Der Arbeitgeber entscheidet in einem Arbeitsverhältnis grundsätzlich über Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit. Allerdings kann dieses Recht des Arbeitgebers durch den Arbeitsvertrag eingeschränkt werden. Das bestimmen § 611a BGB und § 106 Gewerbeordnung (GewO). Auch können die Umstände eines Arbeitsverhältnisses die Vertragsbedingungen konkretisieren. Anders als häufig angenommen reicht aber nicht aus, dass der Arbeitnehmer jahrelang an einem bestimmten Ort seine Arbeitsleistung erbracht hat. Das Bundesarbeitsgericht verlangt, dass weitere Umstände oder Erklärungen hinzutreten müssen, die den Arbeitnehmer zu der schutzwürdigen Annahme berechtigen, der Arbeitgeber werde ihn nur noch zu den bisherigen Arbeiten heranziehen.

Selbst wenn im Arbeitsvertrag ein Arbeitsort genannt wird, kann ein Arbeitgeber einen Beschäftigten versetzen, wenn ein Versetzungsvorbehalt geregelt ist

Wenn also in einem Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich ein bestimmter Arbeitsort vereinbart ist, kann der Arbeitgeber einen Beschäftigten auch gegen dessen Willen an einen anderen Arbeitsort versetzen. Das gilt selbst dann, wenn im Arbeitsvertrag ein Arbeitsort genannt wird, aber im Vertrag auch ein Versetzungsvorbehalt geregelt wird. Das Weisungsrecht darf dabei nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Das verlangt, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat.

Hier zahlt sich im Übrigen wieder einmal aus, wenn die Beschäftigten eines Betriebes einen Betriebsrat gewählt haben, wie es das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vorschreibt. Was eine „Versetzung“ ist, ist im Rahmen des BetrVG anders zu beurteilen als nach dem Arbeitsvertragsrecht. Hinsichtlich der Mitbestimmung kommt es auf die objektiven betrieblichen Gegebenheiten an. Auch wenn die Versetzung individualrechtlich möglich ist, darf sie nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats erfolgen, selbst wenn der Beschäftigte zugestimmt hat. Der Betriebsrat hat nämlich die Interessen aller Arbeitnehmer*innen des Betriebes zu berücksichtigen. Und die Veränderung der Arbeitsbedingungen bei einzelnen Beschäftigten kann sich auf die Arbeitsabläufe im Betrieb auswirken.

Gibt es einen Betriebsrat sind Beschäftigte besser geschützt

Wenn der Betriebsrat einen im Gesetz (§ 99 Absatz 2 BetrVG) genannten Grund hat, einer Versetzung nicht zuzustimmen, kann der Arbeitgeber die Maßnahme wirksam nicht anordnen. So kann der Betriebsrat etwa seine Zustimmung verweigern, wenn der betroffene Arbeitnehmer durch die Versetzung benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist.

Unsere Kolleg*innen in Gießen beschäftigte der Fall eines Gewerkschaftsmitgliedes, das als mitarbeitender Meister in der Werkstatt eines Herstellers von Nutzfahrzeugen beschäftigt ist. Manfred Krause (Name von der Redaktion geändert) ist verheiratet und gegenüber 4 Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Die Ehefrau erlitt im Jahre 2008 einen Schlaganfall und erkrankte im Jahre 2009 an Krebs.

Der Arbeitsvertrag enthält folgende Regelung:
„Der Arbeitgeber behält sich vor, dem Arbeitnehmer eine andere, zumutbare Tätigkeit zuzuweisen, die seinen Vorkenntnissen entspricht und ihn an einen anderen Arbeitsplatz oder Tätigkeitsort innerhalb des Unternehmens zu versetzen.“

Im Betrieb der Beklagten in Gießen, in dem Herr Krause beschäftigt ist, besteht ein Arbeitszeiterfassungssystem. In dieses müssen sich die Arbeitnehmer bei Beginn und Ende der Arbeitszeit ein- bzw. ausstempeln. Beginn und Ende von Pausen müssen ebenfalls gestempelt werden. Ein automatischer Abzug von Pausen erfolgt nicht.

Herr Krause soll bei der Erfassung der Arbeitszeit geschummelt haben, meint der Arbeitgeber

Anfang Juni 2019 fiel dem technischen Betriebsleiter der Beklagten, Jochen Günther (Name von der Redaktion geändert), auf, dass der Kläger an sehr vielen Arbeitstagen keine Pause gestempelt hatte. Im Rahmen eines Gesprächs Mitte Juni 2019 erklärte Herr Krause, dass er an den Tagen, an denen er keine Pause gestempelt habe, durchgearbeitet habe. Die Frage, ob er diesbezüglich eine Genehmigung des Geschäftsführers eingeholt habe, verneinte er in dem vorgenannten Gespräch.
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Herrn Krause insgesamt vier Mal wegen Arbeitszeitbetrug. Alle vier Kündigungen erwiesen sich vor dem Arbeitsgericht als unwirksam. Ein dringender Tatverdacht für einen Arbeitszeitbetrug lag nach Überzeugung des Arbeitsgerichts nämlich nicht vor.

Mit Schreiben vom 7. November 2019 teilte der Arbeitgeber Herrn Krause mit, dass er zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus dem Urteil vom 17. Oktober 2019 ihn weiter beschäftigen werde. Allerdings werde der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht Gebrauch machen und Herrn Krause in einem mehr als 100 km vom Betrieb in Gießen entfernten Standort versetzen.

Hiergegen hat Herr Krause mithilfe der DGB Rechtsschutz GmbH erfolgreich vor dem Arbeitsgericht Gießen geklagt. Er ist der Auffassung, dass könne man ihm die Versetzung schon wegen der langen Fahrzeiten und die dadurch entstehenden deutlich höheren Fahrtkosten nicht zumuten könne. Zudem sei die Arbeit an solch einem entfernten Ort für ihn aufgrund der Erkrankungen seiner Ehefrau nicht zumutbar. Er habe nämlich deswegen ein erhöhten Betreuungsaufwand für seine Ehefrau und seine Kinder zu leisten.

Obwohl er vor Gericht bereits erfolglos war, beharrt der Arbeitgeber immer noch auf seine Behauptung, Herr Krause habe einen Arbeitszeitbetrug begangen

Der Arbeitgeber beharrt immer noch darauf, dass der dringende Verdacht des Arbeitszeitbetruges vorliegt. Vor dem Hintergrund, dass einige Mitarbeiter als Zeugen für gemeinsame Pausen zur Verfügung gestanden hätten, sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und diesen Mitarbeitern nicht mehr möglich. Insbesondere sei das Vertrauensverhältnis zwischen Herrn Krause und dem Betriebsleiter Jochen Günther nachdrücklich und irreversibel belastet worden. Eine weitere Zusammenarbeit zwischen ihm und Herrn Krause sei ausgeschlossen.

Der Arbeitgeber hat nach Auffassung des Gerichts indessen das ihm aus § 106 GewO zustehende Direktionsrecht nicht nach billigem Ermessen ausgeübt. Zur Begründung der Versetzung habe er fast ausschließlich dieselben Argumente dargelegt, die er bereits erfolglos im Rahmen der vier geführten Kündigungsrechtsstreite angeführt habe.

Arbeitsgericht: der Arbeitgeber wollte Herrn Krause mit der Versetzung maßregeln

Dass das Vertrauensverhältnis zu einem Teil der Gießener Belegschaft gestört sei, spiele keine Rolle. Diesbezüglich führe der Arbeitgeber keine nachvollziehbaren Tatsachen an. Allein der Umstand, dass einige Mitarbeiter im Rahmen der Kündigungsrechtsstreite als Zeugen für von Herrn Krause durchgeführte Pausen benannt worden seien, erkläre nicht, warum eine Zusammenarbeit des Klägers mit diesen Mitarbeitern in Zukunft nicht mehr möglich sein soll. Dass Kollegen und mitunter auch Vorgesetzte Fehler im Arbeitsverhältnis begingen, käme immer mal wieder vor. Warum nach einer angemessenen Reaktion des Arbeitgebers - zum Beispiel einer Abmahnung - keine vertrauensvolle Zusammenarbeit des betroffenen Arbeitnehmers mit der übrigen Belegschaft mehr möglich sein soll, sei nicht ersichtlich.

Das gleiche gelte auch bezogen auf den technischen Betriebsleiter Jochen Günther. Auch als Vorgesetzter in gehobener Position bliebe Herr Günther ein Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber könne Herrn Günther anweisen, künftig mit dem Kläger korrekt zusammenzuarbeiten. Herrn Günther käme nicht die Funktion eines Geschäftsführers zu.

Die Versetzung des Klägers stelle sich als Maßregelung dar. Es seien jedenfalls derzeit keine Argumente erkennbar, aus welchem Grunde der Kläger an irgendeinem anderen Standort außerhalb von Gießen benötigt würde. Dem Kläger stände aus§ 611 a BGB i n Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung am Standort in Gießen zu.

Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen

Rechtliche Grundlagen

§ 611a BGB
Arbeitsvertrag

(1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
(2) Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

§ 106 Gewerbeordnung
Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.