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Wir waren dabei

Wohin geht unser Arbeitsrecht?

Um diese Frage drehte sich die gemeinsame Veranstaltung vom DGB und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Unter dem Titel „ARBEITSRECHT QUO VADIS?“ diskutierten Vertreter aus Rechtsprechung, Politik, Lehre und den Gewerkschaften Grundsatzfragen des Arbeits- und Sozialrechts. Ziel der Konferenz: Einer neuen Regierung Stoff zum Handeln geben.

Die Veranstalter ahnten sicher nicht, dass es Ende November noch keine neue Regierung geben wird. Den Termin wählten sie bewusst, um in der neu begonnenen Legislaturperiode wichtige Themen des Arbeits- und Sozialrechts zu diskutieren.

Letztlich ließen sich die Teilnehmer davon auch nicht schrecken. Annelie Buntenbach (DGB Bundesvorstand) sprach von einer „politisch bestenfalls interessanten Phase“. 

Die neue Arbeitswelt braucht angepasste Regelungen, aber nicht weniger Arbeitnehmerschutz

Frau Dr. Mohr, Leiterin des Forums Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung, steckte in ihren Begrüßungsworten den Rahmen für eine Diskussion ab. Denn sie stellte klar, dass das „Quo vadis?“ normativ gemeint ist, sich also im Arbeitsrecht nur die eine oder andere Regelung ändern müsste: „Die Ziele  - Schutz und Teilhabe von Arbeitnehmern  - bleiben auch in der veränderten Arbeitswelt bestehen!“.

Es folgten Vorträge zu den Themen „Mitbestimmung in Matrixstrukturen“, „Tarifdispositives Recht oder Privilegierung Tarifgebundener als Stärkung der Tarifbindung?“ und Sozialrechtlicher Beschäftigungsbegriff in der digitalen Arbeitswelt“. 

„Wo ist eigentlich der Betrieb geblieben?“

Die Matrixstrukturen vieler Unternehmen führen zu zwei zentralen Problemen im Arbeitsrecht: Das aufgespaltete Weisungsrecht und die Mitbestimmung der Betriebsräte. Dabei steht der Betriebsbegriff im Fokus.

Rechtsanwalt Dr. Bachner, der den Vortrag zu den Matrixstrukturen hielt, forderte eine verlässliche und möglichst „belegschaftsnahe Mitbestimmung“.

Mitbestimmung darf auch in veränderten Unternehmensstrukturen nicht zu kurz kommen

Verena zu Dohna-Jaeger von der IG Metall sieht aus gewerkschaftlicher Sicht als schlimmstes Szenario, das zu verhindern ist, dass die Mitbestimmung zu kurz kommt oder sogar „ganz hinten rüber fällt“. Mit der Idee von Rechtsanwältin Dr. Wisskirchen von einem Matrixmanager als Arbeitgeber und einem Realbetriebsrat sowie einem Matrixbetriebsrat, konnte sie sich nicht anfreunden.

Einigkeit herrschte insofern, als der Begriff der einheitlichen Leitungsmacht, den das Bundesarbeitsgericht anwendet, kein sinnvolles Kriterium mehr sein kann. 

Wie können Anreize für eine Tarifbindung geschaffen werden?

Zu dieser Frage referierte Prof. Dr. Ulber (Martin-Luther-Universität). Seinen Überlegungen voran stellte er provokant die Möglichkeit in den Raum, Arbeitgeber damit zu ködern, durch Tarifverträge schlechtere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Er stellte die Frage, ob diese Idee optimierbar sei.

Seine Idee hierzu ist die Eingrenzung von Erstreckungsklauseln. Diese sollen nur gelten für Arbeitnehmer, die bei tarifgebundenen Arbeitgebern arbeiten, oder nur in Betrieben, in denen es einen Betriebsrat gibt, oder nur für Arbeitgeber, die Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind.

Vorsicht bei „Flexibilitätskompromissen“ 

Einen Optimismus gegenüber tarifdispositivem Recht teilt Prof. Dr. Ulber nicht, vor allem im Hinblick auf das Beispiel der Tarifverträge zur Leiharbeit. Er verneint die Frage, ob tarifdispositives Recht die Tarifbindung stärkt.

Er mahnt auch zur Vorsicht, wenn das Weissbuch Arbeiten 4.0 von „Flexibilitätskompromissen“ spricht. Sein Fazit: Man dürfe das alles tun, was im Weissbuch steht, solle sich das aber gut überlegen. Zitat: „Man muss ja nicht alles richtig finden, was verfassungskonform ist“.

Die Wissenschaft war sich in diesem Punkt uneins. Prof. Dr. Greiner (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität) mahnte, die schlechten Erfahrungen aus der Leiharbeit sollten nicht dazu führen, dispositives Recht als gesetzgeberische Möglichkeit auszuschließen. Wohldosiert und mit Bedacht eingesetzt könne tarifdispositives Recht ein Gestaltungsmittel sein. 

„Tarifrecht ist nicht Arbeitnehmerschutz-Abbaurecht“

Die gewerkschaftliche Position dazu vertrat Prof. Dr. Schubert, Leiter der Rechtsabteilung von ver.di. Tarifdispositives Gesetzesrecht bedeute eine Unterschreitung von gesetzlichen Mindeststandards und biete im Arbeitsrecht keine Vorteile.

Als Alternativen schlug er vor, die OT-Mitgliedschaft einzudämmen und die Erstreckung zu modellieren. Hier sieht er den Vorteil, dass der Tarifvertrag in der jeweiligen Branche Standard wird. 

Höchstarbeitszeit und Ruhezeiten dürfen nicht freigegeben werden

Bei der Diskussion mit dem Publikum ging es etwas hitziger zu, als sich die Arbeitgeberseite zu Worte meldete. Herr Wolf (Geschäftsführer und Leiter der Abteilung Arbeitsrecht Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) forderte mehr Tariföffnungsklauseln und erntete dafür wenig bis keine Zustimmung.

Zudem läge ihm wohl ein anderes Weissbuch vor, denn da stünde nichts von der Abschaffung des Arbeitszeitgesetzes.

Prof. Dr. Ulber reagierte darauf sehr bildlich: Wenn man die Höchstarbeitszeit und die Ruhezeiten freigibt und nicht vom Abbau des Arbeitszeitgesetzes spricht, sei das so, als wenn man bei einem Haus das Fundament und das Dach wegsprengt und sagt, ansonsten würde das Haus aber stehen bleiben. 

Vorschriften der Sozialversicherung passen nicht mehr auf die digitale Arbeitswelt

Im dritten Teil der Veranstaltung ging es um den sozialrechtlichen Beschäftigungsbegriff. Dazu referierte Frau Prof. Dr. Brose (Friedrich-Schiller-Universität). Sie stellte dar, dass die Vorschriften der Sozialversicherung aus der Zeit der Industrialisierung stammen und nicht mehr auf die digitale Arbeitswelt passen.

Der Gesetzgeber habe uns sozialversicherungsrechtlich in eine Sackgasse manövriert. Die Heimarbeit aus der Mottenkiste zu holen sei ein Mittel, aber nicht ausreichend, so ihr Fazit. 

Keine Wege in die Sozialversicherung für Crowdworker

Prof. Dr. Brose erläuterte, warum sich Crowdwork so gut wie nie unter den Arbeitnehmerbegriff aus § 7 SGB IV fassen lasse. Die klassische Prüfung nach Vorgaben zur Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit ergebe fast ausschließlich eine Selbständigkeit. Die Referentin stellte deshalb die Frage, ob eine weitere Auslegung von § 7 SGB IV möglich ist und verneinte diese. Systematisch könne die Weisungsgebundenheit nicht durch eine wirtschaftliche Abhängigkeit als Abgrenzungskriterium ersetzt werden. Alternative Kriterien seien nicht auffindbar.

Crowdworker würden also nicht erfasst. Und auch andere Wege in die Sozialversicherung über Heimarbeit, Solo-Selbständigkeit oder die Künstlersozialversicherung scheiterten in der Regel.

Bruch mit den Traditionen der deutschen Sozialversicherung erforderlich

Dr. Mecke, Richter am Bundessozialgericht, stimmte dieser Einschätzung zu. Eine ausreichende Absicherung erfordere den Bruch mit den Traditionen der deutschen Sozialversicherung. Zu fordern sei unter anderem die Einbeziehung aller Selbständigen in die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung.

Frau Gallner, Richterin am Bundesarbeitsgericht bereicherte die abschließende Diskussion um die europarechtliche Sicht. Der Arbeitnehmerbegriff ist im europäischen Arbeitsrecht nicht einheitlich und ergibt sich aus der Arbeitszeitrichtlinie, der Massenentlassungsrichtlinie, der Mutterschutzrichtlinie sowie der Arbeitnehmerüberlassungsrichtlinie. 

Die Digitalisierung verstärkt bekannte Trends der Arbeitswelt

Diese These stellte Dr. Mecke auf und ihr kann sicher niemand widersprechen. Die Frage wird sein, wie eine neue Regierung  - wie auch immer diese wann auch immer aussehen wird  - damit umgeht. Wir können nur hoffen, dass Regelungen gefunden werden, die der geänderten Arbeitswelt gerecht werden und die gleichzeitig den Schutz der Arbeitnehmer*innen fest im Blick behalten.

LINKS:

Das WEISSBUCH ARBEITEN 4.0 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann hier als PDF heruntergeladen werden

Das Programm der Arbeitsrechts-Konferenz kann beim DGB Bundesvorstand eingesehen werden.