Das kann bei einer Vertragsstrafe zum Glück nicht passieren. Copyright by Adobe Stock/BortN66
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Mit dieser Problematik hat sich das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 30. Oktober 2020 beschäftigt.
 

Der Arbeitsvertrag

Am 7. Oktober 2019 begann ein Paketzusteller mit der Arbeit bei der neuen Firma. Vorher hatte er ein vom Arbeitgeber vorgelegtes Vertragsformular unterschrieben, auf dessen Inhalt der Paketzusteller keinerlei Einfluss hatte.
 
Im Arbeitsvertrag war ein Stundenlohn von 10,00 € brutto vereinbart. Die Arbeitszeit sollte „bis zu 195 Stunden monatlich“ betragen.
 
Darüber hinaus war geregelt, dass der Paketzusteller  „im Falle der schuldhaften Nichtaufnahme oder schuldhaften vertragswidrigen Beendigung der Tätigkeit . . . während der Probezeit eine Vertragsstrafe in Höhe der Vergütung für zwei Wochen“  bezahlen muss.
 

Ein kurzes Arbeitsverhältnis

Bereits am 22. Oktober 2019 kündigte der Paketzusteller das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.
Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass der Paketzusteller keinen Grund für seine fristlose Kündigung gehabt habe. Deshalb müsse er die Vertragsstrafe bezahlen.
 

Es kommt zum Prozess vor dem Arbeitsgericht

Der Paketzusteller ist der Auffassung, sein Arbeitgeber schulde ihm noch Lohn. Diese Forderung klagt er beim Arbeitsgericht ein.
Der Arbeitgeber möchte die Vertragsstrafe durchsetzen.
Das Arbeitsgericht entscheidet, dass der Vergütungsanspruch des Klägers besteht. Die wirksame Vereinbarung einer Vertragsstrafe sehen die Richter*innen dagegen nicht.
 

Der Arbeitgeber wendet sich an das Landesarbeitsgericht

Der Arbeitgeber ist weiter der Auffassung, dass dem Kläger keine Vergütung mehr zustehe. Außerdem verfolgt der Arbeitgeber sein Ziel „Vertragsstrafe“ weiter. Dabei geht er zweigleisig vor. Zum einen rechnet er den Vergütungsanspruch des Klägers gegen den Anspruch auf Vertragsstrafe auf. Für den Fall, dass eine solche Aufrechnung unzulässig wäre, erhebt er Widerklage auf Bezahlung der Vertragsstrafe.
 

Die Entscheidung des Berufungsgerichts

Die Richterinnen beschäftigen sich nacheinander mit zwei Fragestellungen:
 

  • Hat der Kläger Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung?
  • Hat der Arbeitgeber Anspruch auf Bezahlung der Vertragsstrafe?

Der Vergütungsanspruch

Zunächst stellen die Richter*innen fest, der Kläger habe im Einzelnen vorgetragen, an welchen Tagen er wie viel gearbeitet habe. Da der Arbeitgeber zu diesem Vortrag nicht detailliert entgegengetreten sei, gehe das Gericht davon aus, dass die angegebenen Arbeitszeiten richtig seien. Dementsprechend bestehe auch die vom Kläger geltend gemachte Vergütungsforderung.
 

Der Anspruch auf Bezahlung der Vertragsstrafe

Mit der Aufrechnung beschäftigt sich das Berufungsgericht nur kurz. Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches ist eine Aufrechnung nur gegen eine Forderung zulässig, bei der eine Pfändung möglich ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn  - wie beim Kläger  - die Forderung unterhalb der Pfändungsfreigrenzen liegt.
 
Auch die Widerklage des Arbeitgebers ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichtes nicht begründet.
Bei dem Vertragsformular, das der Kläger unterschrieben hat, handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers. Denn das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt, dass ein Vertragsformular, auf dessen Inhalt Arbeitnehmer*innen aufgrund der Vor-Formulierung keinen Einfluss nehmen können, Allgemeine Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers sind.
 
Für solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt das Transparenzgebot. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar, verständlich und durchschaubar darzustellen. Daraus folgt, dass die Voraussetzungen und der Umfang der Vertragsstrafe so klar formuliert sein müssen, dass Arbeitnehmer*innen bereits bei Vertragsabschluss erkennen können, was auf sie zukommen kann.
 
Die Klausel mit der Vertragsstrafe im Fall des Paketzustellers erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
 
Es ist zwar geregelt, dass die Vertragsstrafe während der Probezeit der Vergütung für zwei Wochen entsprechen soll. Aber unklar bleibt, wie hoch diese Vergütung ist. Denn aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich nicht, wie viele Stunden pro Woche zu arbeiten sind. Der Angabe „bis zu 195 Stunden monatlich“  ist nicht zu entnehmen, wie viel Stunden die Arbeitspflicht tatsächlich umfasst. Damit ist auch nicht vorhersehbar, wie hoch der Betrag der Vergütung für zwei Wochen sein wird.
 
Da zudem Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Arbeitgebers gehen, ist die Vereinbarung der Vertragsstrafe unwirksam.
 

Das Ergebnis

Der Paketzusteller kann also seine gesamte Vergütung behalten. Er muss keine Vertragsstrafe bezahlen.

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Oktober 2020