1. Welche Leistungen gibt es für Langzeitkranke?
Arbeitnehmer*innen, die erkranken, erhalten zunächst einmal für sechs Wochen Entgeltfortzahlung von ihrem Arbeitgeber. Bleiben sie über diesen Zeitraum hinaus krank, haben sie in der Regel Anspruch auf Krankengeld für weitere 72 Wochen.
Endet das Krankengeld, sind Arbeitnehmer*innen also „ausgesteuert“, kommen als weitere Leistungen vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II in Betracht:
- „Normales“ Arbeitslosengeld I
- Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld
2. Wann besteht ein Anspruch auf „normales“ Arbeitslosengeld ?
Nach dem Auslaufen des Krankengeldes bekommen Versicherte „normales“ Arbeitslosengeld I, wenn die allgemeinen Voraussetzungen dafür erfüllt sind:
- Arbeitslosigkeit (Der rechtliche Bestand eines Arbeitsverhältnisses steht einer Arbeitslosigkeit nicht entgegen, wenn eine tatsächliche Beschäftigung nicht erfolgt.)
- Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit
- Erfüllung der Anwartschaftszeit
- objektive und subjektive Verfügbarkeit
3. Was bedeutet objektive und subjektive Verfügbarkeit?
Objektiv verfügbar ist nach dem Sozialgerichtsgesetzbuch III, wer
„eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für Sie oder Ihnen Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf.“
Diese objektive Verfügbarkeit liegt bei einer Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden pro Tag nicht vor. Deshalb scheidet ein Anspruch auf „normales“ Arbeitslosengeld in diesen Fällen aus.
Subjektiv verfügbar ist nach dem Sozialgesetzbuch III, wer bereit ist, eine Beschäftigung wie bei der objektiven Verfügbarkeit beschrieben anzunehmen und auszuüben sowie an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.
4. Warum gibt es Nahtlosigkeits- Arbeitslosengeld?
Menschen, die so lange krank sind, dass der Anspruch auf Krankengeld erschöpft ist („Aussteuerung“), sind auch häufig nicht in der Lage, mindestens drei Stunden pro Tag zu arbeiten. Ist dies der Fall, haben sie einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Bis die Rentenversicherung aber über einen Antrag auf eine Rente wegen Erwerbsminderung entschieden hat, kann es lange dauern. Das gilt insbesondere, wenn sich ein Widerspruchs- und Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen anschließt. Versicherte sollen während dieses Zeitraums zwischen der „Aussteuerung“ und dem Erhalt der Erwerbsminderungsrente nicht „im Regen stehen“ und nahtlos Leistungen erhalten können. Deshalb regelt das Sozialgesetzbuch III einen Anspruch auf Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld.
5. Wann besteht ein Anspruch auf Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld?
Die besonderen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld sind, dass eine versicherte Person „. . . allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestwertes 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht . . . ausüben kann . . . wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist.“
Erforderlich ist also:
- Versicherte sind länger als sechs Monate unfähig, 15 Stunden pro Woche zu arbeiten
und
- die Rentenversicherung hat noch nicht über eine Rente wegen Erwerbsminderung entschieden.
Insbesondere an der ersten Voraussetzung setzt die Bundesagentur für Arbeit sehr gerne an. Sie verweigert „Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld“ mit dem Argument, der Gesundheitszustand werde sich im nächsten halben Jahr bestimmt soweit verbessern, dass wieder mindestens 15 Stunden Arbeit pro Woche möglich seien. Nach der Rechtsprechung darf die Bundesagentur eine Leistung aber nur verweigern, wenn die Erkrankung innerhalb von sechs Monaten zweifelsfrei ausheilt. Bleiben Zweifel, geht das zu Lasten der Bundesagentur.
6. Müssen die übrigen Voraussetzungen für Arbeitslosengeld erfüllt sein?
Das Gesetz fingiert beim Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld lediglich die objektive Verfügbarkeit. Das bedeutet, dass die Bundesagentur für Arbeit die objektive Verfügbarkeit trotz der geminderten Leistungsfähigkeit als gegeben ansehen muss. Aber alle anderen Voraussetzungen für den Bezug von „normalem“ Arbeitslosengeld gelten für das Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld ebenfalls. Das heißt,
- die Versicherten müssen beschäftigungslos sein,
- der Anspruch auf Arbeitslosengeld darf noch nicht erschöpft sein,
- die Anwartschaftszeit muss erfüllt sein,
- Versicherte sind verpflichtet, sich arbeitslos zu melden.
und
- Versicherte müssen subjektiv verfügbar sein.
Die subjektive Verfügbarkeit ist im Gegensatz zur objektiven nicht als gegeben anzusehen. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass sich Arbeitnehmer*innen der Bundesagentur gegenüber bereit erklären, alle Arbeiten anzunehmen, zu denen sie mit ihrem Restleistungsvermögen in der Lage sind.
7. Was passiert in der Praxis nach der „Aussteuerung“?
Sind Versicherte „ausgesteuert“ und beantragen Arbeitslosengeld I, hat die Bundesagentur für Arbeit ein Interesse daran festzustellen, dass die Leistungsfähigkeit auf unter 15 Stunden pro Woche gesunken ist. Denn dann entfällt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Es fehlt an der objektiven Verfügbarkeit. Deshalb wird die Bundesagentur für Arbeit in der Regel nach einem Antrag auf Arbeitslosengeld I schriftlich eine ärztliche Untersuchung verlangen. Dieser Aufforderung müssen Versicherte nachkommen, weil sonst eine Sperrzeit droht. Ergibt die Untersuchung, dass ein 15-stündiges Leistungsvermögen nicht mehr besteht, lehnt die Bundesagentur den Antrag auf Arbeitslosengeld I ab. Gleichzeitig verweist sie die Versicherten auf die Rentenversicherung. Denn nach den ärztlichen Befunden lägen die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente vor. Das ist dann spätestens der Zeitpunkt, in dem ein Antrag auf Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld zu stellen ist.
8. Gibt es Besonderheiten beim Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld?
Eine Besonderheit besteht hinsichtlich der Arbeitslosmeldung. Beim „normalen“ Arbeitslosengeld muss die Meldung persönlich erfolgen. Beim „Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld“ kann die Meldung auch durch einen Vertreter erfolgen, wenn Versicherte sich krankheitsbedingt nicht persönlich melden können. Dies gilt aber nur so lange, bis sie wieder dazu in der Lage sind. Und der Vertreter seinerseits muss sich persönlich beim Arbeitsamt vorstellen.
9. Muss ich einen Reha-Antrag stellen?
Die Bundesagentur für Arbeit hat Versicherte mit verminderter Leistungsfähigkeit nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches III unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Reha-Antrag zu stellen. Diesen Antrag deutet die Rentenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente um (vergleiche: oben „Der Grundsatz „Reha vor Rente“, „Wann deutet die Rentenversicherung einen Reha-Antrag um?“)
10. Was passiert, wenn ich keinen Reha-Antrag stelle?
In diesem Fall ist die Bundesagentur berechtigt, dass Nahtlosigkeits- Arbeitslosengeld so lange ruhen zu lassen, bis Versicherte einen Reha-Antrag oder einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit stellen.
11. Muss ich das Nahtlosigkeit-Arbeitslosengeld zurückzahlen?
Ob eine Rückzahlungspflicht besteht, hängt von der Entscheidung der Rentenversicherung ab.
Die Rentenversicherung kann
- eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewähren
- eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewähren
- den Rentenantrag ablehnen.
12. Was passiert bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung?
Stellt die Rentenversicherung fest, dass die Leistungsfähigkeit tatsächlich unter drei Stunden pro Tag gesunken ist, wird sie eine volle Rente wegen Erwerbsminderung gewähren. Für die Zeit, ab der die Rente zu bezahlen ist, ruht das Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeld. Bei der Rente wird eine Nachzahlung fällig. Auf diese Nachzahlung hat die Bundesagentur insoweit einen Erstattungsanspruch, als sie – wie sich herausgestellt hat zu Unrecht – Arbeitslosengeld bezahlt hat.
In der Praxis sieht die Abwicklung so aus, dass die Rentenversicherung den Teil der Nachzahlung, der der Bundesagentur zusteht, gleich an sie auszahlt. Nur den Rest der Nachzahlung kommt auf das Konto der Versicherten.
13. Was passiert bei einer Teilrente wegen EM?
Stellt die Rentenversicherung ein Leistungsfähigkeit von drei oder mehr aber weniger als sechs Stunden fest, kann sowohl ein Anspruch auf eine Teilrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit als auch auf Arbeitslosengeld bestehen.
Die Teilrente erhält aber nur, wer die Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitet, die im Rentenbescheid genannt ist. Liegt das Arbeitslosengeld über dieser Grenze, ruht die Zahlung der Teilrente. Dies dürfte der Regelfall sein.
14. Was passiert bei Ablehnung einer Rente?
Stellt die Rentenversicherung fest, dass noch eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden oder mehr besteht, verweigert sie eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit. In diesem Fall waren während des Rentenverfahrens alle Voraussetzungen für „normales“ Arbeitslosengeld erfüllt. Eine Pflicht zur Rückzahlung des Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeldes besteht dann also nicht.