Tarifeinheitsgesetz weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar. Quelle: © Bundesverfassungsgericht │ lorenz.fotodesign, Karlsruhe
Tarifeinheitsgesetz weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar. Quelle: © Bundesverfassungsgericht │ lorenz.fotodesign, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht musste die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überprüfen, weil unter anderem Gewerkschaften einzelner Berufsgruppen wie Piloten oder Ärzte eine Verletzung der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Grundgesetz gerügt hatten.

Das Tarifeinheitsgesetz

Das Tarifeinheitsgesetz trat im Sommer 2015 in Kraft. Es ändert sowohl das Tarifvertragsgesetz als auch das Arbeitsgerichtsgesetz.

Im Wesentlichen geht es darum zu regeln, wie zu verfahren ist, wenn in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften vertreten sind. Sollten sich die Gewerkschaften nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen können, gilt der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder im Betrieb hat. Zwar sollen auch die kleineren Gewerkschaften weiter Tarifverträge abschließen können. Diese würden aber im Kollisionsfall vom Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft verdrängt. Auch die Streikfähigkeit der kleineren Gewerkschaften stellt das Gesetz grundsätzlich nicht infrage. Ob jedoch Streikbereitschaft für einen Tarifvertrag besteht, der von einem einer größeren Gewerkschaft ohnedies verdrängt würde, mag dahinstehen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht sieht einen verfassungskonformen und einen verfassungswidrigen Teil des Tarifeinheitsgesetzes.

Der verfassungskonforme Teil

Zunächst stellt das höchste deutsche Gericht fest:
„Die Regelung zur Verdrängung eines Tarifvertrags im Kollisionsfall greift in die Koalitionsfreiheit ein.”


Dies sei so, weil sich die Gefahr einer Verdrängung eines Tarifvertrages negativ auf die Mitgliedszahlen und die Mobilisierungsbereitschaft auswirken kann.
Trotzdem sind „ … die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes … in der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung und Handhabung weitgehend mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar.”
Ziel des Gesetzes sei, „ … Tarifkollisionen zu vermeiden.” Der Gesetzgeber habe insoweit das legitime Ziel verfolgt, „ … zur Sicherung der strukturellen Voraussetzungen von Tarifverhandlungen das Verhältnis der Gewerkschaften untereinander zu regeln.” Dabei verkennt das Bundesverfassungsgericht nicht, dass es zu „Belastungen” für die kleinen Gewerkschaften kommen könne. Das Gewicht dieser „Belastungen” sind jedoch nach Vornahme einer Gesamtabwägung „ … überwiegend zumutbar, wenn ihnen durch eine restriktive Auslegung der Verdrängungsregelung … Schärfen genommen werden.”


Diese „Schärfen” relativieren sich unter anderem aufgrund folgender Umstände:

  • Wenn sich alle betroffenen Tarifvertragsparteien darauf einigen, kommt die Kollisionsnorm nicht zur Anwendung.
  • Die Arbeitsgerichte sind gehalten, im Kollisionsfall die kleinen Gewerkschaften durch Auslegung der Tarifverträge möglichst weitgehend zu schonen.
  • Die Verdrängungsregelung ist so auszulegen, dass die Verdrängung nur solange dauert, wie der verdrängende Tarifvertrag läuft. 
  • Bestimmte tarifvertraglich garantierte Leistungen wie etwa Leistungen zur Alterssicherung zur Arbeitsplatzgarantie oder zur Lebensarbeitszeit kann ein anderer Tarifvertrag nicht verdrängen.
  • Die Arbeitsgerichte müssen die prozessrechtlichen Möglichkeiten nutzen, um zu vermeiden, dass Arbeitgeber erfahren, welche Gewerkschaft im Betrieb wie viele Mitglieder hat. Diese Vorgabe des Verfassungsgerichts dürfte in der Praxis - wenn überhaupt - nur unter ganz erheblichen Schwierigkeiten zu erfüllen sein.

Der verfassungswidrige Teil

Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass das Gesetz insoweit verfassungswidrig sei, als „ … Schutzvorkehrungen gegen eine einseitige Vernachlässigung der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen durch die jeweilige Mehrheitsgewerkschaft fehlen.“ Deshalb gibt das Gericht dem Gesetzgeber auf, das Gesetz bis 31. Dezember 2018 zu ändern. Er soll Vorkehrungen treffen, „… die sichern, dass in einem Betrieb die Interessen von Angehörigen kleinerer Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt wird, hinreichend berücksichtigt werden.” Im Hinblick darauf, wie diese Vorkehrungen konkret aussehen sollen, billigt das Gericht dem Gesetzgeber „einen weiten Gestaltungsspielraum” zu. Bis zu einer solchen Neuregelung kommt eine Verdrängungswirkung erst in Betracht, „ … wenn plausibel dargelegt werden kann, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt wird, ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat.”

Die Sondervoten

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht einstimmig gefallen. Zwei Mitglieder des entscheidenden Senates haben ein Sondervotum abgegeben.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.7.2017

Rechtliche Grundlagen

Artikel 9 Grundgesetz

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 9
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.