Kirchenrecht bricht Arbeitsrecht - Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen sind Arbeitnehmer zweiter Klasse!
Kirchenrecht bricht Arbeitsrecht - Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen sind Arbeitnehmer zweiter Klasse!

Das kirchliche Arbeitsrecht hat seinen Ursprung in der Weimarer Reichsverfassung (WRV). Danach ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der allgemeingültigen Gesetze. Diese, der Weimarer Reichsverfassung entsprungenen Regelung, die durch Artikel 140 Grundgesetz (GG) fortlebt, feiert bald ihr 100‑jähriges „Jubiläum“, daher muss die Frage erlaubt sein, ob das kirchliche Arbeitsrecht noch zeitgemäß ist?

Kündigung wegen zweiter Heirat 

Der Unterschied zwischen kirchlichem und „normalem“ Arbeitsrecht wurde jüngst wieder deutlich, als das Bundesverfassungsgericht über den Fall eines Chefarztes zu entscheiden hatte, der wegen seiner zweiten Eheschließung gekündigt wurde.


Während das Bundesarbeitsgericht (BAG) in der Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus keinen Kündigungsgrund erkennen konnte (BAG, Urteil vom 08. September 2011, Az.: 2 AZR 543/10), meinte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen stärken zu müssen, und hob Urteil des BAG auf.


Nach Auffassung des BVerfG habe das BAG die Tragweite der kirchlichen Selbstbestimmung vernachlässigt. Das BVerfG verwies das Verfahren zurück an das BAG. Dort müssen die Richter nun prüfen, ob es tatsächlich Gründe gibt, die die Rechte des Arbeitnehmers im konkreten Fall wichtiger erscheinen lassen als das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Beschluss vom 22. Oktober 2014, Az.: 2 BvR 661/12).

Verfassungsgericht stärkt Selbstverwaltung der Kirchen

Ende 2005 trennte sich der Kläger, der als Chefarzt der Inneren Medizin in einem katholischen Krankhaus angestellt war, von seiner Ehefrau. Mit seiner neuen Lebensgefährtin war er seit 2006 liiert.


Als Anfang 2008 die erste Ehe geschieden wurde, heiratete der Kläger im August 2008 seine neue Partnerin. Das Krankenhaus war hiervon spätestens ab November 2008 informiert. Gegen eine ihm im März 2009 zum 30. September 2009 ausgesprochene Kündigung erhob der Chefarzt Klage, die für ihn in allen arbeitsrechtlichen Instanzen erfolgreich war. 


Gegen das letztinstanzliche Urteil des BAG erhob das beklagte Krankenhaus Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, die für die Beklagte insoweit erfolgreich war, als dass eine Zurückweisung an das BAG erfolgte.

Verfassungsgericht verweist zurück an das Bundesarbeitsgericht

Zur Begründung heißt es in dem BVerfG-Beschluss, dass es allein von den kirchlich anerkannten Maßstäben und dem konkreten Inhalt des Arbeitsvertrags abhänge, welche kirchlichen Grundverpflichtungen für das Arbeitsverhältnis bedeutsam seien. Die staatlichen Gerichte dürften sich nicht über das kirchliche Selbstverständnis hinwegsetzen, solange dieses nicht in Widerspruch zu „grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen“ stehe.


Die Grundrechte der Arbeitnehmer*innen, so das BVerfG, seien erst auf einer zweiten Prüfungsstufe mit den geschützten Interessen der kirchlichen Belange in „Ausgleich zu bringen“. Das BAG habe nun zu prüfen, ob es tatsächlich Gründe gäbe, die die Rechte des Arbeitnehmers im konkreten Fall wichtiger erscheinen lassen als das kirchliche Selbstbestimmungsrecht.

Anmerkung des Autors:

Der katholischen sowie der evangelischen Kirche ist es gemein, dass dort, wo sie als Arbeitgeberinnen auftreten, ein besonderes Arbeitsrecht gilt. In Einrichtungen, wie zum Beispiel Kindergärten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die in kirchlicher Trägerschaft stehen, kann die private Lebensführung zum beruflichen Problem werden: Wer sich scheiden lässt, darf nicht mehr operieren; wer lesbisch ist, darf keine Kinder erziehen.


Erst in jüngster Zeit machten wieder zwei Kündigungen – unter Berufung auf das Kirchenrecht – von sich reden. Eine lesbische Erzieherin verliert ihren Job als Leiterin eines Kinderhorts in Holzkirchen (Landkreis Miesbach), weil sie ihrer Freundin das „Ja-Wort“ gab. 


Einer anderen, die 17 Jahre beanstandungsfrei als Erzieherin in einer Wohngruppe für Behinderte bei der Diakonie Neuendettelsau beschäftigt war, wurde gekündigt, weil sie in ihrer Freizeit Pornos dreht.

Private Lebensführung vor Gericht

Während die Caritas und die Hortleiterin das Dienstverhältnis vergleichsweise im sog. beiderseitigen Einvernehmen beendeten, rief die Erzieherin aus dem mittelfränkischen Neuendettelsau die Arbeitsgerichtsbarkeit an und zog dort den Kürzeren. 


Ebenso wie die I. Instanz, sahen die Richter des Landesarbeitsgerichts München in dem privaten Verhalten der Klägerin eine „schwerwiegende sittliche Verfehlung“, die den Wertvorstellungen der evangelischen Kirche und der Diakonie „im Rahmen ihrer Sozialethik widerspricht“. Die ordentliche Kündigung sei gerechtfertigt (Urteil vom 21.04.2015, AZ: 6 Sa 944/14). 


Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen. Die Klägerin erklärte nach Verkündung der LAG‑Entscheidung, dass zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werde und sie dann beim BAG Nichtzulassungsbeschwerde einlegen wird. 

Kirchliche Einrichtungen leben fast ausschließlich von Steuergeldern!

An den Kosten für Altenheime und Krankenhäuser, deren Träger Kirchen sind, beteiligten sich diese nicht. Bei Kindertagesstätten tragen die kirchlichen Träger durchschnittlich fünf Prozent der Kosten, die öffentliche Hand, also die Steuerzahler, 95 Prozent. Sie finanzieren sich vollständig aus Kassenbeiträgen und Steuermitteln.


Carsten Frerk, Autor des „Violettbuch Kirchenfinanzen!“, hat diese Zahlen zusammengetragen und veröffentlicht. Obwohl die beiden großen christlichen Kirchen heute weniger als zwei Drittel der Bevölkerung organisieren, so Frerk, werden viele ihrer Belange durch die öffentliche Hand finanziert. Er wirft auch die Frage auf,

warum die Allgemeinheit soziale Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft bezuschusst, obwohl dort die Arbeitnehmerrechte weitgehend außer Kraft gesetzt seien?

Für den Autor dieses Beitrags ist es unerträglich, dass kirchliche Träger, die quasi von Staatswegen „gesponsert“ werden, sich auf das kirchliche und Verfassungsrang genießende Selbstbestimmungsrecht berufen und Arbeitnehmer*innen mit gerichtlicher Hilfe feuern können, wenn Gründe vorliegen, die bei Arbeitnehmer*innen, die nicht bei einem kirchlichen Träger arbeiten, nicht einmal eine Abmahnung begründen könnten.

Kirchliches Selbstbestimmungsrecht „Ja“, aber nicht für Einrichtungen kirchlicher Träger, die Gelder der öffentlichen Hand erhalten! 

Im sozialen Sektor werden 60 % aller Arbeitsplätze von den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden gestellt.


Kirchliche Arbeitgeber haben somit eine marktbeherrschende Position im sozialen Sektor. Vor allem in den Bereichen Kranken- und Altenpflege, Kinderbetreuung und Weiterbildung dominieren Caritas (Wohlfahrt der katholischen Kirche) und Diakonie (Wohlfahrt der evangelischen Kirchen) das Arbeitsplatz- und das Leistungsangebot. Im ländlichen Raum besitzen sie quasi eine Monopolstellung.


Die beiden christlichen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände zählen mit ca. 1,3 Mio. Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern nach der Metall und Elektroindustrie mit ca. 3,2 Mio. Beschäftigten, dem öffentlichen Dienst und dem Einzelhandel mit jeweils knapp 2 Mio. Arbeitnehmer*innen.

Eine Million Beschäftigte bei Diakonie und Caritas

Bei Caritas und Diakonie sind knapp 1 Millionen Menschen hauptamtlich tätig, gut 80 % von ihnen sind Frauen. Die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Kirchen und ihrer Einrichtungen ist daher enorm groß.


Bei so viel Einfluss auf den Arbeitsmarkt, müsste es sich eigentlich von selbst verstehen, dass diesen Arbeitnehmer*innen, nicht die Rechte vorenthalten können, die anderen Beschäftigten selbstverständlich zustehen.


In allen Einrichtungen, die von der Kirche zwar geführt werden, bei denen aber die Kosten überwiegend oder ganz vom Staat oder dem Bürger direkt getragen werden, muss deutsches Arbeitsrecht gelten. Wenn die Kirchen das nicht realisieren, dann ist der (Grund)‑Gesetzgeber gefragt und muss tätig werden.

Gesellschaftliches Verständnis sinkt

In den vergangenen Jahren sorgte das Arbeitsrecht der katholischen Kirche immer wieder für Schlagzeilen, weil die Arbeitsgerichte über Kündigungen von Kirchenmitarbeitern*innen zu entscheiden hatten, die gegen den kirchlichen Glauben oder die kirchliche Sittenlehre verstoßen hatten.


Obwohl diese Prozesse zum großen Teil günstig für die katholischen Arbeitgeber ausgingen, zeigte die öffentliche Diskussion doch, dass die Kirche mit ihren Anforderungen an die Lebensführung ihrer Arbeitnehmer*innen kaum mehr auf Verständnis stößt.


Einige repräsentative Beispiele für diese Auseinandersetzungen Fälle aus der jüngeren Vergangenheit wurden oben bereits dargestellt. Insbesondere bei der Wiederverheiratung oder der homosexuellen Lebensgemeinschaft offenbart sich ein fundamentaler Widerspruch zwischen der katholischen Moralvorstellung einerseits und dem gesellschaftlichen und rechtlichen Konsens andererseits.

Neue Grundordnung wird nicht konsequent umgesetzt

Offensichtlich um das Aufkommen einer breiten gesellschaftlichen Diskussion zu verhindern, bewegt sich derzeit ein klein wenig. Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD) hat auf ihrer Sitzung am 27. April 2015 eine Änderung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (Grundordnung – GrO) beschlossen, die nun zum 01.08.2015 in Kraft treten soll .Die Grundordnung sieht vor, dass Wiederverheiratete und Homosexuelle nur in Ausnahmefällen entlassen werden können.


Diese im April 2015 beschlossenen Änderungen sind zwar ein winziger Schritt in die richtige Richtung. Sie sind aber bei weitem nicht geeignet, die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen zu akzeptieren, die außerhalb klerikaler Einrichtungen außer Frage stehen.


Zudem ist die Grundordnung nicht bundesweit verbindlich, ihre Umsetzung liegt in der Hand der Bistümer. Die Bistümer Passau, Regensburg und Eichstätt haben bereits angekündigt, die neuen Regeln nicht umzusetzen: Ihnen gehen die Regelungen zu weit, wie dies der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 15.07.2015 entnommen werden kann 

(http://www.sueddeutsche.de/bayern/kirchenstreit-bayerische-bischoefe-gegen-liberaleres-arbeitsrecht-1.2566964)

So lange die Kirchen nicht bereit sind von ihrem nahezu uneingeschränkten Selbstbestimmungsrecht abzurücken, muss weiterhin folgendes Ziel verfolgt werden:

 

 

Kirchliches Selbstbestimmungsrecht „Ja“, aber nicht für soziale kirchliche Einrichtungen, die privatwirtschaftlich am Markt tätig sind, und Gelder der öffentlichen Hand erhalten!

 

 

Hier finden Sie die vollständige Entscheidung des BAG vom 08. September 2011, Az.: 2 AZR 543/10

Hier finden Sie den Beschluss des BVerfG vom 22. Oktober 2014, Az.: 2 BvR 661/12
Hier gleich weiter zu unserem weiteren Beitrag "Kirchliches Arbeitsrecht noch zeitgemäß? Teil II"