Wer infolge eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig ist oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann, hat Anspruch auf Verletztengeld. Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass die/der Betroffene unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt oder eines anderen in § 45 Absatz 1 des 7 Sozialgesetzbuches (SGB VII) bezeichneten Einkommens hatte. Es beträgt 80 Prozent des Regelentgeltes und wird u.a. nur bis zum Beginn von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht.


Erhalten Versicherte infolge des Versicherungsfalls Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, haben sie Anspruch auf Übergangsgeld. Das wird berechnet, indem man 80 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens zugrunde legt, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. Die Obergrenze ist aber das Nettoentgelt. Die/der Berechtigte erhält dann je nach Unterhaltspflichten 68 bis 75 Prozent dieses Regelentgeltes als Übergangsgelt.


Das Verletztengeld ist mithin deutlich höher als das Übergangsgeld. Nicht eindeutig geregelt ist die Zeit zwischen zwei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dazu gibt es jetzt eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG).

Robert Schulz kann seinen Beruf nicht mehr ausüben

Robert Schulz (Name von der Redaktion geändert) war als Fleischer beschäftigt. Er erlitt im Jahre 2004 während seiner Tätigkeit einen Arbeitsunfall. Weil er danach Bewegungseinschränkungen am rechten Arm hatte, konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben.


Von der Berufsgenossenschaft (BG) erhielt er zunächst Verletztengeld und ab Mai 2006 eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 Prozent bis Oktober 2006. Danach gewährte sie ihm eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent, die ab Juli 2007 auf 40% erhöht wurde.


Ab November 2006 förderte die BG zudem seine Weiterbildung zum Fachassistenten für Fleischhygiene als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hierfür erhielt Herr Schulz Übergangsgeld. Die Tätigkeit als Fachassistent für Fleischhygiene konnte er aufgrund seiner Schulterverletzung nicht ausüben. Ab 15.8.2007 war Robert Schulz arbeitslos gemeldet und erhielt Arbeitslosengeld. Im Jahre 2011 bewilligte die BG die Teilnahme an einem Meisterkurs an einer Fleischerfachschule.

Das Landessozialgericht gab Robert Schulz in vollem Umfang Recht

Herr Schultz hatte auch für die Zeit von Mai bis Oktober 2006 sowie für die Zeit vom August 2007 bis August 2011 Verletztengeld beantragt, was die BG jeweils abgelehnt hatte. Sie gewährte stattdessen Übergangsgeld. Das Sozialgericht Berlin hatte die BG verurteilt, für die Zeit von August 2007 bis August 2011 unter Anrechnung des gezahlten Übergangsgeldes Verletztengeld zu gewähren.


Gegen dieses Urteil hatte die BG Berufung eingelegt und Robert Schulz Anschlussberufung. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gab Herrn Schulz in vollem Umfang Recht und verurteilte die BG, ihm auch für von Mai bis Oktober 2006 Verletztengeld zu gewähren.


Hiergegen ist die BG in die Revision gegangen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat das Urteil des LSG teilweise aufgehoben. Es vertrat die Auffassung, dass Herr Schulz zwar einen Anspruch auf Verletztengeld für die Zeit von Mai bis Oktober 2006, aber nicht für die Zeit von August 2007 bis August 2011 habe.

Bundessozialgericht: Robert Schulz hat keinen Anspruch auf Verletztengeld für den Zeitraum, der zwischen den beiden Weiterbildungsmaßnahmen liegt

Das LSG habe die Berufung der Berufsgenossenschaft zu Unrecht zurückgewiesen, so der 2. Senat des BSG in seinem Urteil vom März 2021. Robert Schulz habe keinen Anspruch auf Verletztengeld für den Zeitraum, der zwischen den beiden Weiterbildungsmaßnahmen liege. Der Bescheid der BG sei für diesen Zeitraum mithin rechtmäßig gewesen. Zu Recht habe dagegen das LSG auf die Anschlussberufung des Herrn Schulz die BG verurteilt, ihm auch für die Zeit von Mai bis Oktober 2006 Verletztengeld zu zahlen zu zahlen.


Ein Anspruch auf Verletztengeld habe zwar bis zum 31.10.2006 bestanden. Er sei jedoch erloschen, als Herr Schulz wegen des Beginns der als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben Anspruch auf Übergangsgeld gehabt habe. Nachdem die Maßnahme beendet gewesen sei, sei kein neuer Anspruch auf Verletztengeld entstanden. Vielmehr habe Herr Schulz für die Zeit von August 2007 bis August 2011 lediglich weiterhin einen Anspruch auf Übergangsgeld gehabt.

Der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Gesetzesnormen spricht dafür, dass nach dem Ende der Teilhabeleistung lediglich wieder Übergangsgeld zu zahlen ist

Dem Verletztengeld im hier streitigen Zeitraum nach Beendigung der ersten Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben ab August 2007 stünde entgegen, dass der Anspruch auf Verletztengeld spätestens an dem Tag vor dem Tag, an dem er erstmals Anspruch auf Übergangsgeld gehabt habe, nämlich am 31.10.2006, geendet hat. Nach § 45 Abs 2 Satz 2 SGB VII werde das Verletztengeld bis zum Beginn der Maßnahme erbracht. Vom November 2006 bis August 2007 habe Robert Schulz eine geförderte Maßnahme zur Teilhabe durchlaufen. Gemäß § 49 SGB VII bestünde damit für diesen Zeitraum ein Anspruch lediglich auf das ihm ausgezahlte Übergangsgeld.Es fände sich keine eindeutige Regelung, aus der die Weiterzahlung oder Weitergeltung des beendeten Anspruchs auf Verletztengeldes abgeleitet werden könnte. Der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Gesetzesnormen spreche vielmehr dafür, dass nach dem Ende der Teilhabeleistung lediglich wieder Übergangsgeld zu zahlen sei. Das gelte jedenfalls immer dann, wenn eine weitere Maßnahme der beruflichen Rehabilitation erforderlich werde, also ein Zwischenzeitraum zwischen zwei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben überbrückt werden solle.

Hier geht es zur Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16. März 2021 - B 2 U 12/19 R (Volltext)

Rechtliche Grundlagen

§§ 45 und 46 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII)

wichtige Vorschriften:
§ 45 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII)
Voraussetzungen für das Verletztengeld

(1) Verletztengeld wird erbracht, wenn Versicherte
1. infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und
2. unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Krankengeld, Pflegeunterstützungsgeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, nicht nur darlehensweise gewährtes Arbeitslosengeld II oder nicht nur Leistungen für Erstausstattungen für Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt nach dem Zweiten Buch oder Mutterschaftsgeld hatten.
(2) Verletztengeld wird auch erbracht, wenn
1. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich sind,
2. diese Maßnahmen sich aus Gründen, die die Versicherten nicht zu vertreten haben, nicht unmittelbar an die Heilbehandlung anschließen,
3. die Versicherten ihre bisherige berufliche Tätigkeit nicht wieder aufnehmen können oder ihnen eine andere zumutbare Tätigkeit nicht vermittelt werden kann oder sie diese aus wichtigem Grund nicht ausüben können und
4. die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 erfüllt sind.
Das Verletztengeld wird bis zum Beginn der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Zeit bis zum Beginn und während der Durchführung einer Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung.
(3) Werden in einer Einrichtung Maßnahmen der Heilbehandlung und gleichzeitig Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Versicherte erbracht, erhalten Versicherte Verletztengeld, wenn sie arbeitsunfähig sind oder wegen der Maßnahmen eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können und die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 erfüllt sind.
(4) Im Fall der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines durch einen Versicherungsfall verletzten Kindes gilt § 45 des Fünften Buches entsprechend mit der Maßgabe, dass
1. das Verletztengeld 100 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts beträgt und
2. das Arbeitsentgelt bis zu einem Betrag in Höhe des 450. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist.
Erfolgt die Berechnung des Verletztengeldes aus Arbeitseinkommen, beträgt dies 80 Prozent des erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens bis zu einem Betrag in Höhe des 450. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes.

§ 46 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII)
Beginn und Ende des Verletztengeldes

(1) Verletztengeld wird von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, oder mit dem Tag des Beginns einer Heilbehandlungsmaßnahme, die den Versicherten an der Ausübung einer ganztägigen Erwerbstätigkeit hindert.
(2) Die Satzung kann bestimmen, daß für Unternehmer, ihre Ehegatten oder ihre Lebenspartner und für den Unternehmern nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Gleichgestellte Verletztengeld längstens für die Dauer der ersten 13 Wochen nach dem sich aus Absatz 1 ergebenden Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht gezahlt wird. Satz 1 gilt nicht für Versicherte, die bei einer Krankenkasse mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind.
(3) Das Verletztengeld endet
1. mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme,
2. mit dem Tag, der dem Tag vorausgeht, an dem ein Anspruch auf Übergangsgeld entsteht.
Wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erbringen sind, endet das Verletztengeld
1. mit dem Tag, an dem die Heilbehandlung so weit abgeschlossen ist, daß die Versicherten eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen können,
2. mit Beginn der in § 50 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches genannten Leistungen, es sei denn, dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall im Zusammenhang stehen,
3. im Übrigen mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung.