Nach der Rechtsprechung wird auf mangelnde Sprachkenntnisse bei der Unterzeichnung von Arbeitsverträgen keine Rücksicht genommen
Nach der Rechtsprechung wird auf mangelnde Sprachkenntnisse bei der Unterzeichnung von Arbeitsverträgen keine Rücksicht genommen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über den Fall eines portugiesischen Arbeitnehmers zu entscheiden. Dieser unterzeichnete einen Arbeitsvertrag in deutscher Sprache, obwohl er kein Wort Deutsch verstehen konnte. 


Im Zeitraum von Juli 2009 bis Ende März 2011 arbeitete er bei einer Speditionsfirma als Kraftfahrer und verdiente 900 € brutto im Monat. Als das Arbeitsverhältnis endete, verlangte er von seinem Arbeitgeber mit Schreiben vom 13.04.2011 noch Lohn für Dezember 2010 und eine Reisekostenpauschale für März bis September 2010. 


Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass die Ansprüche verfallen sind. Im Arbeitsvertrag war eine Regelung enthalten, wonach Ansprüche innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten nach der Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen.

Arbeitsvertrag kommt auch ohne Sprachkenntnisse zustande

Obwohl der portugiesische Arbeitnehmer die mit seinem Arbeitgeber getroffene Vereinbarung nicht verstehen konnte, kommt ein Arbeitsvertrag mit dem in der Vertragsurkunde enthaltenen Inhalt zustande. Ob Arbeitnehmer*innen über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, ist ohne Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des BAG werden individuelle Sprachkenntnisse nicht berücksichtigt, weil die jeweils vorhandenen Sprachfähigkeiten für den Vertragspartner schwer zu beurteilen seien. Für das Zustandekommen von Verträgen sei aber Rechtssicherheit wichtig. Der Vertragspartner soll Klarheit haben, ob ein unterschriebener Vertrag gilt oder nicht.

Bedenkzeit oder Übersetzung verlangen

Die obersten Arbeitsrichter*innen in Erfurt verlangen von ausländischen Arbeitnehmer*innen, dass sie Vereinbarungen nicht unterschreiben, die sie nicht verstehen. Tun sie das trotzdem, signalisieren sie ihrem Vertragspartner, dass sie mit dem Inhalt trotz fehlender Sprachkenntnisse einverstanden sind. Das Sprachrisiko tragen sie damit selbst und können sich nicht später darauf berufen, der Vertrag wäre nicht zustande gekommen, da sie ja nicht gewusst hätten, was sie da unterschrieben haben.


Die Richter*innen beim BAG unterstellen damit, dass ausländische Arbeitnehmer*innen den Vertrag nicht sofort unterschreiben müssen. Sie könnten sich Bedenkzeit oder eine Übersetzung erbitten oder sich selbst eine solche verschaffen.

Verstehen einzelner Regelungen ist auch ohne Bedeutung

Wenn ausländische Arbeitnehmer*innen einen Arbeitsvertrag unterzeichnen und anschließend arbeiten, kann man aus diesem Verhalten sicher schließen, dass sie mit dem Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses einverstanden sind. Problematisch ist allerdings, ob sie mit ihrer Unterschrift auch allen Einzelregelungen im Vertrag zugestimmt haben, die sie sprachlich nicht verstehen konnten. Im Fall des portugiesischen Arbeitnehmers bestanden Zweifel hinsichtlich der Ausschlussfristenregelung, nach der Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten dem Arbeitgeber gegenüber schriftlich geltend gemacht werden. Aber auch hierzu meint das BAG: Fehlende Sprachkenntnisse sind auch in Bezug auf einzelne arbeitsvertragliche Regelungen ohne Bedeutung. Mit ihrer Unterschrift entscheiden sich Arbeitnehmer*innen bewusst dafür, sich keine Kenntnis vom genauen Inhalt eines Vertrages zu verschaffen. Das Risiko, den Vertragsinhalt nicht zu kennen, müssen sie daher tragen.

Möglichkeit, sich vom Vertrag zu lösen

Ausnahmsweise können sich Arbeitnehmer*innen von einem Vertrag, der ihre Unterschrift trägt, lösen, wenn sie von ihrem Vertragspartner über den Inhalt arglistig getäuscht oder unter widerrechtlicher Drohung zum Abschluss gezwungen wurden. Das sind aber krasse Ausnahmefälle. Nahe liegender ist, dass ausländische Arbeitnehmer*innen sich darauf berufen, sich über den Inhalt des Vertrages geirrt zu haben. Dazu müssten sie vortragen, dass sie sich eine bestimmte falsche Vorstellung über den Vertragsinhalt gemacht haben. Hat der/die ausländische Arbeitnehmer*in aber typischerweise einen Vertrag einfach unterschrieben, macht er/sie sich jedoch gerade keine Gedanken über den Inhalt und kann deshalb auch keine irrige Vorstellung entwickeln. Dann scheidet eine Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums aus.

Allgemeine Geschäftsbedingungen im Vertrag können unwirksam sein

Hat der Arbeitgeber – was die Regel ist – den Arbeitsvertrag vorformuliert, unterliegt die Vereinbarung einer besonderen Wirksamkeitskontrolle. Im Fall des portugiesischen Arbeitnehmers hat das BAG deshalb überprüft, ob die Regelung über die Ausschlussfrist unwirksam ist, weil sie überraschend war oder unklar. Beides hat das Gericht verneint. Allein, dass die Regelung in deutscher Sprache verfasst war, begründet keinen Überrumpelungseffekt zu Lasten sprachunkundiger Arbeitnehmer*innen. Eine vertragliche Regelung ist schließlich nicht deshalb unklar, weil man sie ohne gute deutsche Sprachkenntnisse nicht verstehen kann; es kommt allein darauf an, ob sie nach der deutschen Vertragssprache klar und verständlich ist. Auf fehlende Sprachkenntnisse muss nach Auffassung der obersten Arbeitsrichter generell keine Rücksicht genommen werden.

Besondere Umstände bei Vertragsabschluss

Anders kann es aber aussehen, wenn zu den fehlenden Deutsch-Kenntnissen weitere Umstände treten, die nahe legen, dass Arbeitnehmer*innen dem Vertragstext, der ihnen im Entwurf vorgelegt worden ist, so nicht hatten zustimmen wollen. Dazu zählt beispielsweise das Drängen eines Arbeitgebers, den Arbeitsvertrag auch ohne Übersetzung sofort zu unterzeichnen, oder die Versicherung des Arbeitgebers, die Vereinbarung enthalte nur die mündlich abgesprochenen Regelungen. Sind solche Umstände nachweisbar, sind Arbeitnehmer*innen an nachteilige Vertragsregelungen nicht gebunden.

Anmerkung: 

Die vorliegende Rechtsprechung des BAG kann sich für ausländische Arbeitnehmer*innen als Falle erweisen, vor allem dann, wenn Arbeitgeber mangelnde Sprachkenntnisse bewusst ausnutzen. Dann wird Arbeitnehmer*innen erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses und einer evtl. rechtlichen Beratung klar, dass sie Fristen versäumt haben und ihnen Ansprüche entgangen sind.

Rechtsprechung wird Problemen ausländischer Arbeitnehmer*innen nicht gerecht

Arbeitnehmer*innen – ob Deutsche oder Ausländer - sind in der Regel bei Vertragsschluss in einer unterlegenen Position, wenn sie auf die Arbeitsstelle angewiesen sind. Sie werden zu diesem Zeitpunkt deshalb keine Forderungen stellen und sich auch nicht trauen, Bedenkzeit oder Übersetzungshilfe zu erbitten. Gerade ein Arbeitgeber, der fehlende Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Arbeitsrechts auszunutzen beabsichtigt, wird im Einstellungsgespräch die Atmosphäre wenig offen, sondern eher einschüchternd gestalten, so dass Arbeitnehmer*innen nicht gerade ermutigt werden, Fragen zu formulieren. Die Vorstellung der Rechtsprechung, ausländische Arbeitnehmer*innen könnten generell vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages Wünsche nach Bedenkzeit und Übersetzungshilfen äußern, wird der Wirklichkeit im Arbeitsleben nicht gerecht.

Arbeitsvertrag mitnehmen

Arbeitnehmer*innen sollten deshalb zumindest darauf achten, dass ihnen ein Exemplar des Arbeitsvertrages ausgehändigt wird. Das ermöglicht eine nachträgliche Übersetzung des unterschriebenen Inhalts und eine noch rechtzeitige Beratung über einzuhaltende Fristen.

Keine Aushändigung des Arbeitsvertrags - Schadensersatz

Händigt der Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach Arbeitsbeginn keine Durchschrift des Arbeitsvertrags aus, verletzt er seine Verpflichtung nach dem Nachweisgesetz. Das kann zu Schadensersatzansprüchen führen, wenn ein Arbeitnehmer deswegen z. B. die Regelung über Ausschlussfristen nicht kannte und seine Ansprüche zu spät geltend gemacht hat (BAG, Urteil vom 21.02.2012, 9 AZR 486/10). Besonders dreiste Arbeitgeber behaupten in diesen Fällen allerdings wahrheitswidrig, sie hätten eine Vertragsdurchschrift überreicht. Da Arbeitnehmer*innen beim Einstellungsgespräch meistens alleine sind, während der Arbeitgeber mit Mitarbeitern vertreten ist, lässt sich das Gegenteil schwer nachweisen.

Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften als Geschäftsmodell

Im Bereich der Leiharbeit, der Fleischindustrie, im Bewachungsgewerbe oder unter Subunternehmen in der Baubranche gibt es Firmen, die ausschließlich ausländische Arbeitskräfte einstellen. Deren Inhaber wissen auch genau, dass ihre Beschäftigte die vorgelegten und unterschriebenen Verträge nicht verstehen. Sie spekulieren also darauf, dass Fristen verpasst und Ansprüche nicht geltend gemacht werden. In diesen Fällen ist daher eine Änderung der Rechtsprechung erforderlich. Wenn mangelnde Sprachkenntnisse zum Geschäftsmodell werden, ist es nicht mehr angemessen, dass allein sprachunkundige Beschäftigte das Verständnisrisiko zu tragen haben. Die allein in deutscher Sprache verfassten allgemeinen Geschäftsbedingungen benachteiligen dann einseitig ausländische Arbeitnehmer*innen unangemessen; denn einem Unternehmen, das ganz überwiegend mit ausländischem Personal arbeitet, kann zugemutet werden, für einen Arbeitsvertrag in der Landessprache seiner Beschäftigten zu sorgen.