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Wir waren dabei

„Handy aus – aus die Maus!“

Muss sich das Recht der Wirklichkeit anpassen und wenn ja in welchem Maße? Auf diese Frage kann die Diskussion in der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht auf dem Deutschen Juristentag vom 13. bis 16. September 2016 in Essen heruntergebrochen werden. Das Thema: Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf. Dabei kristallisierte sich die Arbeitszeit als Hauptstreitpunkt heraus.

Mehr als 100 Rechtsschutzsekretär*innen der DGB Rechtsschutz GmbH waren dabei.

Der Wandel der Arbeitswelt fordert das Arbeitsrecht heraus. Doch wie ist dieser Herausforderung zu begegnen? Damit setzte sich ein hochqualifiziert besetztes Podium auf dem 71. Deutschen Juristentag in Essen auseinander. Einigkeit bestand darin, dass der arbeitsrechtliche Schutz erhalten und zum Teil neu geschaffen werden muss. Erhalten da, wo der Schutz schon gut ist, geschaffen da, wo ein Schutz noch fehlt. Beim fehlenden Schutz ging es insbesondere um die Crowdworker, für die die Gewerkschaften einen gesetzlichen Mindestschutz fordern.

Zum Fachprogramm der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht des Deutschen Juristentages „Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf“

DGB fordert mehr Zeitsouveränität

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach äußerte sich auf einer Veranstaltung des DGB anlässlich des Juristentages ebenfalls zum Thema Arbeitszeit.
Sie stellte Reformbedarf für mehr Arbeitszeitsouveränität fest aufgrund des verfestigten Trends zu langen und atypischen Arbeitszeiten. Die Forderungen sind klar: Arbeitszeit besser erfassen und vollständig vergüten. Zudem dürfe die Bereitschaft der Beschäftigten zu flexiblen Arbeitszeiten nicht länger zu unbezahlten Überstunden führen. Sie stellte fest, dass 38 Prozent der Beschäftigten in flexiblen Arbeitszeitmodellen arbeiten, allerdings Zeitautonomie nur eingeschränkt gegeben ist. Daher die weitere Forderung, dass flexible Arbeitszeiten mit mehr Selbstbestimmung zu verbinden sind.

Zum Thema Arbeitszeit sprach sich der DGB auf dem Juristentag klar gegen eine Abkehr vom 8-Stunden-Tag aus und für ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Auch die gesetzlichen Ruhezeiten sollen unangetastet bleiben, flexible Arbeitszeit soll nicht zur Verkürzung oder Unterbrechung der Ruhezeit führen. Eine weitere Forderung ist die Selbstbestimmung der Lage der Arbeitszeit als Regelfall, wovon nur bei entgegenstehenden betrieblichen Gründen abgewichen werden darf.

Fluch und Segen von Flexibilität und mobilem Arbeiten

Mehr Flexibilität bringt auch immer die Gefahr von Missbrauch mit sich. Flexibilität kann Segen, aber eben auch Fluch für Arbeitnehmer*innen sein. Darüber war sich der Großteil der anwesenden Juristen einig.

Herausgestochen ist Herr Hopfner vom Arbeitgeberverband der Versicherungswirtschaft. Diesen machte unter anderem die These „Flexibilisierung macht krank“ glatt fassungslos. Damit war er ein einsamer Rufer in der Wüste, denn die Mehrheit war eher fassungslos über seine Thesen. Ein negatives Highlight war sicher die Bezeichnung von § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz als “Strafnorm“. Aus dieser „Strafnorm“, also der Verpflichtung der Arbeitgeber bei Erkrankung des Arbeitnehmers den Lohn für maximal sechs Wochen weiterzuzahlen, wollte Herr Hopfner das generelle Interesse der Arbeitgeber ableiten, dass Arbeitnehmer nicht krank werden. Und es sei ohnehin empirisch nicht nachgewiesen, dass der Anstieg der psychischen Erkrankungen irgendetwas mit der gestiegenen Arbeitsbelastung zu tun habe. Schließlich sei der Anteil psychischer Erkrankungen bei Hartz IV-Empfängern besonders hoch.

Das Problem der durch die Digitalisierung gestiegenen Arbeitsbelastung wird sich sicher nicht durch eine solche Polemik lösen lassen!

Umso erfreulicher, dass andere Teilnehmer diskutierfähige Vorschläge im Gepäck hatten. Martin Bauer von der IG Metall forderte Konsequenzen für den Arbeitgeber bei Störungen des Arbeitnehmers innerhalb dessen Erholungsurlaubs. Und Dr. Marta Böning vom DGB Bundesvorstand plädierte für einen anlassunabhängigen Anspruch auf befristete Teilzeit.

„Pi mal Daumen geteilt durch Gummibärchen“

Prof. Dr. Thüsing mahnte zur Vorsicht, zu viel neu regeln zu wollen. Vielmehr sollten die bestehenden Normen zielgerichtet für die Zukunft ausgerichtet werden. Er forderte eine isolierte Durchsetzbarkeit der Lage der Arbeitszeit unabhängig von einer Reduzierung der Arbeitszeit. Im Gegenzug sollten die betrieblichen Gründe ernst genommen werden. Das jetzige System führe zu einer Prüfung nach dem Schema „Pi mal Daumen geteilt durch Gummibärchen“.

Der Deutsche Juristentag e.V.

Der Deutsche Juristentag e.V. ist ein eingetragener Verein mit rund 7.000 Mitgliedern (Jurist*innen aus allen Teilen der Bundesrepublik und aus allen Berufsgruppen). Ziel des Vereins ist es, auf wissenschaftlicher Grundlage die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen der Rechtsordnung zu untersuchen, der Öffentlichkeit Vorschläge zur Fortentwicklung des Rechts vorzulegen, auf Rechtsmissstände hinzuweisen und einen lebendigen Meinungsaustausch unter den Juristen aller Berufsgruppen und Fachrichtungen herbeizuführen.

Abstimmung über Empfehlung an den Gesetzgeber ohne Arbeitgeberverbände

Der Justizminister Heiko Maas hatte sich in seiner Eröffnungsrede für eine Debatte zu den wahrlich großen Themen des Juristentags ausgesprochen, darunter auch die Digitalisierung und ihre Folgen. „Ich glaube, auch heute täte uns manchmal etwas mehr Streit in der Sache ganz gut“, so seine Worte. Dem Niveau mancher Debatte käme es sehr zu Gute, wenn die Justiz und ihre Akteure da noch präsenter werden.

Dieses Statement vom Justizminister kam bei der Arbeitgeberseite wohl nicht an. Diese diskutierte zwar zunächst mit, entschied sich dann aber kurzerhand dafür, an der Abstimmung über moderne Arbeitsformen nicht teilzunehmen. Auch eigene Thesen wurden nicht eingebracht. Eine offizielle Mitteilung zum Boykott gab es nicht, doch die gelieferte Begründung des organisatorischen Aufwands erscheint vorgeschoben. „Das ist völlig unverständlich und widerspricht einem fairen sozialpartnerschaftlichen Verhalten“, so die Reaktion von Annelie Buntenbach.

Arbeitszeitrecht soll unangetastet bleiben

Insofern nicht verwunderlich: Die von Seiten der Arbeitnehmerschaft eingebrachten und unterstützten Thesen sind mit großer Mehrheit beschossen worden.
Zu den Beschlüssen der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht des Deutschen Juristentages „Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf“

Darunter war zum Thema Arbeitszeit die These, dass das Arbeitszeitrecht aus Gründen des Arbeitsschutzes unangetastet bleiben soll.
Angenommen wurde auch die These zum Recht auf Bestimmung der zeitlichen Lage der Arbeitszeit, sofern keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Eine solche Gesetzesänderung dürfte aber wohl sozialpolitisch nicht durchsetzbar sein.

Anmerkung: Flexibles Arbeiten keine Einbahnstraße?

Studien belegen, dass mit Smartphones, Tablets und Laptops die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen, viele Arbeitnehmer*innen in der Freizeit und im Urlaub arbeiten. Digitalisierung ermöglicht flexibles Arbeiten. Das ist Fakt, wie Dr. Kremer zu Recht in der Schlussrunde der Referenten feststellte. Er wies auch darauf hin, dass dies keine Einbahnstraße sei, Beschäftigte im Gegenzug auch private Dinge flexibler umsetzen könnten. Das ist richtig und offenbart das Hauptproblem in der Diskussion zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Flexibilität ist da gut, wo sie freiwillig geschieht. Natürlich profitieren Arbeitnehmer davon, dass sie die Arbeitszeit freier gestalten können. Das Problem ist aber doch, dass das mobile Arbeiten oft nicht zu mehr freier Gestaltung führt, sondern zu (unbezahlter) Mehrarbeit und dem Druck ständiger Erreichbarkeit. Wer am Wochenende und im Urlaub dienstliche Mails liest, schaltet nicht völlig ab und setzt sich damit auf Dauer einem gesundheitlichen Risiko aus. Die Möglichkeit bei der Arbeit private Nachrichten lesen und schreiben zu können, dürfte das nicht aufwiegen.

Flexible Arbeitszeitmodelle können nur dann für beide Seiten funktionieren, wenn Unternehmen dafür Sorge tragen, dass die Arbeitszeit auch eingehalten wird.

Recht auf Nichterreichbarkeit - Mensch 4.0

Auch bei der Veranstaltung des DGB anlässlich des Juristentages diskutierten wir das Thema „Recht auf Nichterreichbarkeit“. Prof. Dr. Preis sah dieses Thema eher entspannt, schließlich könne der Arbeitnehmer das Diensthandy am Wochenende und abends einfach abschalten (Zitat: „Handy aus - aus die Maus“). So einfach ist es aber eben nicht. Höhere Flexibilität bringt höhere Eigenverantwortung mit sich. Mitarbeiter fühlen sich verpflichtet ihre Arbeit zu schaffen, sei es nun in der vorgesehenen (und vergüteten) Zeit oder darüber hinaus.

Wie Kollegin Vanessa Barth (Referentin der IGM) zu Recht einwandte: Wir leben in einer Unternehmenskultur mit dem Denken „ich bin nur was wert, wenn ich möglichst viel arbeite“. Die Führungskräfte leben nicht vor, dass man Arbeit auch mal nicht schaffen kann. Diese Begleiterscheinung von Hierarchie wird in vielen Fällen verhindern, das Handy einfach auszuschalten und den Abend, das Wochenende, den Urlaub einfach zu genießen. 


Die letzten Worte sollen die von Kollegin Vanessa Barth von der IG Metall aus der Abschlussrunde der Referenten sein. Sie stimmte zu, dass der 8-Stunden-Tag nicht zur Arbeit 4.0 passt. Aber: Es gibt eben auch noch keinen Menschen 4.0!

Erfahren Sie mehr zum Fachprogramm, den Gutachtern und Referenten vom Deutschen Juristentag.
Die Beschlüsse aus der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht können hier nachgelesen werden.

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