Diese Arbeitgeberin hat es richtig gemacht. Copyright by  LIGHTFIELD STUDIOS/Adobe Stock
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Mit dieser Frage hat sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in seinem Urteil vom 28. August 2019 beschäftigt.
 

Die Bewerbung

Eine öffentliche Arbeitgeberin schrieb eine Stelle für „Ingenieur* innen (FH  - Diplom/Bachelor) der Fachverrichtung Kraftfahrzeugtechnik“ aus. Darauf bewarb sich ein schwerbehinderter Mensch, der an einer Hochschule Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Kraftfahrzeugtechnik und Verbrennungskraftmaschinen studiert hatte. In seiner Bewerbung wies er ausdrücklich auf seine Schwerbehinderung hin.
 

Die Reaktion der öffentlichen Arbeitgeberin

Die für Personalentscheidungen zuständige Auswahlkommission entschied sich dazu, den schwerbehinderten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
 

Die Reaktion des Bewerbers

Der Bewerber war der Ansicht, die Arbeitgeberin habe ihn benachteiligt. Denn er habe keine Möglichkeit gehabt, in einem Vorstellungsgespräch für sich zu werben und die Arbeitgeberin von sich zu überzeugen.
Deshalb erhob er Klage beim Arbeitsgericht. Sein Ziel war, Schadensersatz von der Arbeitgeberin zu bekommen, weil sie ihn nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte.
 

Die Argumentation der Arbeitgeberin

Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, sie habe den Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen. Zum einen sei er für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich ungeeignet gewesen. Denn er sei als Hochschulabsolvent dafür überqualifiziert. Zum anderen müsse sie den Kreis der Bewerber*innen klein halten. Dies sei erforderlich, weil sich das Bewerbungsverfahren umso personal-und zeitintensiver darstelle, je mehr Vorstellungsgespräche zu führen seien.
 

Die Entscheidungen der Gerichte

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben dem Kläger Recht.
 

Die Begründung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht weist zunächst darauf hin, dass nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen vorliege. Ein solcher Verstoß sei bereits, schwerbehinderte Menschen nicht in die Auswahl einbeziehen, sondern vorab auszusondern.
Die Benachteiligung liege dabei in der Versagung einer Chance.
Dann setzt es sich mit den Argumenten der Arbeitgeberin auseinander.
 

Die offensichtliche Ungeeignetheit

Einen schwerbehinderten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, sei nur zulässig, wenn er offensichtlich die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle nicht besitze. Dies sei beim Kläger aber gerade nicht der Fall. Nicht einmal die Arbeitgeberin habe schließlich bestritten, dass der Kläger aufgrund seines fachspezifischen Hochschulabschlusses in der Lage sei, die ausgeschriebene Stelle auszufüllen. Insbesondere spreche die der Zusatz „FH  - Diplom/Bachelor“ nicht gegen eine fachliche Eignung. Im Gegenteil: wenn schon ein Fachhochschulabsolvent für die Stelle geeignet sei, müsse dies für einen Hochschulabsolventen erst recht gelten. Es sei deshalb nicht zulässig, wegen der Hochschulausbildung anstelle eines Fachhochschulstudiums auf die offensichtliche fachliche Ungeeignetheit zu schließen.
 

Das personal- und zeitintensive Bewerbungsverfahren

In diesem Zusammenhang weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass personalpolitische Erwägungen eine Ausnahme von der Einladungspflicht begründen können. Solche Erwägungen könnten etwa sein, dass eine Arbeitgeberin in ihrem Betrieb Unzufriedenheit wegen unterwertiger Beschäftigung der Hochschulabsolventen oder wegen fehlender Aufstiegschancen der Fachhochschulabsolventen befürchtet. Aber die Arbeitgeberin habe keinerlei Tatsachen vorgetragen, die einen Rückschluss auf solche personalpolitischen Erwägungen zuließen.
Die Frage der Personal- und Zeitintensität des Bewerbungsverfahrens sei dagegen rein personalwirtschaftlicher Natur. Die Arbeitsbelastung der Personen, die auf Seiten der Arbeitgeberin am Vorstellungsgespräch teilnehmen, dürfe sich nicht zu Ungunsten des Bewerbers auswirken. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich  - wie im vorliegenden Fall  - insgesamt nur zwei schwerbehinderte Menschen für die Stelle bewerben.
 
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 29. August 2019 – 5 Sa 375 öD/18

Rechtliche Grundlagen

§ 165 SGB IX Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber

Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 156). Mit dieser Meldung gilt die Zustimmung zur Veröffentlichung der Stellenangebote als erteilt. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Einer Inklusionsvereinbarung nach § 166 bedarf es nicht, wenn für die Dienststellen dem § 166 entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden.