Die Klägerin hatte sich auf eine Stelle als Sachbearbeiterin im öffentlichen Dienst beworben. Insgesamt waren dort vier Bewerbungen eingegangen. Der Arbeitgeber hielt die Klägerin für fachlich geeignet und teilte ihr mit, sie habe sich im Auswahlverfahren durchgesetzt.
Vor der Einstellung erfolgte auf Veranlassung des Arbeitgebers eine betriebsärztliche Untersuchung. Diese ergab gesundheitliche Bedenken wegen eines bei der Klägerin vorliegenden Augenzitterns. Im betriebsärztlichen Bericht hieß es,
„dringend augenärztliche Kontrolluntersuchung, leidensgerechter Arbeitsplatz erforderlich, Überbeanspruchung der Augen vermeiden, individuelle Bildschirmpausen, Bildschirmlupe, großer Monitor, Sehhilfen, Stuhl mit verkürzter Sitztiefe, Fußstützen“.
Die Betroffene erhielt die Mitteilung, sie sei für den ausgeschriebenen Posten nicht geeignet. Aus Gründen der Sorgfaltspflicht könne man sie nicht einstellen.
Der Arbeitgeber schrieb die Stelle erneut öffentlich aus
Mit einer Neuausschreibung der Stelle war die Klägerin nicht einverstanden. Sie leitete mit Unterstützung des DGB Rechtsschutzes ein Eilverfahren vor dem Arbeitsgericht Erfurt ein und gewann den Prozess.
Ihr Prozessbevollmächtigter argumentierte im Verfahren, die Klägerin sei sehr wohl für den ausgeschriebenen Posten geeignet sei und mit einer Verschlimmerung der Erkrankung müsse nicht gerechnet werden. Außerdem habe die Beklagte den maßgeblichen Grund für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens nicht schriftlich dokumentiert. Eine solche Dokumentation sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich, um dem Gericht die Möglichkeit zu verschaffen, die Beweggründe für den Abbruch nachvollziehen zu können. Darauf dürfe ein Arbeitgeber nicht verzichten.
Auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren gilt Art. 33 Abs. 2 GG
Die Klägerin habe einen Anspruch auf Fortsetzung des streitgegenständlichen Stellenbesetzungsverfahrens, da sein Abbruch den Bewerbungsverfahrensanspruch der Klägerin aus Art. 33 Abs. 2 GG verletze, entschied das Gericht.
Die Klägerin habe sowohl einen Verfügungsgrund als auch einen Verfügungsanspruch. Entgegen der Ansicht der Beklagten liege ein Verfügungsgrund bereits darin, dass effektiver Rechtsschutz gegen einen unberechtigten Abbruch eines Auswahlverfahrens nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erlangt werden könne.
Die Klägerin begehre die zeitnahe Fortführung des begonnenen Auswahlverfahrens mit dem bestehenden Bewerberkreis. Dies könne sie durch eine einfache Klage im Hauptsacheverfahren nicht erreichen. Ihr Rechtsschutzbegehren sei auf eine sofortige Verpflichtung der Beklagten gerichtet, das Auswahlverfahren fortzuführen. Das könne sie nur im Wege des Eilrechtsschutzes verwirklichen.
Bewerber haben ein Recht auf gleiche Chancen Verfahren
„Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter im Sinne dieser Vorschrift sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch solche Stellen, die ein öffentlicher Arbeitgeber mit Arbeitnehmern zu besetzen beabsichtigt. Der unbeschränkt und vorbehaltlos gewährleistete Grundsatz der Bestenauslese dient zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes. Zum anderen trägt die Verfassungsnorm dem berechtigten Interesse der Bediensteten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung, dass sie grundrechtsgleiche Rechte auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet. Beamten und Arbeitnehmern steht deshalb bei der Besetzung von Ämtern des öffentlichen Dienstes ein verfassungsrechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch zu. Daraus folgt angesichts der Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in Art. 33 Abs. 2 GG ein subjektives Recht jedes Bewerbers auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren.“
So heißt es im Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt. Der aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende Bewerbungsverfahrensanspruch setze dem Grundsatz nach voraus, dass die begehrte Stelle noch nicht besetzt sei. Eine neue Entscheidung sei nicht möglich, wenn die Stelle dem erfolgreichen Konkurrenten rechtswirksam auf Dauer übertragen worden und damit nicht mehr verfügbar sei. Unterlegene Bewerber hätten regelmäßig keinen Anspruch auf „Wiederfreimachung“ oder Doppelbesetzung der Stelle.
Der Abbruch des Verfahrens kann rechtlich zulässig sein
Der Bewerbungsverfahrensanspruch könne durch einen Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens erlöschen. Der Abbruch müsse aber in rechtlich zulässiger Weise erfolgt sein.
Der Abbruch könne aus der Organisationsgewalt des öffentlichen Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Danach habe der öffentliche Arbeitgeber darüber zu entscheiden, ob und wann er welche Statusämter zur Besetzung bereithalte. Deshalb könne er das Verfahren abbrechen, weil er die Stelle, die dem erfolgreichen Bewerber übertragen werden sollte, nicht mehr besetzen will.
Ebenso stelle es einen sachlichen, dem Organisationsermessen zugehörigen Grund für einen Abbruch dar, wenn der öffentliche Arbeitgeber sich entschlossen habe, die Stelle neu zuzuschneiden. Im Übrigen bedürfe der Abbruch eines Auswahlverfahrens eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genüge.
Der öffentliche Arbeitgeber könne demnach das Auswahlverfahren zum Beispiel abbrechen, wenn es fehlerhaft sei und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen könne. Genüge die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, sei sie unwirksam und der Arbeitgeber müsse das in Gang gesetzte Auswahlverfahren fortführen. Eine Neuausschreibung dürfe dann nicht erfolgen.
Der Arbeitgeber muss den Grund für den Abbruch nennen
Bewerber:innen müsse der Arbeitgeber rechtzeitig und in geeigneter Form über den Abbruch informieren. Er müsse dabei unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er das Stellenbesetzungsverfahren ohne Stellenbesetzung endgültig beenden wolle. Den dafür maßgeblichen Grund müsse er schriftlich dokumentieren, sofern er sich nicht augenfällig aus dem Vorgang selbst ergebe.
Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens verletze den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Bewerber:innen könnten daher bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitze, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen.
Die Beklagte des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht hatte den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens nicht ausreichend dokumentiert. Es habe aber vor allem auch keinen ausreichenden sachlichen Grund für den Abbruch gegeben. Die Beklagte habe die Klägerin aus nicht nachvollziehbaren Gründen routinemäßig einer Einstellungsuntersuchung unterzogen.
Arbeitgeber darf Untersuchung beim Betriebsarzt nicht anordnen
Eine rechtmäßige ärztliche Einstellungsuntersuchung komme nur dann in Betracht,
wenn durch den Gesundheitstest festgestellt werden solle, ob der:die Bewerber:in gesundheitlich die Arbeitstätigkeit erbringen könne, ohne dabei sich oder Dritte zu gefährden.
Es reiche nicht aus, wenn nur abstrakt die mögliche Leistungsfähigkeit getestet werden solle. Dabei könne der Arbeitgeber auch grundsätzlich nicht rechtmäßig durchsetzen, dass die Untersuchung durch einen Betriebsarzt erfolgen solle. Vielmehr könnten Bewerber:innen frei entscheiden, von welchem Arzt sie sich untersuchen lassen möchten.
Der Arbeitgeber genügte seiner Darlegungslast nicht
Für das Gericht war nicht ersichtlich, auf Grund welcher konkreten Umstände die Beklagte die gesundheitlichen Nichteignung der Klägerin für die Tätigkeit auf der ausgeschriebenen Stelle angenommen hatte. Die Beklagte selbst müsse deren körperliche und psychische Eignung feststellen und die Auswirkungen auf das Leistungsvermögen bestimmen. Die Verantwortung für die Entscheidung dürfe sie nicht ausschließlich einem Betriebsarzt übertragen.
Die Beklagte hätte deshalb dem Gericht darlegen müssen, aufgrund welcher Umstände die Klägerin entweder den Anforderungen nicht gewachsen sein sollte oder dabei die Gefahr bestehe, die Klägerin könne sich oder Dritte gefährden. Das sei nicht geschehen.