Ist er als Selbstständiger oder als Arbeitnehmer unterwegs? Copyright by kramarek/Adobe Stock
Ist er als Selbstständiger oder als Arbeitnehmer unterwegs? Copyright by kramarek/Adobe Stock


Man sieht sie mittlerweile überall auf den Straßen: Fahrradkuriere, die zu jeder Tages und Nachtzeit Post, Essen oder andere Bestellungen an Kunden ausliefern. Und das oft zu höchst prekären Arbeitsbedingungen: die angestellten Kuriere verdienen nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn; sie müssen ihre Arbeitsmaterialien inklusive des Fahrrads selbst stellen und auf eigene Kosten warten.
 
Das sind diejenigen, die das Glück haben, einen Arbeitsvertrag mit einer Vermittlungsplattform zu haben.
 
Viele Fahrradkuriere arbeiten aber auf eigene Rechnung, sind also  - jedenfalls offiziell  - selbstständig. Der gesetzliche Mindeststandard für Arbeitsverhältnisse wie etwa Mindestlohn, Mindesturlaub und gesetzliche Unfallversicherung gilt für sie nicht. Es drängt sich aber doch die Frage auf, ob nicht viele von ihnen eigentlich Arbeitnehmer sind, insbesondere dann, wenn das Unternehmen sie beauftragt, überwacht und bezahlt.
 

Internetplattform als Arbeitgeber

 
Die deutschen Arbeitsgerichte haben sich damit nur in wenigen Fällen auseinandergesetzt. Urteile über die Arbeitnehmereigenschaft von Fahrradkurieren gibt es - bislang jedenfalls- keine. Es lohnt sich deshalb, einen Blick über die Grenze zu werfen und zu schauen, wie das in den Nachbarländern gehandhabt wird.
 
Zum Beispiel Frankreich: Dort hatte vor dem Cour de cassation (oberstes französisches Gericht in Arbeitsrechtssachen) ein Fahrradkurier auf seinen Arbeitslohn geklagt und damit geltend gemacht, dass er Arbeitnehmer ist. Sein Gegner war eine Internetplattform. Diese stellte ihm eine App zur Verfügung, die er benutzte, um Gaststätten, die einen entsprechenden Dienstleistungsvertrag mit der Internetplattform hatten, mit bestellenden Kunden zu verbinden.
 
Die Internetplattform konnte den Fahrradkurier auch mithilfe dieser App überwachen. Sie konnte die Route in Echtzeit nachverfolgen und die Gesamtzahl der zurückgelegten Kilometer feststellen. Die Besteller und Gaststätten informierten die Internetplattform darüber, ob und wann der Fahrradkurier die Speisen abholte. Bei Fehlverhalten des Fahrradkuriers konnte er bestraft werden, indem die Internetplattform ihm Leistungspunkte abzog und entsprechend weniger bezahlte.
 

Cour de cassation: ein Unterordnungsverhältnis ist vorhanden

 
Nachdem der Fahrradkurier in den unteren Instanzen verlor, stellte das oberste französische Gericht fest, dass er Arbeitnehmer ist. Dabei kam es dem Gericht  - ebenso wie es in deutschen Recht üblich ist  - nicht darauf an, ob der Vertrag von den Parteien als Arbeitsvertrag bezeichnet wird.
 
Es komme einzig und allein darauf an, wie das Vertragsverhältnis ausgeübt wird. Dabei sei, so das Gericht, Arbeitnehmer „jegliche Person, die eine Arbeit unter der Weisungsbefugnis eines Arbeitgebers, der Befehle und Weisungen geben, deren Umsetzung überprüfen und etwaige Verstöße des Untergebenen sanktionieren kann, ausübt“.
 
Zwischen der Internetplattform und ihm bestehe ein Unterordnungsverhältnis, wie es für ein Arbeitsverhältnis typisch sei. So müsse er Anweisungen von der Internetplattform befolgen. Die Internetplattform sei auch in der Lage, ihn zu überwachen und zu kontrollieren. Sie könne ihn auch bestrafen, wenn seine Leistungen nicht gut genug seien.
 

Situation in Deutschland

 
Das Urteil hat nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland für großes Aufsehen gesorgt. Viele Internetfirmen, die einen ähnlichen Service anbieten, befürchten, in dieselbe Lage wie das französische Unternehmen zu geraten.
 
Für sie gilt die Internetplattform nur als Vermittler von Aufträgen zwischen dem Auftraggeber, beispielsweise einem Restaurant, und dem Fahrradkurier, der ein über die Plattform bestelltes Essen als sogenannter Gigworker zustellen soll.  Arbeitsgerichte und Sozialgerichte haben, wie oben bereits gesagt,  in Arbeitnehmerstatusverfahren noch nicht über den Fall eines Fahrradkuriers entschieden.
 
Es liegen jedoch Entscheidungen vor, die Kurierdienstfahrer betreffen, sodass man hieraus Rückschlüsse ziehen kann. Dabei sind die Entscheidungen sehr auf den Einzelfall bezogen, wenn es darum geht, Selbstständige von unselbstständigen Arbeitnehmern voneinander abzugrenzen.
 

Bin ich selbstständig, wenn mir das Fahrrad gehört?

 
In diesen Entscheidungen wird darauf abgestellt, ob der/ die Betroffene in dem Betrieb des Auftraggebers eingegliedert ist, ob er/sie dessen Weisungen befolgen muss, und ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht. Dies kann beispielsweise der Fall sein wenn er/sie nur einen Auftraggeber hat. Für einige Gerichte stellt der Umstand, dass dem/der Betroffenen das Fahrzeug (Lkw, Auto) gehört, ein Indiz für die Selbstständigkeit dar. Es sei typisch für einen selbstständigen Unternehmer, sein Betriebskapital selbst aufzubringen. Dass diese Auffassung weltfremd ist, zeigt sich schon daran, dass auch von den angestellten Fahrradkurieren und anderen Kurierdienstfahrern erwartet wird, dass sie ihr Fahrzeug selbst mitbringen.
 

Kontrollmöglichkeiten über App entscheidend

 
Ob ein Fahrradkurier ein abhängiger Angestellter oder selbstständig ist, hängt davon ab, inwieweit seine Tätigkeit durch die Internetplattform bestimmt wird. Wenn er/sie
 

  • seine/ ihre  Arbeitszeit nicht frei bestimmen und neben den Aufträgen der Internetplattform auch andere Aufträge nicht annehmen und ausführen darf
  • eine bestimmte Dienstkleidung tragen muss
  • von der Plattform vorgegebene Zeiten einhalten muss
  • Bestrafungsmöglichkeiten vorgesehen sind, zum Beispiel wenn die Bewertung sinkt, der Fahrer weniger Lohn erhält oder wenn der Plattformbetreiber die Betroffenen von der Plattform ausschließt

wird vieles dafür sprechen, dass der Kurier nicht selbstständig, sondern weisungsgebunden und somit Arbeitnehmer ist.
 
Ein entscheidendes Kriterium wird in Zukunft aber auch sein, ob die Internetplattformen Apps einsetzen, über die die Kuriere nicht nur Aufträge erhalten, sondern auch  während der Ausführung der Aufträge kontinuierlich überwacht, kontrolliert und bewertet werden. In diesen Fällen dürfte die Schwelle vom Selbstständigen zum abhängigen Arbeitnehmer endgültig überschritten sein.
 
Man darf also gespannt sein, wie sich die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte in Zukunft entwickeln wird.
 
Lesen Sie hierzu auch:

Grad der Abhängigkeit entscheidend - DGB Rechtsschutz GmbH
NGG: Rider gegen Lohnprellerei
Ist der Crowdworker ein Arbeitnehmer? - DGB Rechtsschutz GmbH

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV)

§ 7 Beschäftigung

(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn
1. während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2. das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.Satz 1 gilt entsprechend, wenn während einer bis zu dreimonatigen Freistellung Arbeitsentgelt aus einer Vereinbarung zur flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszeitzyklen fällig ist. Beginnt ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Zeit der Freistellung, gilt Satz 1 Nummer 2 mit der Maßgabe, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die Zeit der Arbeitsleistung abweichen darf, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht während der Zeit der Freistellung auch, wenn die Arbeitsleistung, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll, wegen einer im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorhersehbaren vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr erbracht werden kann. Die Vertragsparteien können beim Abschluss der Vereinbarung nur für den Fall, dass Wertguthaben wegen der Beendigung der Beschäftigung auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit, des Erreichens einer Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, oder des Todes des Beschäftigten nicht mehr für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, einen anderen Verwendungszweck vereinbaren. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigte, auf die Wertguthaben übertragen werden. Bis zum 31. Dezember 2024 werden Wertguthaben, die durch Arbeitsleistung im Beitrittsgebiet erzielt werden, getrennt erfasst; sind für die Beitrags- oder Leistungsberechnung im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedliche Werte vorgeschrieben, sind die Werte maßgebend, die für den Teil des Inlandes gelten, in dem das Wertguthaben erzielt worden ist.
(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.
(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.
(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.
(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat