Wenn es so weit gar nicht kommt . . . Copyright by Adobe Stock/ LeslieAnn
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Diese Frage hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 15. September 2020 beantwortet.

Was war geschehen?

Ein Lagerungsassistent mit einem Grad der Behinderung von 40 bewarb sich bei einer Klinik des öffentlichen Dienstes um eine neue Stelle.
Mit E-Mail vom 12. Januar 2018 teilte die Klinik ihm mit, dass er die Stelle nicht bekomme.
Am 29. März 2019 verlangte der Lagerungsassistent deshalb von der Klinik Schadensersatz. Dabei machte er geltend, dass er die Klinik mehrfach auf das fehlerhafte Verfahren zur Stellenbesetzung hingewiesen habe.
Weil die Klinik sich weigerte zu bezahlen, zog der Lagerungsassistent vor das Arbeitsgericht.
 

Aus welche Normen kann sich ein Anspruch auf Schadensersatz ergeben?

Denkbar sind zwei Möglichkeiten:

  • Zum einen kommt ein Anspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Betracht.
  • Zum anderen könnte sich ein Anspruch aus dem Deliktsrecht herleiten lassen.


Besteht ein Anspruch nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz?

Wird ein Bewerber  - etwa wegen seiner Schwerbehinderung  - bei der Stellenbesetzung benachteiligt, ist der Arbeitgeber zum Schadensersatz verpflichtet.
Die Frage, ob die Klinik den Lagerungsassistent tatsächlich wegen seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen benachteiligt hat, konnte offen bleiben. Denn das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schreibt vor, dass ein Anspruch auf Schadensersatz innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend zu machen ist. Diese Frist beginnt im Falle einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung durch den Arbeitgeber.
Diese Frist hat der Kläger versäumt, da zwischen Ablehnung seiner Bewerbung durch die Klinik und seinem Verlangen von Schadensersatz mehr als ein Jahr vergangen war.

Mit welche Argumenten wehrte sich der Kläger?

Der Kläger versuchte, sich gegen den Fristablauf mit zwei Argumenten zu stemmen.

  • Einerseits machte er geltend, er habe die Klinik mehrfach auf Fehler bei der Stellenbesetzung hingewiesen.
  • Andererseits wies er darauf hin, dass er die Ablehnung lediglich per E-Mail erhalten habe.


Ließ sich das Landesarbeitsgericht überzeugen?

Zum ersten Argument führten die Richter*innen aus, der Kläger habe zwar  - möglicherweise rechtzeitig  - auf die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens hingewiesen. Dabei habe er aber nicht verlangt, dass die beklagte Klinik Schadensersatz leistet. Dieses ausdrückliche Verlangen auf Zahlung von Schadensersatz innerhalb der Frist sei aber Voraussetzung für einen Anspruch.
Im Hinblick auf das zweite Argument weist das Gericht darauf hin, dass für die Ablehnung eine Erklärung ausreiche, aus der sich für einen objektiven Empfänger ergebe, dass die Bewerbung keinen Erfolg haben werde. Dafür reiche auch eine mündliche Erklärung aus. Deshalb sei die Übermittlung der Ablehnung durch eine E-Mail ebenfalls ausreichend.

Besteht ein Anspruch nach dem Deliktsrecht?

Das Deliktsrecht sieht einen Anspruch auf Schadensersatz vor, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber gegen die Vorgabe des Artikels 33 GG verstößt. Danach hat jeder Deutsche „. . .nach seiner Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“
 
Wenn die Klinik also verpflichtet gewesen wäre, den Kläger einzustellen, könnte die Ablehnung grundsätzlich zu einem Anspruch auf Schadensersatz führen.
 
Aber nach Ansicht des Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern besteht auch ein solcher deliktischer Anspruch nicht.
 

Denn für das gesamte private und öffentliche Haftungsrecht sei bei Schadensersatzansprüchen immer zu berücksichtigen, ob den Geschädigten ein Mitverschulden trifft. Eine konkrete Ausformung dieses Prinzips des Mitverschuldens sei im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt. Danach trete eine Pflicht zum Schadensersatz nicht ein,  „. . . wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.“

 
Im vorliegenden Fall hätte der Kläger  - so das Gericht  - die Möglichkeit gehabt, die Ablehnung der Klinik gerichtlich überprüfen zu lassen. Dazu wäre ihm der Weg des einstweiligen Rechtsschutzes offen gestanden. Dem stehe nicht entgegen, dass die Klinik die Stelle bereits mit einem anderen Bewerber besetzt habe. Zum einen sei die Vereinbarung einer Probezeit üblich. Dies habe zur Folge, dass sich die Klinik unter erleichterten Bedingungen wieder von dem eingestellten Mitbewerber trennen konnte. Zum anderen bestehe ein Kündigungsschutz für den eingestellten Mitbewerber erst nach Ablauf von sechs Monaten.
 
Ebenfalls wegen des Prinzips des Mitverschuldens habe der Kläger nicht die Möglichkeit, zwischen einer Klage auf Einstellung und einer Klage auf Schadensersatz zu wählen. Der primäre Rechtsschutz habe Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz. Es sei nicht zulässig, sich nicht gerichtlich gegen die Ablehnung zu wehren und stattdessen abzuwarten, um erst dann einen Schaden eintreten zu lassen, den die Gegenseite dann ersetzen soll.
 
Nach alledem bestätigte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern die Entscheidung des Arbeitsgerichtes Stralsund. Der Kläger bekommt keinen Schadensersatz.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 2. Kammer 15.09.2020 AZ: 2 Sa 16/20

Rechtliche Grundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 823 Schadensersatzpflicht
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 33
(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.
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Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 839 Haftung bei Amtspflichtverletzung
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.