© Adobe Stock - Von MQ-Illustrations und Von Christian
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Eine Europäische Richtlinie, die mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit von Arbeitsbedingungen fordert, musste umgesetzt werden. So wurde ab dem 1. August 2022 das Nachweisgesetz verschärft.

 

Mündliche Arbeitsverträge

 

Vielfach wurden in der Vergangenheit keine schriftlichen Arbeitsverträge geschlossen. Oder überholte Bedingungen aus einem alten Vertrag wurden nie angepasst.

 

Neumanns Firma kam irgendwann mit einem neuen Arbeitsvertrag um die Ecke. Zum Glück war er vorgewarnt. Denn es standen darin nicht nur Anpassungen, sondern er las auf einmal etwas von freiwilligen Sonderzahlungen, obwohl er immer Weihnachts- und Urlaubsgeld vorbehaltlos erhalten hat. Den Vertrag hat er nicht unterschrieben, was sein gutes Recht ist.

 

Die bisherige Lage

 

Das alte Nachweisgesetz fristete selbst unter Juristen ein Schattendasein. Versäumnisse von Arbeitgebern blieben sanktionslos und das Gesetz wurde

in Rechtsstreiten als Strohhalm verwendet, wenn z.B. Fristen versäumt wurden, die ohne einen Nachweis gar nicht beachtet werden konnten.  

 

Bei kirchlichen Arbeitgebern kann ein Schadensersatzanspruch bestehen, wenn sie den Beschäftigten die Ausschlussfristen, die durch kirchliche Arbeitsrechtregelungen gelten, nicht schriftlich nachweisen. So urteilte das Bundessozialgericht (BAG vom 30.10.2019 - 6 AZR 465/18). Macht ein Arbeitnehmer einen solchen Anspruch geltend, kann er verlangen, so gestellt zu werden, als ob er die Ausschlussfrist nicht versäumt hätte.

Das Sächsische Landesarbeitsgericht (Urteil vom 27.8.2021 - 2 Sa 360/20) hat trotz Verletzung der Nachweispflicht eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden vermisst. Es wurde eine Ausschlussfrist des Tarifvertrags AVR (Kirche) vom dortigen Kläger versäumt, obwohl die Parteien den entsprechenden Tarifvertrag schon seit Jahren anwendeten und dem Kläger auch die Frist bekannt war. Wenn dann die Frist versäumt wird, sei von einem überwiegenden Mitverschulden des dortigen Klägers auszugehen.

 

Keine Beweislastumkehr

 

Neumann war bei seiner Einstellung ein Stundenlohn von 16 € brutto versprochen worden, auf der Abrechnung stehen nur 14 € brutto. Er reklamiert das höflich und wartet erst mal ab. Er fürchtet, er kann die Zusage nicht beweisen und, da die Wartezeit von sechs Monaten für den Kündigungsschutz noch nicht vorbei ist, dass er wieder entlassen wird. Vielleicht kommt ja der schriftliche Nachweis, hofft er. Der kommt aber nicht.

 

Bei einer Klage gegen die Firma ist grundsätzlich derjenige beweisbelastet, der einen Anspruch behauptet, hier also Neumann. Da es ein Vieraugengespräch mit dem Chef war, geht er in diesem Fall leer aus. Wäre wegen einem Verstoß gegen das Nachweisgesetz sein Chef beweisbelastet, würde die Sache zugunsten von Neumann ausgehen.

 

Mögliche Beweiserleichterung

 

Neumann findet das ungerecht. Da vereitelt der Arbeitgeber durch die Nichterteilung der gesetzlich vorgeschriebenen Auskunft doch quasi seine Beweismöglichkeit.

Ein bisschen Drehen an der Beweislast ist eventuell möglich. So könnte Neumann besondere Umstände vortragen, z.B., dass in der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ein höheres Entgelt stand, oder, dass er nach der Einstellung direkt einem Dritten erzählt hat, was er zum Verdienst in seiner Bewerbung angegeben hat. Diese konkreten Umstände können zur Folge haben, dass das Gericht an seinen Arbeitnehmervortrag nicht so hohe Anforderungen stellt und es letztlich dann doch noch zu einer Art Beweislastumkehr kommt.

 

Das neue Nachweisgesetz

 

Mit dem neuen Gesetz wurde die Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts umgesetzt.

 

Ab dem 1. August 2022 gibt es eine Vielzahl von Bedingungen im Arbeitsverhältnis, die vom Arbeitgeber schriftlich bestätigt werden müssen.

  • Befristung Ende /Dauer oder Zweck
  • Arbeitsort und/oder Hinweis, dass sich dies ändern könnte
  • Höhe des Arbeitsverdienstes im Einzelnen auch die Zusammensetzung
  • Besonderheiten bei der Arbeit auf Abruf
  • Info über betriebliche Altersvorsorge
  • Info über Fortbildungen
  • Belehrung über Kündigung, Form, Kündigungsfristen und Klagemöglichkeit

 

Fristen und Schriftform

 

Die Fristen sind unterschiedlich und betragen zwischen sieben Tagen und einem Monat. Grundsätzlich gilt dies für Arbeitsverträge ab dem 1.8.2022.

Neumanns Arbeitsverhältnis bestand schon vorher. Dennoch kann er sich auf das neue Gesetz berufen und kann vom Arbeitgeber verlangen, ihm die Bedingungen seines Arbeitsverhältnisses schriftlich mitzuteilen. Ausdrücklich schriftlich regelt das Gesetz. Elektronisch reicht nicht.

 

Sanktion bis 2.000 €

 

In der Theorie klingt das wieder gut. Ohne Sanktionsmöglichkeit funktioniert das aber nicht. Das hat sich auch der Gesetzgeber gedacht und einen Verstoß als Ordnungswidrigkeit eingestuft, die mit einer Geldbuße bis 2.000 € bestraft werden kann. Dazu kann es kommen, wenn Vertragsbedingungen nicht, oder nicht richtig, oder nicht vollständig in der vorgesehenen Frist schriftlich niedergelegt und ausgehändigt wurden.

 

Eine solche Sanktion hilft Neumann erst mal noch nicht weiter. Und die Zukunft wird zeigen, ob solche Sanktionen überhaupt verhängt werden. Nicht der Zoll oder die Agentur für Arbeit sind zuständig, sondern die obersten Landesbehörden.

 

Immer noch keine Beweislastumkehr

 

Auch das neue Gesetz enthält keine Beweislastumkehr. Wenn im Arbeitsverhältnis die Säumnis der Firma immer noch ohne Folgen bleibt, stellt sich die Frage, ob dann mit diesem neuen Gesetz die EU-Richtlinie genügend umgesetzt war. Denn die Staaten sind verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind das Richtlinienziel -  hier die Transparenz und Vorhersehbarkeit der Arbeitsbedingungen - zu erreichen. Wenn Arbeitgeber den Verpflichtungen nicht nachkommen, kann dies als Beweisvereitelung angesehen werden, um dann wieder weniger Anforderungen an den Vortrag der klagenden Arbeitnehmer*innen zu stellen. Das wird vor den Arbeitsgerichten wieder viel Diskussion geben.

Das sagen wir dazu:

Es sieht so aus, als habe den Gesetzgeber auf halber Strecke der Mut verlassen. Es hat nichts mit Dokumentationswahnsinn zu tun, wenn eigentlich Selbstverständliches schriftlich bestätigt werden soll. Das hat was mit Fairness und Waffengleichheit zu tun.

 

Und aufgepasst, wenn unter diesem „Mantel“ Arbeitsverträge neu gefasst werden sollen. Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin muss die bestehenden Vertragsbedingungen bestätigen und nicht die Beschäftigten einer Vertragsänderung zustimmen.