Copyright by Anna Cor
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Vor ein paar Tagen kam ein Mann zu uns. Der war vielleicht wütend! Der Chef hatte ihm einen Brief geschrieben, der nicht so nett war. Es standen Dinge darin, die der Mann falsch gemacht hat und die er ab jetzt richtig machen soll. Der Mann schafft es manchmal nicht, dann hier anzukommen, wann er soll. Deshalb hat er diesen Brief bekommen, den Frauchen „Abmahnung“ nennt. Das ist nicht gut, wenn man sowas bekommt. Das habe ich verstanden.
 
Der Mann möchte sofort mit dem Chef sprechen. Der ist aber nicht da. Ob er wirklich Golf spielt, wie der Mann vermutet, weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich ist es besser, den Chef nicht auch noch anzuschreien. Ich versuche böse zu gucken, aber das klappt nicht. Knurren oder Bellen sind leider strengstens verboten.
Frauchen sagt dem Mann, er solle sich beruhigen. Gerne könne er seine Sicht der Dinge aufschreiben. Wieder ein Brief, dabei können doch alle hier sprechen. Menschen sind komisch!
 
Frauchen und die anderen in unserem Büro haben sich noch lange über den Mann unterhalten, nachdem er weg war. Eine Gemeinheit soll dieser Brief vom Chef sein. Der wütende Mann komme zwar manchmal zu spät. Aber der Chef wisse doch genau warum! Weil er kein Auto hat und mit dem Zug fahren muss. Und dieser kommt auch nicht immer, wann er soll. Dafür könne der Mann ja nichts. Und außerdem komme er auch immer nur zwei, drei Minuten zu spät.
 
Den Brief, den der Mann nun an den Chef schreiben soll, nennt Frauchen „Gegendarstellung“. Wenn der Chef kein Einsehen hat, hat der Mann die Möglichkeit beim Arbeitsgericht zu klagen. Ich weiß nicht was das bedeutet. Aber klagen klingt irgendwie nicht friedlich.
 
Heute kam der Mann dann wieder, um mit dem Chef zu sprechen. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Aber er hatte auf Frauchen gehört und sich beruhigt. Brav! Er war auch nicht alleine, sondern hatte die nette Frau dabei. Die kommt oft zu uns ins Büro. Sie hilft den Menschen hier. Wenn es Ärger mit dem Chef gibt. „Betriebsrat“ nennt Frauchen das.
 
Es vergeht viel Zeit. Ich lasse die Tür zum Raum vom Chef nicht aus den Augen. Damit ich ja nichts verpasse. Dann kommt der Mann mit der Frau vom Betriebsrat zurück. Sie sehen beide gar nicht wütend aus. Eher wie Herrchen, wenn er seine Lieblingsschokolade isst. Der Chef hat versprochen, den bösen Brief bald wegzuschmeißen. Der ist in etwas, dass sie „Personalakte“ nennen. Da soll er aber nur noch ein halbes Jahr bleiben. Auch der andere Brief, die Gegendarstellung ist dort. Der Mann kann nun mal nur mit dem Zug zur Arbeit kommen. Und auf den kann man sich nicht verlassen. Deshalb hatte der Chef ein Einsehen. Der Mann soll genau auf seine Uhr gucken und die Minuten, die er zu spät kommt, länger bleiben. Wenn das so klappt, war es das mit der Abmahnung.
 
Ha, habe ich doch gleich gesagt: Sprechen hilft! Zumindest in diesem Fall!