ist also nicht maßgeblich. Es kommt auf den Einzelfall und die genaue vertragliche Gestaltung an.

 

Dabei muss der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer klar sein, ob nun ein Anspruch besteht oder nicht. Und das ist nicht so, wenn etwas konkret unter bestimmten Voraussetzungen versprochen wird, was den Beschäftigten dann aber nicht zustehen soll. Deshalb wendet das BAG das Transparenzgebot in solchen Fällen an, wonach ein Freiwilligkeitsvorbehalt dann im Widerspruch zu dem gewährten Anspruch steht.

 

Das LAG setzt in seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BAG  konsequent um und veranschaulicht, dass Freiwilligkeitsvorbehalte meist an einer AGB-Prüfung scheitern.