Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hat den Klagen von zwei Fahrradkurieren stattgegeben, die ihren Arbeitgeber auf entsprechende Ausrüstung verklagt hatten.

Kuriere müssen eigene Fahrräder und Smartphones nutzen

Beide Auslieferer waren bei einem Lieferdienst beschäftigt, der Bestellungen von Essen und Getränken bei Restaurants abholt und zu den Kunden bringt. Einer der Fahrer hatte gefordert, dass sein Arbeitgeber ihm für seine Tätigkeit ein Fahrrad und ein Smartphone zur Verfügung stellt. Sein Kollege forderte lediglich ein Smartphone.

In den Arbeitsverträgen war festgelegt, dass sie während der Einsätze Ausstattung des Lieferdienstes benutzen, wofür sie ein Pfand von 100 € hinterlegen müssen. Zu diesem Equipment gehören weder das Fahrrad noch ein Smartphone.

Ein Smartphone benötigen die Fahrer, um die Aufträge über die App des Lieferdienstes abzuarbeiten. Die Fahrer sind zudem verpflichtet, ihre Fahrräder nur in verkehrstauglichem Zustand zu nutzen. Der Arbeitgeber gewährt hierfür 0,25 € pro gearbeiteter Stunde für Fahrradreparaturen.

Arbeitgeber muss für Ausrüstung sorgen

Das LAG gab den Kurierfahrern Recht und änderte damit das Urteil der Vorinstanz ab. Diese hatte die Klagen noch abgewiesen.

Dabei prüfte das Gericht die Vertragsklauseln am Maßstab der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Danach sind beispielsweise Klauseln unwirksam, die den anderen Vertragspartner unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung unterstellt das Gesetz, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist, von der abgewichen wird.

Nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts ist es der Arbeitgeber, der seinen Beschäftigten die Ausrüstung zur Verfügung stellen muss, mit denen diese arbeiten.

Klausel benachteiligt Kurierfahrer unangemessen

Entsprechend hatte das LAG keinen Zweifel daran, dass die Regelung, nach der die Kurierfahrer Fahrrad und Smartphone selbst mitbringen müssen, ohne hierfür einen finanziellen Ausgleich zu erhalten, die Kurierfahrer unangemessen benachteiligt.

Betriebsmittel und deren Kosten seien nach der gesetzlichen Wertung vom Arbeitgeber zu übernehmen. Er trage auch das Risiko, wenn diese nicht einsatzfähig seien. Damit müsse der Lieferdienst Fahrrad beziehungsweise Smartphone zur Verfügung stellen.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Das LAG hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

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Pressemitteilung des LAG Hessen

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Das sagen wir dazu:

Der Fahrradkurier bringt sein eigenes Fahrrad mit und muss dafür sorgen, dass es immer verkehrstüchtig ist? Das klingt nicht nur schräg, es verstößt auch in eklatanter Weise gegen das Grundprinzip des Arbeitsrechts, nach dem der Arbeitgeber das unternehmerische Risiko trägt – im Gegenzug allerdings den unternehmerischen Erfolg einfährt.H2: Gesetz unterbindet Verlagerung des unternehmerischen RisikosDer Arbeitnehmer muss seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen – mehr nicht. Für die Ausstattung mit Arbeitsmaterial ist der Arbeitgeber verantwortlich. Die Regelung im Fall dreht dieses Verhältnis um. Die Fahrradkuriere tragen damit einen Teil des unternehmerischen Risikos, ohne die Aussicht zu haben, vom unternehmerischen Erfolg zu profitieren.Das Gesetz hat auf derartige Konstrukte eine klare Antwort: Es hält sie solange für unwirksam, wie der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass diese Regelung die Beschäftigten nicht unangemessen benachteiligt. Das Gesetz „vermutet“ eine Benachteiligung – und liegt damit meistens richtig.H2: Auf den Kosten muss der Arbeitnehmer nicht sitzen bleibenFür eine Nutzung der privaten Ausrüstung spricht, dass die Fahrer*innen sich möglicherweise auf dem eigenen Fahrrad wohler fühlen und damit sicherer bewegen als mit einem Dienstrad und dass sie das private Smartphone in der Regel ohnehin dabei haben und es auch in ihrem Interesse liegen kann, nicht ein weiteres Gerät mitzuschleppen.Aber auch dann ist nicht einzusehen, warum die Kuriere auf den hieraus resultierenden Kosten (Datenvolumen bzw. Reparaturkosten) sitzen bleiben sollen. Hätte der Arbeitgeber Regelung in den Arbeitsvertrag aufgenommen, nach der diese Kosten übernimmt – und nicht nur eine Pauschale zahlt, die im Zweifel die realen Kosten nicht deckt – , wäre das Urteil mit hoher Wahrscheinlichkeit anders ausgegangen.

Rechtliche Grundlagen

§ 307 BGB

Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.