Der gehbehinderte Zusteller sollte im neuen Bezirk viel weiter laufen müssen. © Adobe Stock:  Jean-Pierre
Der gehbehinderte Zusteller sollte im neuen Bezirk viel weiter laufen müssen. © Adobe Stock: Jean-Pierre

Der von Günter Bonnekessel aus dem Rechtsschutzbüro Hamburg vertretene Kläger, ein seit über 20 Jahren beschäftigter Zusteller,  gewann seinen Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht. Der Arbeitgeber hatte ihm außerordentlich fristlos gekündigt und musste ihn nun wie vertraglich vereinbart weiter als Zusteller beschäftigen. Offensichtlich bereitete ihm das Probleme. Er versetzte den Mann in einen anderen Zustellbezirk der Stadt.

 

Durch die Versetzung verschlechterte sich die Situation des Klägers

 

Dabei war dem Arbeitgeber bekannt, dass der Mann einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist. Für die Anfahrt zum neuen Zustellstützpunkt  müsste der Kläger wesentlich länger anfahren. Statt nur 3 Minuten dauerte die Anfahrt bis zu 40 Minuten. Auch die Fußstrecke im neuen Zustellbezirk war wesentlich länger. Angesichts seiner gesundheitlichen Einschränkungen, die auch die Gehfähigkeit betreffen, war der Kläger mit der Versetzung nicht einverstanden.

 

Der Arbeitgeber blieb dabei. Der Betriebsrat stimmte der Versetzung nach einer längeren Auseinandersetzung zu. Ein geschickter Weg, sich von einem unliebsamen Mitarbeiter zu trennen, mag man meinen. Irgendwann würde er sicher von selbst gehen wollen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

 

Das Arbeitsgericht äußerte sich zu derartigen Überlegungen im Urteil nicht weiter. Ob die Versetzung des Klägers gegen das im Gesetz fixierte Maßregelungsverbot ließ das Gericht nämlich ausdrücklich offen.

 

Die Änderung des Arbeitsortes ist eine Versetzung

 

Der Arbeitgeber habe eine Versetzung des Klägers vorgenommen, so das Arbeitsgericht. Diese liege auch dann vor, wenn sich der Tätigkeitsbereich ändere, d. h. die Art, der Ort oder der Umfang der Arbeit. Man müsse dazu nicht zwingend in einem anderen Betrieb eingesetzt sein. Auch die Zuweisung eines anderen regelmäßigen Arbeitsortes könne ausreichen, was vor allem bei Arbeitnehmer*innen der Fall sei, die ihre regelmäßige Tätigkeit nicht ortsgebundenen in einem Betrieb erbringen würden.

 

Hier habe der Arbeitgeber einseitig den Einsatzort verändert. Darin liege eine Versetzung, auch wenn der neue Zustellbezirk ebenso wie der bisherige Einsatzort des Klägers in der Stadt Hamburg liege.

 

Die Versetzung des Klägers sei unwirksam. Sie entspreche nämlich nicht billigem Ermessen. Billiges Ermessen habe der Arbeitgeber nur dann gewahrt, wenn er die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hätte.

 

Beim billigen Ermessen sind allgemeine Wertgrundsätze zu beachten

 

Die Abwägung der wechselseitigen Interesse müsse nach den Wertentscheidungen unserer  Verfassung und der Gesetze erfolgen. Auch allgemeine Wertgrundsätze müsse der Arbeitgeber beachten. Dazu gehöre, dass die Maßnahme verhältnismäßig, angemessen und zumutbar ist.

 

Der Arbeitgeber müsse etwaige Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, sonstige Vor- und Nachteile, aber auch Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie die sozialen Lebensverhältnisse in seine Überlegungen einbeziehen. Der Arbeitgeber müsse auch beweisen, dass seine Versetzung billigem Ermessen entspreche und das im Verfahren detailliert begründen.

 

Billiges Ermessen lag nicht vor

 

Die Beklagte habe im Verfahren lediglich vorgetragen, der Arbeitsplatz, den der Kläger im bisherigen Zustellstützpunkt innegehabt habe, sei inzwischen weggefallen. Im neuen Zustellstützpunkt gebe es demgegenüber mehr Bedarfe. Der Sachverhalt, angesichts dessen die frühere Kündigung ausgesprochen worden war, sei immer noch nicht vollständig miteinander geklärt worden. Die Interessen des Klägers habe der Beklagte in ihre Entscheidung mit einbezogen.

 

Das reichte dem Gericht nicht aus, um den erforderlichen Beweis zu erbringen. Nach der gewonnenen Kündigungsschutzklage entschied das Gericht nun auch hier im Sinne des Klägers.

 

Es lohnt sich also, nicht alles unwidersprochen hinzunehmen. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, sei jedoch angeraten, im Vorfeld Rechtsrat einzuholen.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 612a BGB; § 106 GewO

§ 612a Maßregelungsverbot
Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

§ 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.