Annelie Buntenbach seit 2006 Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB verantwortlich für die Themenbereiche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Recht, Migrations- und Antirassismuspolitik, seit 2010 außerdem Europapolitik, DGB-Index Gute Arbeit, Humanisierung der Arbeit, Projekt „Faire Mobilität“, DGB-Rechtsschutz GmbH (auch stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats)
Ist der anliegend geschilderte Fall eine unrühmliche Ausnahme, oder zeichnet er sich nur dadurch aus, dass der Arbeitgeber (Werkvertragsnehmer) seine Einstellung zu Gewerkschaften schriftlich niedergelegt hat?
Dass ein Arbeitgeber dies schriftlich macht ist schon ungewöhnlich, aber mündlich werden den Beschäftigten öfter derartige Hinweise gegeben, manchmal auch etwas durch die Blume, so nach dem Motto „also bei uns hier ist niemand in der Gewerkschaft“ oder „bei uns im Betrieb brauchen wir keine Gewerkschaften, hier kann jeder direkt zum Chef kommen“. Gerade in Verbindung mit Werkverträgen treffen wir sehr häufig auf eine extrem gewerkschaftsfeindliche Haltung. Es gehört sozusagen zum Geschäftsmodell, weil dies die Voraussetzung dafür ist, die Löhne zu drücken und sich anderen Arbeitgeberverpflichtungen (wie z.B. Einhalten der Arbeits- und Ruhezeiten, Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, usw.) zu entziehen. Im Dienstleistungsbereich spielen die Lohnkosten eine große Rolle, deswegen können die Arbeitgeber durch diese Maßnahmen schnell Extraprofite einfahren.
Was ist schlimmer: Die Dumpinglöhne, die der Unternehmer anbietet oder das gewerkschaftsfeindliche Verhalten, das zutage tritt?
Beides hängt eng zusammen. Die Schwächung der Gewerkschaften ist Voraussetzung für ein effizientes Durchdrücken von Arbeitgeberinteressen. Mit den Hartz-Gesetzen hat sich dieser Trend verschärft, weil die Politik Arbeitgeber in der Haltung bestärkt hat, „Hauptsache Arbeit“, die Rahmenbedingungen dabei waren zweitrangig. Viele Arbeitgeber haben diese Botschaft dankbar aufgegriffen. Während Leiharbeit und Werkverträge davor noch verpönt waren – man machte das nicht – hat sich seitdem das gesellschaftliche Klima geändert. Die Beraterbranche hat diesen Trend verstärkt und für die Unternehmen gezielt Strategien entwickelt, um Leiharbeit und Werkverträge als Kostensenker einzusetzen. Besonders viel Geld verdient derjenige mit Leiharbeit und Werkvertrag, der besonders skrupellos ist, davon gibt es leider zu viele.
Von der „Guten Arbeit“, die die Gewerkschaften fordern, ist der anliegende Fall weit entfernt. Was muss in unserer Gesellschaft in erster Linie geschehen, um solche Verhältnisse zu verhindern?
Wir brauchen generell einen anderen Zungenschlag: Geiz ist nicht geil und die Gewinnmaximierung einzelner darf nicht über Arbeitnehmerrechte gestellt werden. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, aber auch wir Gewerkschaften. Der Gesetzgeber muss, statt weiter zu deregulieren, neue Regeln setzen. Mit dem Mindestlohn ist ein großer Schritt nach vorne gemacht worden. Extrem niedrige Löhne sind in Zukunft nicht mehr möglich. Dadurch werden einige Geschäftsmodelle unattraktiv. Auch in der Leiharbeit ist einiges geschehen, vor allem die Branchenzuschläge haben bei längerer Überlassung die Einkommenssituation verbessert. Ein Problem ist aber nach wie vor die instabile Beschäftigung. Bei den Werkverträgen hat die Bundesregierung versprochen, Vorschläge auf den Tisch zu legen, um endlich den Missbrauch einzudämmen. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen werden soll, um so die Kontrollen zu erleichtern, außerdem sollen die Informationsrechte der Betriebsräte gestärkt werden. Wie das konkret aussehen soll, ist noch unklar. Bei den Minijobs hat der DGB Lösungsvorschläge vorgelegt, die aber bisher leider noch nicht politisch aufgegriffen wurden. Für uns Gewerkschaften ist wichtig, dass wir die Gruppen, die besonders von der Deregulierung betroffen sind, stärker unterstützen. Hier sind auch die Betriebsräte gefragt, aber auch die tariflichen Möglichkeiten müssen genutzt werden.
„Werkverträge sind die neue Leiharbeit“. Das heißt: Die Auslagerung von Arbeit durch Beauftragung von Werkvertragsunternehmen verdrängt immer mehr die Leiharbeit. Wie bewertest Du diese Entwicklung?
Vor allem einige Branchen sind hier anfällig, einen generellen Trend würde ich aber nicht sehen. Der Werkvertrag beinhaltet für den Auftraggeber auch Nachteile, insbesondere wenn es um die Weitergabe und den Erhalt von Wissen, Kontinuität und Qualität der Arbeitsergebnisse geht. Diese Risiken gehen die Auftraggeber nur ein, wenn der Lohnkostenvorteil sehr hoch ist. Bisher konnten über die Werkverträge zum Teil sehr niedrige Löhne durchgesetzt werden, das ist jetzt mit Einführung des Mindestlohnes und besserer Tarifbindung nicht mehr so einfach möglich. Deswegen hoffe ich, dass in Zukunft dieses Geschäftsmodell unattraktiver wird. Auch die gesetzlichen Änderungen könnten hilfreich sein, das kann man aber derzeit noch nicht abschließend beurteilen.
In der Öffentlichkeit werden Fälle des Missbrauchs durch „verkappte Leiharbeit“ diskutiert. In dem geschilderten Fall scheint es sich ja um korrekte Werkvertragsvereinbarungen zu handeln. Was muss geschehen, um „legales Outsourcing“ einzudämmen?
Wenn wir nicht zu einer präzisen gesetzlichen Abgrenzung kommen – wie die Gewerkschaften sie fordern – werden die Grenzen fließend sein. Derzeit kann – mit geschickter rechtlicher Beratung – vieles zum Werkvertrag umdeklariert werden. Deswegen muss der Gesetzgeber hier für Klarstellung sorgen. Arbeit, die direkt in die Produktion eingebunden ist, ist kein Werkvertrag. Derzeit können die Betriebsräte die Auslagerung nicht verhindern, auch übrigens nicht nach der geplanten gesetzlichen Änderung. Das gewerkschaftliche Ziel muss sein, dass die Produktion und das dafür nötige Personal in einer Hand bleiben und nicht in viele verschiedene Segmente aufgeteilt wird, die dann von verschiedenen Unternehmen erledigt werden. Nicht zum Kern gehörende Teile werden vermutlich auch in Zukunft ausgelagert werden, das muss man dann im Einzelfall beurteilen.
Nicht nur Betriebsräte rufen nach dem Gesetzgeber, wenn es um Werkvertragsunternehmer im Betrieb geht. Was muss gesetzlich geregelt werden, um dieses Problem in den Griff zu kriegen?
Der DGB hat vorgeschlagen, dass konkrete Abgrenzungskriterien gesetzlich definiert werden. Die Österreicher haben eine derartige Abgrenzung schon seit 25 Jahren und haben gute Erfahrungen damit gemacht. Kein Werkvertrag ist z.B. wenn die Werkvertragsbeschäftigten in die organisatorischen Abläufe des Unternehmens integriert sind, oder wenn Beschäftigte des Stammbetriebes die gleiche Arbeit machen, oder die Arbeit im Wesentlichen mit Material und Werkzeugen des Auftraggebers erledigt wird. Dies ist konkreter, als die jetzigen sehr allgemeinen Kriterien. Das gleiche muss für Selbstständige gelten.
Ist es eine Lösung, Tarifverträge zur Regelung von Mindeststandards bei Werkvertragsunternehmen zu schließen, nach dem Vorbild der Vereinbarung bei der Meyer-Werft?
Tarifverträge sind immer gut, aber die Frage, ob ein Werkvertrag legal ist oder missbräuchlich, kann nicht durch Tarifverträge entschieden werden. Auch wenn präzisere Abgrenzungen gelten, wird es in Zukunft viele Werkverträge geben. Das Ziel muss sein, die gleichen Arbeitsbedingungen herzustellen. Deswegen sind in der Regel separate Tarifverträge nicht notwendig, sondern der im Betrieb bestehende Tarifvertrag muss auf alle Beschäftigten ausgeweitet werden. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Dabei müssen Betriebsräte und Gewerkschaften eng zusammenarbeiten. Separate Tarifverträge sind deswegen allenfalls die zweitbeste Lösung, wenn es sich tatsächlich um einen echten Werkvertrag handelt oder wenn die Beschäftigten des Werknehmers zu einer anderen Branche gehören. Für alle müssen die gleichen Standards gelten, auch wenn die Beschäftigten aus dem Ausland kommen. Deren Stellung ist besonders prekär, weil sie oft weder die Sprache, noch ihre Rechte kennen und drohen, in extreme Ausbeutungsverhältnisse abgedrängt zu werden. Deshalb bin ich froh, dass wir hier über die Beratungsstellen von „Faire Mobilität“ wenigstens etwas unterstützen können. (http://www.faire-mobilitaet.de/)
Der angebotene Verdienst im anliegenden Fall reicht sicherlich nicht, um eine mehrköpfige Familie angemessen zu versorgen. Gleichwohl liegt der Verdienst über dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 €. Ist der gesetzliche Mindestlohn zu niedrig?
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist der Mindestlohn immer zu niedrig. Aber man muss aktuell sehen, woher wir kommen. Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist nicht nur besonders groß sondern er ist auch besonders niedrig. Der Mindestlohn bringt für über 4 Mio. Menschen höhere Löhne. Auch die über dem Mindestlohn liegenden Löhne werden steigen, das ist noch gar nicht eingerechnet. Deswegen ist 8,50 aus meiner Sicht ein guter Anfang. Wichtig ist, dass der Mindestlohn jetzt im Gesetzblatt steht und dass dies auch durchgesetzt wird. Vor allem die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose sind ein Ärgernis und werden uns noch viele Probleme bereiten. Und klar ist: Es wird ja nicht bei den 8,50 bleiben. Ich bin froh, dass wir erreichen konnten, dass der Mindestlohn bereits ein Jahr früher als ursprünglich vorgesehen-nämlich 2017- angepasst wird. Denn der Mindestlohn darf nicht zum Armutslohn werden.
Welche Rolle kann der DGB Rechtsschutz spielen, um verkappte Leiharbeit oder auch „Union Busting“ zu bekämpfen?
Der DGB Rechtsschutz kann Betriebsräte dabei unterstützen, von ihren Mitbestimmungsrechten Gebrauch zu machen. Denn der Betriebsrat muss vor jeder Einstellung von Leiharbeitnehmern im Betrieb beteiligt werden, auch wenn dies unter dem Deckmantel eines Werkvertrags geschieht. Er kann seine Zustimmung zu dieser Einstellung verweigern, z.B. wenn die Leiharbeitnehmer dauerhaft Aufgaben der Stammbelegschaft übernehmen sollen. In der Regel wird der Arbeitgeber, da er offiziell keine Leiharbeitnehmer einsetzt, sondern „nur“ Werkverträge an Drittfirmen vergibt, sich weigern, den Betriebsrat zu beteiligen. In diesem Fall kann der Betriebsrat wegen seiner fehlenden Beteiligung das Arbeitsgericht anrufen, um zu erreichen, dass die Einstellung aufgehoben wird. Dabei kann ihm der DGB Rechtsschutz beratend und unterstützend zur Seite stehen. Verhält sich der Arbeitgeber gewerkschaftsfeindlich, indem er das Organisieren seiner eigenen Mitarbeiter verhindert, die bereits gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten Schikanen aussetzt oder die Wahl und das Funktionieren des Betriebsrates be- oder verhindert, verletzt er sowohl die verfassungsrechtlich und gesetzlich geschützten Rechte der Einzelnen als auch Rechte der Betriebsräte und der Gewerkschaften. Der DGB Rechtsschutz kann Gewerkschaftsmitglieder bei Maßnahmen des Arbeitgebers - von Mobbing bis hin zur fristlosen Kündigung - aber auch die betroffenen Betriebsräte vor Gericht vertreten, wenn sie an ihrer Arbeit gehindert werden. Der Rechtsschutz für Leiharbeitnehmer und Werkvertragler, die in der Gewerkschaft organisiert sind, ist eines der vielen guten Argumente dafür, in eine DGB-Gewerkschaft einzutreten. Und es profitieren beide Seiten davon: Je mehr wir sind, desto besser können wir gemeinsam die Arbeitsbedingungen insgesamt verbessern.