Wie oft müssen öffentliche Arbeitgeber einladen? Copyright by RRF / Fotolia.
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Diese Frage hat das Landesarbeitsgericht im Urteil vom 1. November 2018 beantwortet.

Was war passiert?

Die Bundesagentur für Arbeit schrieb intern zwei Stellen als Personalberaterin /Personalberater im „Internen Service“ aus. Einer der beiden Arbeitsplätze sollte sich in Berlin, der andere in Cottbus befinden.
Ein schwerbehinderter Mensch, der bereits bei der Bundesagentur arbeitete, bewarb sich auf beide Stellen.
Die Bundesagentur lud ihn für den 13. Mai 2016 zu einem Vorstellungsgespräch nach Berlin ein. Dort fand ein Auswahlgespräch in Form eines strukturierten Interviews mit ihm und mit einer anderen Bewerberin statt.
Zu einem Vorstellungsgespräch, das mit einer anderen Bewerberin nach Cottbus stattfand, lud die Bundesagentur ihn nicht ein.
Die beiden Vorstellungsgespräche haben auf Seiten der Bundesagentur (teilweise) unterschiedliche Personen geführt.

Klage auf Schadensersatz

Der schwerbehinderte Mensch sah sich wegen seiner Behinderung diskriminiert. Er klagte deshalb - unter anderem - auf Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.

Argumentation der Bundesagentur

Die Bundesagentur vertrat die Auffassung, es reiche aus, dass sie den Kläger zu einem der beiden Vorstellungsgespräche eingeladen habe.

  • Es habe sich lediglich um eine interne Stellenausschreibung gehandelt. Deshalb habe der Kläger keinen Anspruch darauf, zu beiden Terminen kommen zu können.
  • Das Anforderungsprofil sei für beide Stellen identisch. Deshalb reiche die Teilnahme an einem Gespräch, um die Eignung des Klägers beurteilen zu können.
  • Der Kläger hätte einen Vorteil gegenüber anderen Bewerber*innen beim zweiten Vorstellungsgespräch gehabt, weil er im Gegensatz zu ihnen die Interviewfragen bereits kannte.

 

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht ließ keines der Argumente gelten.

Interne Stellenausschreibung

Das Berufungsgericht weist darauf hin, dass es umstritten sei, ob die Einladungspflicht für öffentliche Arbeitgeber auch dann bestehe, wenn die Stelle lediglich intern ausgeschrieben ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass sich die Einladungspflicht nur auf Stellen bezieht, die auch externen Bewerber*innen offen stehen.
Andere Jurist*innen meinen, dass eine lediglich interne Ausschreibung nichts an der Pflicht zur Einladung ändere.
Das Landesarbeitsgericht lässt erkennen, dass es wohl dieser Auffassung zuneige. Aber es stellt fest, dass es für den Fall, der hier zu beurteilen war, nicht darauf ankomme, welcher Meinung man folge. Denn der entsprechende Paragraph im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) sei „ … nach seinem Sinn und Zweck anzuwenden, wenn sich ein öffentlicher Arbeitgeber - wie hier die Beklagte - entschließt, Auswahlgespräche durchzuführen, weil ihr oder ihm die Papierlage und die Eindrücke der Vorgesetzten und/oder Personalverantwortlichen von den Beschäftigten, die sich auf eine intern zu besetzende Stelle beworben haben, nicht genügen, um deren Eignung, Befähigung und fachliche Leistung ausreichend beurteilen zu können.“

Denn - so das Landesarbeitsgericht weiter - schwerbehinderte Menschen haben tendenziell schlechtere Bewerbungschancen. Öffentliche Arbeitgeber dürfen sie deshalb nach Sinn und Zweck der Vorschrift im SGB IX auf keinen Fall bereits allein aufgrund der schriftlichen Unterlagen ausschließen. Vielmehr sollen schwerbehinderte Menschen immer die Möglichkeit erhalten, in einem Vorstellungsgespräch von sich zu überzeugen. Etwas anderes gelte nur, wenn die Bewerber offensichtlich ungeeignet für die Stelle seien.

Identisches Stellenprofil

Bei Bewerbungen auf mehrere Stellen mit identischem Stellenprofil ist nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts eine Einladung zum Vorstellungsgespräch für jede einzelne Stelle erforderlich. Etwas anders gilt nur, wenn

  • die Auswahl aufgrund eines identischen Auswahlverfahrens erfolgt,
  • die Auswahlkommissionen personenidentisch sind und
  • zwischen den jeweiligen Auswahlentscheidungen nur wenige Wochen liegen.

Im Fall der Bundesagentur für Arbeit waren an den beiden Auswahlkommissionen verschiedene Personen beteiligt. Deshalb hätte die Bundesagentur den Kläger auch nach Cottbus einladen müssen.

Ungerechtfertigter Vorteil des Klägers

Hier geht auch das Landesarbeitsgericht davon aus, dass der Kläger möglicherweise einen Vorteil gehabt haben könnte. Das ändere aber nichts an der Einladungspflicht für das zweite Vorstellungsgespräch. Denn die Bundesagentur hätte einen solchen Vorteil k:k „ … durch die Bildung einer einheitlichen Auswahlkommission vermeiden können oder durch die Zusammenlegung der Auswahlgespräche in Anwesenheit beider Auswahlkommissionen oder durch unterschiedliche Fragen und Aufgabenstellungen.“

Ergebnis für den Kläger

Die Bundesagentur hat den Kläger nicht nach Cottbus eingeladen dazu war sie aber verpflichtet. Darin liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Deshalb hat der Kläger nach diesem Gesetz einen Anspruch auf Schadensersatz. Denn eine Verletzung der Einladungspflicht begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung, wenn dem öffentlichen Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft einer Bewerberin oder eines Bewerbers bekannt ist. Dass der Kläger schwerbehindert ist, wusste die Bundesagentur. Also wäre sie verpflichtet gewesen, die Vermutung einer Benachteiligung zu erschüttern. Dies ist ihr nicht gelungen.

Deshalb kann sich der Kläger über 5200 Euro Schadensersatz freuen.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 01.11.2019, Az: 21 Sa 1643/17:

Rechtliche Grundlagen

§§ 1, 3 und 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

§ 3 Begriffsbestimmungen
(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.


(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.


§ 15 Entschädigung und Schadensersatz
(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.