Susanne Theobald - Saarbrücken
Susanne Theobald - Saarbrücken

Nach deutschem Verfassungsrecht gilt für alle Beamte ein generelles Streikverbot, das Verfassungsrang genießt, auch für Beamte außerhalb eines engen Bereiches der Hoheitsverwaltung wie Polizei und Feuerwehr, also beispielsweise für verbeamtete Lehrer.
Am 27.02.2014 hat das Bundesverwaltungsgericht (2 C 1.13) für diesen Personenbereich zwar entschieden, dass er sich auch weiterhin nicht an Streiks beteiligen darf, zu welchen die Gewerkschaften ihre angestellten Kollegen aufrufen. Allerdings sieht das Bundesverfassungsgericht eine Kollision zwischen deutschem Verfassungsrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zur Auflösung dieser Kollisionslage soll der Bundesgesetzgeber nun berufen sein, diesbezüglich das Statusrecht der Beamten zu regeln und fortzuentwickeln.

Das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht wurde durch eine Lehrerin geführt, die als Beamtin im Landesdienst steht. Sie blieb 2009 wegen der Teilnahme an Warnstreiks vom Dienst fern, zu welchem ihre Gewerkschaft während der geführten Tarifverhandlungen aufgerufen hatte. Das Fernbleiben vom Dienst wurde von Seiten des Dienstherrn disziplinarisch geahndet. Gegen die verhängte Disziplinarmaßnahme beschritt die Beamtin den Rechtsweg, welcher bis hin zum Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben ist. Im Rahmen dieses Disziplinarverfahrens war nun das Bundesverwaltungsgericht dazu berufen, zum Streikrecht für beamtete Lehrer zu entscheiden.

Artikel 33 Abs. 5 GG legt fest, dass das Recht des Öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln ist. Zu diesen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört auch das generelle statusbezogene Streikverbot für Beamte. Dieses hat damit Verfassungsrang.

Das Streikverbot gilt für alle Beamte, d.h. auch für diejenigen, die außerhalb des engen Bereiches der Hoheitsverwaltung tätig sind. Lehrer gehören nicht zu diesem engen Bereich der Hoheitsverwaltung, ebenso dürften dazu beispielsweise früher verbeamtete Postzusteller oder die bei der Bahn noch beschäftigten Beamte aus Bundesbahnzeiten zu zählen sein.

Das Bundesverwaltungsgericht verweist darauf, dass in der deutschen Rechtsordnung das Streikverbot einen wesentlichen Bestandteil des in sich austarierten spezifisch beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten darstellt. Hier ist es Sache der Dienstherren, diese Rechte und Pflichten unter besonderer Beachtung der verfassungsrechtlichen Bindungen zu konkretisieren und die Arbeitsbedingungen der Beamten festzulegen.

Dem gegenüber steht Artikel 11 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dahingehend interpretiert wird, dass ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht gegeben ist. Nur für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der hoheitlichen Staatsverwaltung können von den Mitgliedsstaaten des Europarates nach Artikel 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK diese Rechte generell ausgeschlossen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Rechtsprechung festgelegt, dass nur solche Staatsbedienstete der hoheitlichen Staatsverwaltung angehören, die an der Ausübung originär hoheitlicher Befugnisse zumindest beteiligt sind. Hierzu gehören die deutschen öffentlichen Schulen nicht.

Das Bundesverwaltungsgericht führt in diesem Zusammenhang nun ausdrücklich aus, dass die Bundesrepublik Deutschland völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet ist, Artikel 11 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der deutschen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen. Nachdem dies bislang angesichts des generellen Streikverbotes für Beamte im Blick auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Artikel 33 Abs. 5 GG nicht der Fall ist, wird vom Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Widerspruch in Bezug auf das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht derjenigen Beamten gesehen, die außerhalb der hoheitlichen Staatsverwaltung tätig sind. Zur Auflösung dieser Kollisionslage zwischen deutschem Verfassungsrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention soll der Bundesgesetzgeber berufen sein, wobei diesem hierfür verschiedene Möglichkeiten offen stehen.

Denkbar wäre eine Festlegung der hoheitlichen Staatsverwaltung, für welche ein generelles Streikverbot gilt. Im Gegenzug dafür könnte dann für die anderen Bereiche der öffentlichen Verwaltung die einseitige Regelungsbefugnis der Dienstherren zu Gunsten einer erweiterten Beteiligung der Berufsverbände der Beamten eingeschränkt werden; diese dürften mithin gegebenenfalls streiken.

Das Bundesverwaltungsgericht verweist in diesem Zusammenhang jedoch darauf, dass die Zuerkennung eines Streikrechts für einen bestimmten Teil von Beamten einen Bedarf an Änderungen nach sich ziehen würde, der beispielsweise das Besoldungsrecht betrifft. Die Besoldung ist derzeit gesetzlich geregelt und wird im Einzelnen in den Besoldungsordnungen festgelegt. Im Falle der Zulässigkeit von Streiks müsste es da zumindest zu Verfahrensänderungen kommen; denn eine einseitige Regelungsbefugnis des Bundes bzw. der Länder gäbe es dann sicher nicht mehr.

Für die Übergangszeit bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung soll es auf Grund dessen bei der Geltung des verfassungsunmittelbaren Streikverbots bleiben.

Mit dieser Rechtsprechung dürfte der Bundesgesetzgeber jedoch in der Zukunft gehalten sein, das Streikrecht eines großen Teils von Beamten neu zu regeln.

Von besonderer Brisanz ist hierbei, dass das Bundesverwaltungsgericht sich ausdrücklich dahingehend festlegt, dass den Tarifabschlüssen für die Tarifbeschäftigten des Öffentlichen Dienstes besondere Bedeutung auch für die Besoldung der Beamten zukommt. Artikel 33 Abs. 5 GG enthält nämlich auch den sogenannten Alimentationsgrundsatz, an welchem sich die Besoldung der Beamten zu orientieren hat. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist jedoch der Besoldungsgesetzgeber im Bund und in den Ländern verfassungsrechtlich gehindert, die Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung, die in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck kommt, abzukoppeln.

Genau zu dieser Frage dürfte jedoch eine zweifellos interessante Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten sein. Die verfassungsrechtlich vorgegebene Schuldenbremse führt inzwischen zu einer Beschränkung regelmäßiger Besoldungserhöhungen für Beamte. Diese werden aufgrund dessen immer weiter von der Gehaltsentwicklung der Tarifbeschäftigten abgekoppelt.

Das Verwaltungsgericht Koblenz hat am 12.09.2013 (AZ: 6 K 445/13.KO) die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer solchen landesgesetzlichen Regelung für Rheinland-Pfalz dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Sollte das Bundesverfassungsgericht nun Kriterien dafür vorlegen, wann von einer verfassungswidrigen Abkopplung der Besoldung von Beamten auf die Gehaltsentwicklung von Tarifbeschäftigten auszugehen ist, so werden sich hieraus zweifelsohne interessante Rückschlüsse auf die Frage ziehen lassen, in welchen Situationen Beamte, die keine originär hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, für ihre Besoldung streiken dürfen.

Susanne Theobald - Saarbrücken

Bundesverwaltungsgericht am 27.2.2014, 2 C 1.13