Die von der DGB Rechtsschutz GmbH vertretene Klägerin ist bei einer Stadt in Baden-Württemberg beschäftigt. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit im Verkehrsbüro kam sie zum „Tourist Office“. Schließlich setzte ihr Arbeitgeber sie als Beauftragte für Städtepartnerschaften ein. Während dessen absolvierte sie berufsbegleitend ein Bachelorstudium „Betriebswirtschaft - Tourismus“.
Hierbei übte sie ihre Arbeit in Teilzeit und im Home-Office aus. Der Arbeitgeber erklärte sich damit ausdrücklich einverstanden. Ihre Vergütungsgruppe änderte sich nicht. Nach Abschluss des Studiums führte sie die Koordinationsaufgaben im Bereich der Städtepartnerschaften weiter. Für drei Monate vereinbarte sie mit dem Arbeitgeber, die Arbeitszeit auf Vollzeit zu erhöhen.
Die Personalakte enthielt einen Vermerk zum befristeten Einsatz
In die Personalakte vermerkte der Arbeitgeber, dass die Arbeitszeit befristet erhöht werde. Zum damaligen Zeitpunkt sei noch nicht klar gewesen, inwiefern die Klägerin mit ihrer neuen Qualifikation eingesetzt werden könne.
Der Arbeitgeber wies sodann für ein Haushaltsjahr eine Stelle im Bereich Tourismus im Stellenplan aus. Er übertrug der Klägerin diese Tätigkeit und einige Jahre später sogar die kommissarische Leitung des Bereiches Tourist Information.
Klägerin wurde trotz allem dem Bereich Wirtschaftsförderung zugewiesen
Nichtsdestotrotz erhielt sie kurze Zeit später die Mitteilung, sie werde befristet in den Bereich Wirtschaftsförderung zugewiesen. Sie erklärte sich hiermit nicht einverstanden. Dennoch wurde sie später diesem Bereich dauerhaft zugewiesen.
Dort wollte sie jedoch nicht bleiben. Mit Blick auf ihr abgeschlossenes Studium der Betriebswirtschaft im Fach Tourismus klagte sie beim Arbeitsgericht die Weiterbeschäftigung in diesem Einsatzbereich ein.
Die Tätigkeiten erforderten stets entsprechende Fachkenntnisse
Die Prozessvertreterin der Klägerin wies im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ausdrücklich darauf hin, dass die Klägerin im Bereich Kultur und Tourismus langjährig beschäftigt gewesen sei. In allen Tätigkeiten habe sie Fachkenntnisse aus dem Bereich Tourismus benötigt.
Damit seien Umstände gegeben, auf die sie habe Vertrauen können. Dieses Vertrauen sei schutzwürdig gewesen. Das ergebe sich zum einen daraus, dass sie ein Bachelor-Studium absolviert habe. Dieses Studium sei auch auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt. Das zeige ein Vermerk in der Personalakte. Dort werde nämlich darauf hingewiesen, dass sie das Studium im Rahmen der Personalentwicklung vorgenommen habe. Der Arbeitgeber habe das Studium damit nicht nur ermöglicht, sondern sie studienbegleitend einschlägig weiter beschäftigt und unterstützt.
Klägerin sieht besondere Umstände, die schutzwürdiges Vertrauen hervorrufen
Damit seien Umstände anzunehmen, die schutzwürdiges Vertrauen hervorriefen. Dies gelte umso mehr, als die Klägerin entsprechend ihrer Qualifikation im Anschluss an das Studium weiter beschäftigt worden sei. Eigens für sie sei sogar eine Stelle geschaffen worden. Man habe der Klägerin im Rahmen dieses Angebotes sogar Aufstiegsmöglichkeiten zur Stellvertreterin der Abteilung aufgezeigt. Der Arbeitgeber habe ihr darüber hinaus umfangreiche Verantwortung im Hinblick darauf übertragen. Schließlich habe sie auch an einem Konzept für eine langfristige Gestaltung des Tourismus gewirkt.
Der Arbeitgeber im Verfahren schloss sich dieser Argumentation nicht an. Immerhin sei die Klägerin nicht durchgehend im entsprechenden Bereich eingesetzt gewesen. Vor allem begründe das Studium der Klägerin keinen Anspruch darauf, für alle Zeit im Bereich Kultur und Tourismus zu arbeiten. Allein der Umstand, dass ihr die Möglichkeit zum Studium eingeräumt worden sei, bedeute nicht, dass sich der Arbeitgeber hieran habe binden wollen.
Eine Konkretisierung der Arbeitspflichten ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen
Schon 2011 hatte das Bundesarbeitsgericht in ähnlichem Zusammenhang entschieden, es sei nicht ausgeschlossen, dass sich Arbeitspflichten im Arbeitsverhältnis nach längerer Zeit so konkretisierten, dass nur noch bestimmte Arbeitsbedingungen gelten.
Dem schloss sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg nun grundsätzlich an.
Wird das Direktionsrecht über einen längeren Zeitraum nicht ausgeübt, schafft das kein schutzwürdiges Vertrauen
Übt der Arbeitgeber das Direktionsrecht über einen längeren Zeitraum hinweg nicht aus, schaffe er regelmäßig kein besonderes Vertrauen, so das LAG. Er signalisiere damit auch nicht, von einem weitergehenden Direktionsrecht keinen Gebrauch machen zu wollen.
Nicht ausgeübtes Direktionsrecht habe keinen besonderen Erklärungswert. Erst wenn besondere Umstände hinzuträten, könne das anders sein. Es müsse sich dabei um solche Umstände handeln, auf welchen das Vertrauen basiere, nicht mehr in anderer Weise eingesetzt zu werden. Erst dann könne es ohne eine ausdrückliche Erklärung dazu kommen, dass die Ausübung des Direktionsrechts vertraglich beschränkt sei.
Auch die Zeitdauer ist von Bedeutung
Das LAG Baden-Württemberg ergänzt diese Ausführungen dahingehend, dass auch die Zeitdauer von Bedeutung sei, in der ein Arbeitnehmer eine bestimmte Stellung innehabe. Je länger dieser Zeitraum sei, desto geringere Anforderungen seien an das Vorliegen zusätzlicher Umstände zu stellen.
Aber es komme im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob die Klägerin durchgehend im Bereich Kultur und Tourismus eingesetzt worden sei. Dass der Arbeitgeber das Studium ermöglicht und unterstützt habe, sei nämlich kein Umstand, der besonderes Vertrauen in eine dauerhafte Beschäftigung im Bereich Kultur und Tourismus begründe.
Es sei auch ohne rechtliche Bedeutung, ob der Arbeitgeber das berufsbegleitende Studium veranlasst habe. Unerheblich sei darüber hinaus eine etwaige finanzielle Unterstützung der Klägerin. Aus diesem Verhalten des Arbeitgebers könne nicht der Schluss gezogen werden, dass die Klägerin nach Abschluss des Studiums dauerhaft nur noch im Bereich Kultur und Tourismus eingesetzt werden sollte. Nur dann nämlich hätte bei ihr ein schutzwürdiges Vertrauen entstehen können.
Die Unterstützung der Weiterqualifizierung legt den Arbeitgeber nicht festass der Arbeitgeb
Wenn der Arbeitgeber eine Weiterbildung ermögliche oder fördere, stelle das noch kein Verhalten dar, aus dem die/der Arbeitnehmer*in schließen könne, die Möglichkeinen ihres/seines Einsatzes seien fortan beschränkt. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Arbeitsvertrag lediglich eine Vergütungsgruppe festlege.
Diese Vertragsgestaltung sei im öffentlichen Dienst häufig verbreitet. Sie habe zur Folge, dass sich das Direktionsrecht auf alle Tätigkeiten erstrecke, deren Merkmale in der Vergütungsgruppe des entsprechenden Arbeitnehmers aufgeführt seien. Ein Arbeitgeber, der seinen Vertrag so formuliere, lasse erkennen, dass er ein weites Direktionsrecht zur Grundlage des Arbeitsverhältnisses machen möchte. Mit einer Anregung und Förderung von Weiterqualifizierungen gebe er dieses weite Direktionsrecht nicht auf.
Arbeitgeber profitiert von der Weiterqualifizierung
Zwar liege es nahe profitiere er bei einem entsprechenden Einsatz des Arbeitnehmers hiervon. Aber auch das lasse, dass der Arbeitgeber bei der Förderung einer Weiterqualifizierung auch ein eigenes Interesse habe. Schließlich nicht den Schluss zu, dass sich der Arbeitgeber hier derart binden wollte, die Klägerin dauerhaft nur noch auf bestimmte Weise einzusetzen. Einen Nutzen habe er nämlich bereits dann, wenn er sie nur vorübergehend entsprechend der erworbenen Qualifizierung einsetze.
Darüber hinaus könnten den Arbeitgeber andere Gründe bewogen haben, die Qualifizierung eines Beschäftigten zu fördern. Dies gelte z.B., wenn er eine*n Arbeitnehmer*in halten möchte, der/ die ihn sonst verlassen würde. Denkbar sei auch, er habe dem/der Arbeitnehmer*in eine Chance geben wollen, sich auf dem Arbeitsmarkt anderweitig zu orientieren.
Vorübergehende Tätigkeit im gewünschten Bereich ist kein besonderer Umstand
Auch der Umstand, dass der Klägerin nach Abschluss des Studiums eine Tätigkeit im gewünschten Bereich angeboten und zugewiesen wurde, sei kein Umstand, der das Arbeitsverhältnis habe konkretisieren können. Dies gelte selbst dann, wenn die Stelle im Stellenplan vorgesehen gewesen sei. Es sei dabei nämlich nur um den Stellenplan für ein bestimmtes Jahr gegangen. Dies könne jedoch nicht bedeuten, dass die Stelle dauerhaft Bestand haben sollte.
Die Klägerin habe zwar zunehmend immer verantwortungsvollere Aufgaben im Bereich Tourismus verrichtet. Auch das begründe jedoch kein besonderes Vertrauen. Aus dem Grad der Verantwortung einer Tätigkeit lasse sich nämlich nicht schließen, dass es ein besonderes Vertrauen auch hinsichtlich des Inhalts der Tätigkeit gebe. Die Übertragung verantwortungsvoller Aufgaben schränkten den Arbeitgeber inhaltlich nicht ein.
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 10 Sa 17/19
BAG, Urteil vom 11. August 2011 – 10 AZR 202/10
Das sagen wir dazu:
„Eine sehr interessante Entscheidung zur Frage der Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses im öffentlichen Dienst“ bemerkt die zuständige Prozessbevollmächtigte Vira Domchak aus dem Büro Freiburg der DGB Rechtsschutz GmbH. Zwar konnte sie das Verfahren zugunsten der Klägerin nicht gewinnen, aber auch aus negativen Entscheidungen lassen sich oft wesentliche Erwägungen ziehen, die in der allgemeinen Praxis von Bedeutung sind.Die Besonderheit im öffentlichen Dienst liegt hier darin, dass regelmäßig im Vertrag nur eine bestimmte Eingruppierung genannt wird. Das gibt dem Arbeitgeber ein relativ breites Direktionsrecht. Beschäftigte können in sämtlichen Bereichen eingesetzt werden, die von der vereinbarten Vergütungsgruppe erfasst sind.Hier hatte die Klägerin zwar über viele Jahre hinweg verantwortungsvolle Tätigkeit im Bereich des Tourismus verrichtet. Diese waren auch vom Arbeitgeber zugewiesen worden. Des Weiteren hatte der Arbeitgeber sie in ihrem fachspezifischen Studium gefördert. All das reichte aber nicht, um annehmen zu können, dass er die Klägerin auch in diesem Bereich beschäftigen muss. Nur besondere Umstände hätten diese Annahme gerechtfertigt.„Besondere Umstände“ ist damit wesentlich mehr als bloße Anhaltspunkte. Das gilt es zu beachten. Arbeitnehmern*innen ist daher gegebenenfalls zu empfehlen, frühzeitig Nachweise für solche „besondere“ Umstände festzuhalten.Ansonsten bleibt es dabei, dass die Freiheit des Arbeitgebers, sein Direktionsrecht auszuüben, gerade im öffentlichen Dienst nur sehr schwer eingeschränkt werden kann.
Das sagen wir dazu