Auch im Jahre 2018 haben die Gerichte wichtige Entscheidungen für die Beschäftigten und ihre Interessenvertreter getroffen. Einige davon hat der gewerkschaftliche Rechtsschutz erstritten.
1. Privileg der Kirchen beseitigt
Das Jahr begann mit einem Paukenschlag des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Er hat mit dem Urteil vom 17. April die deutschen Sonderregeln für kirchliche Arbeitgeber massiv eingeschränkt und so den rechtlichen Status der dort tätige Arbeitnehmer*innen verbessert.
Das Diakonische Werk hatte in einer Stellenausschreibung die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche gefordert. Vera Egenberger hatte sich beworben, ohne dass sie diese Voraussetzung erfüllte und klagte anschließend gegen die Diakonie.
Das deutsche Recht billigt den kirchlichen Arbeitgebern einen eigenen Ermessensspielraum zu, ob die Religionszugehörigkeit für die ausgeschriebene Stelle erforderlich ist. Gerichte dürfen das Merkmal also nur auf Plausibilität hin überprüfen. Bei anderen Arbeitgebern hingegen können Gerichte genauer hinsehen.
Der EuGH hat auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts dieses Privileg der kirchlichen Arbeitgeber beseitigt: Wenn diese die Konfession als Einstellungsvoraussetzungen formulieren, dürfen deutsche Gerichte künftig voll überprüfen, ob diese für die ausgeschriebene Stelle wirklich notwendig ist. Dies eröffnet Möglichkeiten für nicht-christliche Bewerber.
Das Bundesarbeitsgericht hat Frau Egenberger noch im laufenden Jahr auf Basis dieser Entscheidung einen Schadensersatz in Höhe von 3.900 Euro zugesprochen. Sie erhielt als ver.di-Mitglied Unterstützung durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz.
2. Dreimal nicht beworben = Drei Sperrzeiten?
Die nächste wegweisende Entscheidung lieferte das Bundessozialgericht, indem es in seinem Urteil vom 3. Mai die Regelung über Sperrzeiten wegen pflichtwidrigen Verhaltens für Arbeitslose günstig auslegte.
Sperrzeiten kann die Bundesagentur für Arbeit verhängen, wenn der Arbeitssuchende sich nicht auf Stellen bewirbt, die ihm die Bundesagentur vorschlägt. Bei einem erneuten Verstoß fällt die nächste Sperrzeit höher aus.
Im Fall hatte die Bundesagentur einem Arbeitslosen an einem Tag zwei Angebote geschickt, ein weiteres kam am nächsten Tag. Weil sich der Arbeitslose auf keines der Angebote bewarb, verhängte sie drei Sperrzeiten, und zwar von drei, sechs und schließlich zwölf Wochen.
Das Bundessozialgericht nahm dagegen einen einheitlichen Lebenssachverhalt an. Wenn also drei Angebote innerhalb eines kurzen Zeitraums erfolgen, rechtfertige die Nichtbewerbung nur eine und nicht drei Sperrzeiten.
3. Bundesverfassungsgericht kippt Rechtsprechung zum Vorbeschäftigungsverbot
Im Befristungsrecht hat das Bundesverfassungsgericht eine grundlegende Entscheidung getroffen. Eine sachgrundlose Befristung ist nicht möglich, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Dieses sogenannte Vorbeschäftigungsverbot hatte das Bundesarbeitsgericht in einer aufsehenerregenden Entscheidung im Jahre 2011 so interpretiert, dass zwischen dem Ende des letzten Arbeitsvertrages und dem Beginn eines neuen befristeten Arbeitsvertrages mindestens drei Jahre liegen müssen.
Auf die Verfassungsbeschwerde eines bayerischen IG Metall-Mitglieds hat das Bundesverfassungsgericht diese Auslegung für verfassungswidrig erklärt. Der Kläger war vor den Arbeitsgerichten in allen Instanzen von der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten worden, ebenso wie seine 21 Kolleginnen und Kollegen.
Das Verfassungsgericht sah die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. Der wolle eine sachgrundlose Befristung zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich nur einmal gestatten. Dieses Regelungskonzept dürften die Fachgerichte nicht übergehen und durch ein eigenes Konzept ersetzen.
Auch diese Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht zwischenzeitlich umgesetzt und eine Befristung für unwirksam erklärt. Das vorherige Arbeitsverhältnis lag acht Jahre zurück.
4. Freistellung schadet bei Arbeitslosengeld nicht
Eine wichtige Feststellung zum Thema Freistellung von der Arbeitsleistung hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil am 30. August getroffen. Eine bezahlte Freistellung ist nicht unüblich, wenn die Kündigungsfrist des Arbeitsverhältnisses besonders lang ist.
Einige Landessozialgerichte hatten sich auf den Standpunkt gestellt, dass Zeiten der Freistellung nicht bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes zu Grunde zu legen sind, weil das Arbeitsverhältnis ja nicht mehr wirklich praktiziert werde.
Das Bundessozialgericht hat diesem Verständnis nun einen Riegel vorgeschoben. Auch der in der Freistellung gezahlte Lohn - von dem ja auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt werden - sind beim Arbeitslosengeld zu berücksichtigen.
Damit können sich Arbeitnehmer auf eine Freistellung einlassen, ohne eine böse Überraschung zu erleben, weil das Arbeitslosengeld niedriger ausfällt. In dem Fall des BSG bekam die freigestellte Pharmareferentin statt 862 Euro jetzt monatlich 1.752 Euro und damit fast 900 Euro mehr.
5. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen dürfen Mindestlohn nicht ausschließen
Auch wenn die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Mindestlohn aus Sicht der Beschäftigten eher ungünstig war: Mit der Entscheidung vom 18. September hat das BAG hingegen den gesetzlichen Mindestlohn gestärkt.
Es hat Ausschlussklauseln für unwirksam erklärt, die den Mindestlohn nicht klar und deutlich ausnehmen. Denn das Mindestlohngesetz verbietet derartige Verfallklauseln. Wenn also der Arbeitsvertrag eine Klausel enthält, die pauschal alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ausschließt, ist diese nicht gültig.
Damit können Beschäftigte, deren Vertrag einen solchen pauschalen Ausschluss enthält, sämtliche Ansprüche bis zur Grenze der Verjährung, also über drei Jahre, einklagen. Ausschlussfristen hingegen können die gerichtliche Geltendmachung auf ein halbes Jahr beschränken.
Diese Rechtsprechung gilt aber nur für solche Arbeitsverträge, die nach In-Kraft-Treten des Mindestlohngesetzes zum Jahresbeginn 2015 geschlossen wurden.
6. Urlaubsanspruch entfällt nicht automatisch zum Jahresende
Der EuGH hat das deutsche Urlaubsrecht erheblich verändert. Mit einem Doppelurteil hat er auch im Jahr 2018 Pflöcke eingerammt.
Arbeitnehmer*innen verloren nach deutscher Rechtslage bislang ihren Anspruch auf Urlaub ohne weiteres mit Ablauf des Jahres, spätestens zu Ende März des Folgejahres. Dem widersprach der EuGH: Arbeitnehmer dürften ihre Ansprüche auf Urlaub nicht automatisch verlieren, nur, weil sie diesen nicht beantragt haben.
Ein Verlust kann nach Ansicht des EuGH nur eintreten, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, den Urlaub zu nehmen. Außerdem müsse der Arbeitgeber es dem Arbeitnehmer ermöglicht haben, den Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen.
Außerdem hat der EuGH noch einmal deutlich gemacht, dass der Anspruch auf Urlaub nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer stirbt. Der Anspruch wandele sich vielmehr in einen Auszahlungsanspruch, der den Erben des Arbeitnehmers zustehe.
7. Gewerkschaftsmitglieder dürfen bevorzugt werden
Auf die Verfassungsbeschwerde eines nicht organisierten Arbeitnehmers hat das Verfassungsgericht in seinem Beschluss vom 14. November die Rechtsstellung der Gewerkschaften gestärkt. Der Beschwerdeführer begehrte Leistungen aus seinem Sozialtarifvertrag. Dieser sah exklusive Leistungen nur für Gewerkschaftsmitglieder vor.
Das BVerfG hatte gegen eine solche Differenzierung keine Bedenken: Die unterschiedliche Behandlung organisierter und nicht organisierter Arbeitnehmer verletze die negative Koalitionsfreiheit nicht, selbst wenn sich daraus ein faktischer Anreiz zum Beitritt ergebe.
Das Gericht stellte vielmehr klar, dass es primäre Aufgabe von Gewerkschaften sei, für ihre Mitglieder zu verhandeln. Sie seien nicht verpflichtet, alle Beschäftigten gleich zu behandeln. Auch dies ergebe sich aus der Koalitionsfreiheit.
Tatsächlich müsste man sich die Frage stellen, warum sich Gewerkschaften gleichermaßen für solche Beschäftigte einsetzen sollen, die ihrerseits keine Mitgliedsbeiträge zahlen. Das Gericht hat zu Recht dem Prinzip der Trittbrettfahrerei keinen Verfassungsrang eingeräumt.
8. Amazon muss Streiks auf dem Betriebsgelände dulden
Kaum eine Woche später hat das Bundesarbeitsgericht nachgezogen und in seinem Urteil vom 20. November auch das Streikrecht gestärkt. Dieses ergibt sich aus der grundrechtlich verankerten Koalitionsfreiheit.
Die Gewerkschaft ver.di hatte auf dem Firmenparkplatz des Logistikzentrums des Versandhändlers Amazon zum Streik aufgerufen. Während eines zweitägigem Streiks hatten Vertreter von ver.di vor dem Haupteingang Stehtische und Tonnen aufgestellt. Dort verteilten ver.di-Streikposten Flyer und forderten Arbeitnehmer zur Teilnahme am Streik auf.
Amazon hatte auf Unterlassung dieser Aktionen auf dem Firmenparkplatz geklagt, hatte damit jedoch auch vor dem BAG keinen Erfolg.
Bei Abwägung der widerstreitenden Grundrechte habe Amazon eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung des Besitzes hinzunehmen. Die Gewerkschaft könne nur auf dem Firmenparkplatz vor dem Haupteingang mit den Arbeitnehmern kommunizieren und im Gespräch versuchen, auf Arbeitswillige einzuwirken.
9. Unfallversicherungsschutz auch bei Home-Office
Beschäftigte im Home-Office stehen unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Bundessozialgericht revidierte mit seiner Entscheidung vom 27. November sein Urteil aus dem Jahr 2016, das den Unfallversicherungsschutz beim heimischen Arbeiten noch ausgeschlossen hatte.
Geklagt hatte eine Versicherte, die auf der Kellertreppe des eigenen Hauses gestützt war und Verletzungen an der Wirbelsäule erlitten hatte. Im Keller befand sich das häusliche Büro der Klägerin, das sie aufsuchen wollte, als sie stürzte.
Das BSG entschied, dass der Weg der Klägerin zur Zeit des Unfalls in einem sachlichen Zusammenhang zu ihrer versicherten Tätigkeit stand. Die Anerkennung als Arbeitsunfall scheitere nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignet hatte.
10. Mehrarbeitszuschläge für Beschäftigte in der Systemgastronomie
Zum Jahresabschluss hat der gewerkschaftliche Rechtsschutz noch einen großen Erfolg für Teilzeitbeschäftigte erzielt. Sie erhalten einen Zuschlag für Überstunden, wenn sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus tätig sind.
Der Tarifvertrag der Systemgastronomie sieht eine erhöhte Vergütung vor, wenn Beschäftigte die Jahresarbeitszeit überschreiten. Der Fischbräter NORDSEE wollte das so verstehen, dass Teilzeitbeschäftigte den Zuschlag erst dann erhalten, wenn sie die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschreiten.
Dagegen klagten einige Beschäftigte, die in letzter Instanz vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht vertreten wurden. Das BAG schloss sich der Rechtsansicht der Prozessvertreterin an, wonach die Klägerinnen ihre Freizeit opfern, wenn sie mehr arbeiten müssen, als arbeitsvertraglich vereinbart wurde.
Für dieses Sonderopfer müssten sie entschädigt werden. Es spiele keine Rolle, ob es sich um einen Vollzeitbeschäftigten oder Teilzeitbeschäftigten handelt. Damit gab das Bundesarbeitsgericht eine langjährige Rechtsprechung auf.