dgb-logo
Praxisfall
Ratgeber

Der Fall aus der Praxis

Testen Sie Ihr Wissen in den Praxisfällen!
 
 
Die Reihe „Der Fall aus der Praxis“ stellt interessante Sachverhalte dar, über die Arbeits- und Sozialgerichte tatsächlich zu entscheiden hatten. 
Bei uns können Sie Richter spielen! 
Sie entscheiden, wer Recht hat und lesen hinterher, ob Sie richtig gelegen haben.
Viel Spaß!
Der Fall aus der Praxis | Rentner weniger schutzwürdig bei Kündigung?

Die Auflösung


Die Entscheidungen der Instanzgerichte


Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht waren der Auffassung, dass die Kündigung unwirksam sei. Sie verwiesen auf das Kündigungsschutzgesetz.
Dort sei geregelt, dass bei der Auswahl von zu kündigenden Arbeitnehmer*innen allein „ … die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung …“ zu berücksichtigen sei.
Zwar sei die Mitarbeiterin einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Das werde aber durch die deutlich längere Betriebszugehörigkeit sowie das wesentlich höhere Alter des Gekündigten kompensiert. Deshalb sei er sozial schutzwürdiger als die Mitarbeiterin. Die Kündigung könne also keinen Bestand haben.

Die Entscheidung des Bundearbeitsgerichts


Das Bundesarbeitsgericht stellt darauf ab, ein Ziel des Kündigungsschutzgesetzes sei, dass grundsätzlich dem Arbeitnehmer zu kündigen ist, „ … der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist."
Bei Arbeitnehmer*innen ohne einen Anspruch auf Regelaltersrente besteht die Gefahr, „ … dass sie durchgehend oder zumindest für größere Zeiträume beschäftigungslos bleiben und damit mittel- bzw. langfristig auf den Bezug von Entgeltersatzleistungen angewiesen sind.“ Demgegenüber steht bei einem Anspruch auf oder sogar Bezug von Regelaltersrente „ … dauerhaft ein Ersatzeinkommen für das zukünftig entfallende Arbeitseinkommen zur Verfügung.“ Deshalb ist es gerechtfertigt, solche Arbeitnehmer*innen zumindest hinsichtlich ihres Alters bei einer Sozialauswahl „ … als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen …“
Der Kläger ist also im Hinblick auf sein Lebensalter als deutlich weniger schutzwürdig anzusehen als seine Kollegin. Da diese Kollegin zudem noch Unterhaltspflichten zu erfüllen hat, ergibt eine Gesamtabwägung nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts, dass der Kläger insgesamt sozial weniger schutzwürdig als seine Kollegin ist.
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit europäischem Recht. Ungleichbehandlungen wegen Alters können gerechtfertigt sein, wenn eine nationale Regelung einem rechtmäßigen Ziel dient. Bei der Entscheidung dieser Frage haben die Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum.
Die Berücksichtigung eines Anspruchs auf Regelaltersrente bei der Sozialauswahl ist als „ … Instrument der nationalen Arbeitsmarktpolitik, mit dem über eine gerechtere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen die wirtschaftliche Existenz von Arbeitnehmern durch den Verbleib in Beschäftigung gesichert werden soll“ nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ein solches rechtmäßiges Ziel.
Das bedeutet im Ergebnis, dass ein Anspruch auf oder der Bezug von Regelaltersrente bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen ist.
Das Bundesarbeitsgericht hat dementsprechend das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, damit dieses Gericht den Fall erneut verhandelt und entscheidet. Dies ist erforderlich, weil bislang nicht klar ist, ob der Beschäftigungsbedarf für den Kläger überhaupt weggefallen ist. Mit dieser Frage hatte sich das Landesarbeitsgericht nicht beschäftigt, weil es im Wesentlichen damit argumentiert hatte, dass der Kläger sozial schutzwürdiger als seine Kollegin sei.

Antwort auf die Entscheidungsfrage


„Die Kündigung ist wirksam, weil die Mitarbeiterin sozial schutzwürdiger ist“ ist richtig.