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Veranstaltung des DGB Rechtsschutzes

Campus Arbeitsrecht - 08.11.2013 - Tag des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes: 60 Jahre »Arbeit und Recht« - Ein Streifzug

Wolfgang Apitzsch, Vorsitzender des Aufsichtsrats der DGB Rechtsschutz GmbH und geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift »Arbeit und Recht«
Wolfgang Apitzsch, Vorsitzender des Aufsichtsrats der DGB Rechtsschutz GmbH und geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift »Arbeit und Recht«

Gekürzte Fassung des Vortrages von Wolfgang Apitzsch,
vom 8.11.13 beim Campus Arbeitsrecht

 

 


Sehr geehrte Damen und Herren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen. 

Mein Vortrag ist Ihnen angekündigt worden mit „60 Jahre Arbeit und Recht. Ein Streifzug.“

Ein Streifzug ist nach dem Duden eine kursorische, hier und da Schwerpunkte setzende Darlegung, Erörterung.

Systematisch hat Ursula Engelen-Kefer in ihrem Aufsatz „Die Funktion juristischer Fachzeitschriften in sozialen Auseinandersetzungen am Beispiel ,Arbeit und Recht'“ (in AuR 2004, 123) die Zeitschrift zum 40 Jährigen Jubiläum untersucht.

Blanke hat im selben Band der Zeitschrift (AuR 1994, 113) „Die Entdeckung des Arbeitsrechts durch die Gewerkschaften“ anhand der gewerkschaftlichen Zeitschriften bis 1933 beschrieben, auch diesen Aufsatz möchte ich in Erinnerung rufen.

Wer die ersten 17 Bände der seit 1953 bestehenden Zeitung noch einmal „durchstreift“ fühlt sich – so er die Umstände mit bedenkt, in denen sie erscheint – in eine verkehrte Welt versetzt.

In der wirklichen Welt haben wir es mit dem Kalten Krieg zu tun und mit großen Auseinandersetzungen. 1953 gehen die Arbeiter in der DDR auf die Straße, 1955 tritt Westdeutschland der NATO bei, kurz darauf die DDR dem Warschauer Pakt. Die Bundeswehr wird gegründet. Der Vietnam Krieg beginnt.

1956 Ungarnaufstand, allgemeine Wehrpflicht in Westdeutschland, die ersten Gastarbeiter werden nach Deutschland geholt. Die KPD wird verboten, Fidel Castro beginnt seinen Guerilla-Krieg gegen das Batista-Regime, über den Fall Rosa Parks (genauer: drei anderer Frauen, die sich ebenfalls der Diskriminierung im Bus widersetzt hatten) entscheidet der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten (Browder v. Gayle), 1957 umkreist der erste Sputnik die Welt, die Parteien in Deutschland sind tief zerstritten und kommentieren diese Ereignisse völlig unterschiedlich. Deutschland und womöglich die ganze Welt lebt in der permanenten Angst vor dem Atomkrieg, eine Angst, die 1962 in der Kubakrise kulminiert. 1963 beginnt der erste Auschwitz Prozess, zwei weitere folgen bis 1968.

In unserer Zeitschrift erfährt man von alle dem wenig, es wird vielmehr in die juristischen Hände geklatscht und eifrig Arbeitsrecht betrieben. Ihr erstes Heft beginnt mit einem betulichen zweiseitigen Aufsatz über die Stellung des Arbeitsrechts in der Rechtsordnung und wird dann fortgeführt von dem bedeutenden Gewerkschaftsanwalt Kurt Thon mit einem Aufsatz über die nicht formgerechte Berufung.

Nun, Arbeit und Recht ist eine arbeitsrechtwissenschaftliche Zeitung und man kann nicht erwarten, dass sie wie eine tagesaktuelle Zeitung über die genannten und andere Ereignisse diskutiert.

Aber es hätte sich sicher gelohnt, bei den in der Zeitung geführten Diskussionen um Art. 3 des GG vielleicht auch einmal über die eigene Grenze zu schauen. Der „Scheck“ auf Einhaltung des Versprechens der amerikanischen Verfassung auf Gleichheit – wie Martin Luther King es in seiner berühmten Rede „I have a dream“ formulierte - wurde erstmals nach dem Boykott der Busse durch die schwarze Bevölkerung teilweise eingelöst. Viel Stoff eigentlich, auch für Arbeitsrechtler. Noch viel mehr hätte es sich allerdings gelohnt, sich schon in der ersten Zeit des Bestehens kritisch mit der jüngeren Geschichte und dabei dann eben mit der jüngeren Arbeitsrechtwissenschaft und ihren nicht so jungen Vertretern zu beschäftigen.

Wie man zuweilen in AuR mit der Vergangenheit umging, erhellt sich recht anschaulich aus einer Buchbesprechung von Senatspräsident Poelmann (AuR 58, 55), nämlich der Besprechung der Neuauflage des Buches „Arbeitsrecht“ von Kaskel durch Dersch. Poelmann schreibt:

„Dabei muss gleich hier schon hervorgehoben werden, dass sich Dersch in der glücklichen Lage befindet, an keine während des Dritten Reiches erschienene Vorlage anknüpfen zu müssen; er kann die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft als Reminiszenz verbuchen und kurz und bündig feststellen, dass (es) zu dieser Zeit auf allen Gebieten des Arbeitsrechts Rückschläge zu verzeichnen waren. Das soll sicherlich nicht bedeuten, dass nicht auch damals das sozialrechtliche Schutzprinzip zur Fort- und Weiterentwicklung des Arbeitsrechts auch auf der kollektiven Ebene trotz Fortfalls der sozialen Gegenspieler weitgehend ge- und beachtet ist. Immerhin: Der Verlust der demokratischen Freiheiten, die Einführung des staatlichen Treuhänder- und Führerprinzips, im Tarif- und Betriebsrecht beraubten das gerade Kaskel am Herzen liegende Kollektive Arbeitsrecht wesentlicher Antriebskräfte; eine Stagnierung und Verkümmerung waren die Folgen.“

Rufen wir uns ganz kurz diese Zeit in Erinnerung:

Das AOG, also das Nazi-Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit von 1934, kannte als wesentlichen Oberbegriff die Betriebsgemeinschaft, in der die deutsche Treue zum Betrieb den Kern bildet, der „Betriebsführer“, allein entscheidet (er kann nur vom staatlichen Treuhänder der Arbeit korrigiert werden), die Arbeiter nichts zu sagen haben (Anhörungsrechte gab es nur für so genannte Vertrauensleute, die gewöhnlich von der Partei ausgeguckt waren). Die Gewerkschaften waren abgeschafft.

Die Betriebsgemeinschaft – wie die Volksgemeinschaft für den Staat - konnte selbstverständlich nur aus denen bestehen, die man für Deutsche hielt, nicht also z.B. aus denen, die man für Juden hielt. Der im Nachkriegsdeutschland vielfach ausgezeichnete Professor Günther Küchenhoff erläuterte dieses „Recht“ 1934 wie folgt: „Gegen den Rechtsbrecher, den Staatsfeind und Feind der Volksgemeinschaft, gibt es in Strafmaß und Strafvollzug nur eins: kraftvolle Strenge und erforderlichenfalls völlige Vernichtung…“. Und „Urgrund des Rechts [ist] das rassisch bedingte Rechtsgewissen des Volkes.“ (Zitiert bei Thomas Ditt: „Stoßtruppfakultät Breslau“. Rechtswissenschaft im „Grenzland Schlesien“ 1933 - 1945. Mohr Siebeck, Tübingen 2011, S. 208. FN. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt 2003)

Der Feind der Volksgemeinschaft konnte folglich auch nicht zur Betriebsgemeinschaft gehören wie das RAG es für Juden 1940 ausdrücklich formulierte (vgl. RAG in ARS 39, S. 386).

Allein 7,5 Millionen Zwangsarbeiter hielt sich das Nazi-Regime in 30000 Lagern (http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/zwangsarbeit/) für sie war – wie Becker (Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt 2005) es zusammenfasst - „Die Sklaverei (war) nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich wieder eingeführt.“

Aber der eben zitierte Senatspräsident spricht – und darf in AuR 1958 sprechen - von weitgehender Ge- und Beachtung des sozialrechtlichen Schutzprinzips - das geht nicht einmal dann, wenn man – in gut nationalsozialistischer Manier - die Zwangsarbeiter weder zur „Volks“- noch zur „Betriebsgemeinschaft“ zählt, denn auch ungezählt vielen anderen Arbeitnehmern wurden alle sozialen Schutzrechte genommen.

Über die Jahre 1953 bis 1965 habe ich in AuR keinerlei grundlegende arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit den Autoren und den Begrifflichkeiten der Nazi-Doktrin gefunden. (Allein Abendroth, Innergergewerkschaftliche Willensbildung, Urabstimmung und „Kampfmaßnahme“, AuR 59,261, kritisierte eine Entscheidung des BAG mit deutlichen Hinweisen auf die Kommentierungen von Nipperdey in der NS-Zeit.)

Erst danach beginnt eine kritische Aufarbeitung mit Aufsätzen von, Radke, Die Nachwirkungen des „Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit“ (AuR 65,302), Ramm, Sozialadäquanztheorie und freiheitlicher Rechtsstaat (AuR 66, 302) und dann 1970 Rüthers, Die Betriebsverfassung im Nationalsozialismus (AuR 70,97), und jetzt mit deutlichen Worten.

Ich zitiere ihn:

„Die Entwicklung des Arbeitsrechts von Weimar bis heute ist durch die Phase des Nationalsozialismus entscheidend beeinflusst worden. In den Lehr- und Handbüchern des Arbeitsrechts der Gegenwart wird diese Epoche auf zweierlei Weise behandelt: Entweder sie wird ganz verschwiegen oder sie wird in ungeschichtlicher und vermeintlich „unpolitischer“ Abstraktion behandelt und auf diese Weise eliminiert. Der Nationalsozialismus hat … die arbeitsrechtliche Entwicklung in Deutschland (…) entscheidend mitgeprägt… Die nachhaltigen Einflüsse lassen sich sowohl personell (a) als auch materiell-rechtlich (b) nachweisen… Große Gelehrte gingen der jungen Disziplin des deutschen Arbeitsrechts - zu einem Teil – für immer verloren: Hugo Sinzheimer, Ernst Fraenkel, Otto Kahn-Freund, Franz Neumann.

b). Auch materiell-rechtlich sind bemerkenswerte Zusammenhänge in der dogmatischen Entwicklung des Arbeitsrechts vor und nach 1945 nicht zu übersehen.“

Zitatende

Insbesondere das Heranziehen des Gemeinschaftsgedankens bei allen wichtigen individual-arbeitsrechtlichen Fragen und die unbefangenen Übernahme von Begründungen aus der NS-Zeit für die Lösung gegenwärtiger Arbeitsrechtsprobleme dienen Rüthers als Beleg, und er fügt insbesondere ein Zitat aus dem 1956 erschienenen Grundriss des Arbeitsrechts von Hueck-Nipperdey an, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: 

„Darüber hinaus dient es (scil.: das Arbeitsrecht) der Überwindung der sozialen Gegensätze, der Lösung der sozialen Frage, der Herstellung und Aufrechthaltung des sozialen Friedens und damit der Herbeiführung einer echten Volksgemeinschaft.“ (zit. nach Rüthers, a.a.O.)

Der Fairness halber möchte ich hier allerdings darauf hinweisen, dass schon Ramm (AuR 66,164) bei seiner Kritik an Nipperdey ausdrücklich darauf hinweist, sie wolle „nicht besagen, dass Nipperdey Nationalsozialist war.“ - im Gegensatz zu Günther Küchenhoff, der sich ausdrücklich dazu bekannt hatte.

An dieser Stelle erlauben Sie mir bitte einen kurzen Exkurs

Wie zur „Herstellung und Aufrechthaltung des sozialen Friedens“ im Falle eines Streiks durch die Arbeitgeber reagiert werden dürfe, war durch das Urteil des BAG unter seinem Präsidenten Nipperdey am 28.01.55 (GS BAG 1 AZR 165/54) entschieden worden: durch unbegrenzte Aussperrung mit lösender Wirkung für die Arbeitsverträge der Betroffenen. Wie es dazu kam, erläutert Kittner in:

„Arbeitskampf: Geschichte, Recht, Gegenwart“ unter der Überschrift „Zeitungsstreik 1952 und das „System Nipperdey“, S.603, wie sehr sich mancher dahin zurück zu sehnen scheint, lesen Sie bei Adomeit in: „Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20.Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler“ zu Nipperdey, herausgegeben von Stefan Grundmann, ‎Karl Riesenhuber, 2007, S.149.

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Rüthers: Sein Fazit für die Lehr- und Handbücher des Arbeitsrechts der Gegenwart für diese Epoche „Entweder sie wird ganz verschwiegen oder sie wird in ungeschichtlicher und vermeintlich „unpolitischer“ Abstraktion behandelt und auf diese Weise eliminiert.“, trifft bis 1965 weitgehend auch auf AuR zu.
Bei dieser Bewertung darf man nicht außer Acht lassen, dass der DGB zur damaligen Zeit noch eine weitere Zeitschrift herausgab, nämlich seit 1950 die „Gewerkschaftliche(n) Monatshefte“. Dort wurde die politische Debatte geführt. Dort veröffentlichte z.B. Erich Kuby (GMH Febr.1964) unter dem Titel „Es waren keine Marsmenschen.“ seinen vollständigen Text zu einer Ausstellung über das Warschauer Ghetto, der in der offiziellen Katalogausgabe ohne seine Einwilligung gekürzt worden war.

Ich zitiere:

„Wozu ist es gut, sich darüber klar zu sein? Kann man nicht Gras darüber wachsen lassen? Der Nationalsozialismus ist doch vorbei...Er ist vorbei, ein für allemal, das ist auch meine Überzeugung. Aber es darf kein Gras darüber wachsen, solange nicht wenigstens von der nachkommenden Generation erkannt … ist, daß vor allem in der Behandlung der Judenfrage zwischen 1933 und 1945 gewisse Konstanten deutschen Wesens wirksam geworden sind, die weder von Hitler ins Volk gebracht noch mit ihm vom Volk wieder genommen wurden. Was damals vor einem wissenden Volk geschah — und durch ein wissendes Volk —, ist nur erklärbar, wenn wir anerkennen,… daß es bei uns verhältnismäßig leicht möglich ist, irgendeiner Minderheit einen „gelben Stern“ anzuheften und sie damit aus der menschlichen Gesellschaft auszustoßen. (…) Selbst die Massenmordanlagen konnten ohne Hast und Leidenschaft bedient werden, … von … dem Generaltyp nach … Bürgern, weil diese die Opfer als nicht mehr ihres gleichen erkannten. …. Der Gleichmut der Verbrecher ist viel unheimlicher als die Verbrechen selbst.“

Weniger eindringlich, aber dennoch zutreffend hatte Klaus Peter Schulz (Die Wurzeln des sozialen Defaitismus) bereits im 2.Band der GMH (1951) formuliert:

„Das Leben der meisten hat sich seit 1948 nicht etwa individualisiert, sondern eher in einem hausbackenen Sinne privatisiert, es weicht dem objektiv unentrinnbaren gesellschaftlichen Bezug und seiner Verantwortung geflissentlich aus.“

Kehren wir zu AuR zurück:

AuR ist im Kern brav, nicht radikal, die Redaktion versucht, die Lage der arbeitenden Menschen zu verbessern, hat dabei aber manchmal auch zu viel Angst vor der eigenen Courage. In ihrem ersten Band findet sich der schon von Engelen-Kefer angesprochene Artikel von Kuntze (AuR 53,76), dem damaligen Chefjustiziar des DGB, über die so genannte Zölibatsklausel, das ist die den Arbeitsvertrag auflösende Bedingung der Heirat der Arbeitnehmerin.

Die Frage war höchst umstritten, z.B. hatte Küchenhoff (zit. nach BAG 1 AZR  249/57 in AuR 57,350), der eben zitierte Autor, dem AuR erstaunlich viel Platz für sein „bizarr(es)“ (Ditt, a.a.O.) „Liebesrecht“ (Naturrecht und Liebesrecht, 1962) und das Arbeitsrecht im „Gemeinschaftsstaat würdigen Schaffens“ einräumte (AuR 64, 225), erläutert, die Berufstätigkeit der Frau stehe mit ihren ehelichen Pflichten derart im Widerspruch, dass die Zölibatsklausel sie ihrem natürlichen Beruf als Ehefrau und Mutter wieder zuführe. Sie sei daher ehefreundlich.

Nach einer Diskussion des damaligen Standes der Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsverhältnis fragt sich Kuntze, ob die Zölibatsklausel sittenwidrig nach §138 1 BGB iVm Art 3 GG sei.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass keine Sittenwidrigkeit vorliege, wenn der Arbeitgeber mit der Zölibatsklausel die Absicht verbinde, die Frau an der Heirat zu hindern, auch nicht, wenn es sich um typische Frauenberufe handelt, bei denen die unverheirateten Frauen zur Deckung des Bedarfs an Arbeitskräften nicht ausreichen, schließlich nicht, wenn feststeht, dass die Arbeitnehmerin auch nach ihrer Eheschließung Haupternährer der Familie sein wird und letztlich nicht einmal dann, wenn der Arbeitgeber sich durch die Zölibatsklausel nur gewisser Pflichten gegenüber verheirateten Frauen entziehen will.

Wann ist die Klausel dann sittenwidrig? Nach Kuntze – wie gesagt: der Chefjustiziar des DGB in AuR 53 - nur dann, wenn der Arbeitgeber eine Notlage der Frau zur Vereinbarung ausnutzt. Wenn sie dann aber sittenwidrig ist, ist grundsätzlich der Arbeitsvertrag nichtig, nach § 242 BGB, kann er aber möglicherweise gerettet werden. Art. 1 und 6 GG spielen in seinem Aufsatz keine Rolle.

Der Auffassung Kuntzes widerspricht im selben Band forsch, jedoch nur im Ergebnis richtig Assessor Hunn, der zum entgegengesetzten Ergebnis, also der Sittenwidrigkeit der Zölibatsklausel, gelangt.

Professor Molitor beschäftigt sich auch im ersten Band von AuR (53, 333) mit diesem Problem, er hält das Ganze nicht für ein Problem von Art. 3 GG, die Klausel auch nicht für sittenwidrig, aber für nichtig, denn „nach allgemeiner deutscher Ansicht …ist die Ehe ein höchstpersönliches Geschäft, bezüglich dessen keinerlei Druck auf den Beteiligten ausgeübt werden kann.“ Die Nichtigkeit der Klausel führt nach seiner Meinung nicht zur Nichtigkeit des Vertrages, wohl aber kann die Heirat als solche für beide Parteien unter bestimmten Umständen eine Kündigung begründen.

Wenn das Ergebnis von Molitor auch im Ergebnis erträglicher jedenfalls als die entgegenstehende Meinung ist: nach allgemeiner deutscher Ansicht dürfte er sich im Irrtum befunden haben, schließlich stand die Zölibatsklausel seit Jahren in zunächst weiter geltenden Tarifordnungen.

1957 entschied dann das BAG: Nichtigkeit nach §134 BGB nicht wegen allgemeiner deutscher Ansicht, sondern wegen Verstoß gegen Art.1 und 6 GG, Teilnichtigkeit, weil ansonsten der Schutz der Arbeitnehmerin in das Gegenteil umschlage.

Alte Kamellen?

Soeben meldet die Rechtsschutz GmbH (in „Recht so“, Oktober 2013) das Obsiegen in einem Fall, in dem der Arbeitgeber wegen der bevorstehenden Heirat einer Angestellten gekündigt hatte. Seine Erfahrungen lehrten ihn, dass wir „in den kommenden 12 Monaten mit einer Schwangerschaft bei Ihnen rechnen müssen.“ Das teilte er ihr mit der Kündigung in einer e-mail mit - und muss ihr nun 10 800 € Schadensersatz wegen Diskriminierung wegen des Geschlechts zahlen. Vielleicht hatte ja die Zölibatsklausel bei Frauen doch etwas mit der Diskriminierung des Geschlechts zu tun.

Ein weiteres, in den ersten Jahren heiß umstrittenes Problem war der Hausarbeitstag in NRW nach dem Gesetz über Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand (HAT). Gestritten wurde über die Tatbestandserfordernisse wie das Vorliegen eines eigenen Hausstandes, Erfüllung der regelmäßigen Arbeitszeit von 45/40 Stunden pro Woche bei Schichtbetrieb mit unterschiedlicher wöchentlicher Verteilung und anderes. Bei Bestehen der Voraussetzungen war der Frau pro Monat ein arbeitsfreier Tag zu gewähren.
Das ArbG Düsseldorf (AuR 54, 30) entschied unmittelbar nach Ablauf der in Art.117 GG gesetzten Übergangsfrist für das Weiterbestehen auch solcher Gesetze, die Art. 3 Abs. 2 entgegenstanden, dass dieses Gesetz Art. 3, Abs. 2 und 3 GG entgegenstehe und wies deshalb den Antrag einer Frau auf ihren freien Tag ab.

Das Gericht begründete seine Meinung zur Verletzung des Art. 3 GG damit, das HAT sei kein Schutzgesetz, das einen Sachverhalt – wie das Mutterschutzgesetz – zugrunde lege, der sich nur in einem Geschlecht verwirklichen könne (unter dem Sachverhaltverwirklichen verbirgt sich die Schwangerschaft, Anm. WA), vielmehr könne der Tatbestand sich in beiden Geschlechtern in gleicher Weise verwirklichen.

Dass dem positiv Diskriminierten genommen wird, was dem anderen nicht gegeben wird, wurde vom Gericht nicht problematisiert, wohl aber, dass das Gesetz rechtens wäre, wenn den Männern unter gleichen Voraussetzungen ebenfalls ein Hausarbeitstag eingeräumt werde. Mindestens ein Landesarbeitsgericht vertrat die gleiche Ansicht.

In einer Anmerkung zu diesem Urteil weist der uns nun schon bekannte Assessor Hunn darauf hin, dass der Verfassungsgeber keineswegs die Absicht hatte, der Frau mit Art. 3 Abs. 2 GG Rechte zu nehmen, sondern sie im Gegenteil mit mehr Rechten ausstatten wollte und ferner darauf, dass seines Wissens bei unterschiedlichen Frauen - und Männerlöhnen kein Gericht bisher auf den Gedanken gekommen sei, den Männern ihren höheren Lohn abzusprechen, weil die Frau geringeren erhalte.

Den ersten Gedanken von Hunn übernimmt das BAG (AuR 54, 316), das über einen entsprechenden Sachverhalt zu entscheiden hatte: „Der Gedanke, sie (scil.: die Frauen) schlechter zu stellen,… war dem Gesetzgeber fremd.“ 
Das reicht fürs Erste. Dann aber weiter: strenge Auslegung nach dem Wortlaut. Ich zitiere:

“Nicht nur bestimmte biologische Unterschiede der Geschlechter gestatten eine verschiedene Regelung ihrer Rechtslage. Vielmehr bleiben auch Differenzierungen…die auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, von dem Differenzierungsverbot unberührt…Wenn das Bundesverfassungsgericht mit Recht die Bestimmungen zum Schutz der Frau als Mutter nicht dem grundsätzlichen Differenzierungsverbot….unterwirft, so ist dem hinzuzufügen, dass darüber hinaus alle Bestimmungen zum Schutz der berufstätigen Frau als solcher hier hin gehören, mögen sie sich aus biologischen oder funktionalen arbeitsteiligen Unterschieden ergeben. Das ist sicherlich der Fall, soweit es sich um eine verheiratete, berufstätige Frau handelt. Denn es liegt hier eine Unterschiedlichkeit der Lebensumstände vor, da innerhalb der Ehe die funktionale Beziehung der Frau zur Führung des gemeinsamen Haushaltes nach wie vor eine andere ist als die des Mannes, dem diese Aufgabe regelmäßig nicht obliegt.“ Und für die nicht verheirateten Frau mit eigenem Hausstand gilt sinngemäß das Gleiche: „Hier gilt immer noch für die Angehörigen des weibl. Geschlechts, und zwar…durchaus handfest und gegenwartsnahe, dass es für sie typisch ist, bei eigenem Hausstand in ihm selbst tätig zu sein. Dagegen ist für Männer durchgängig und typisch das Gegenteil der Fall…Deshalb ist auch der Hinweis, dass Männer Hausarbeiten ebenso gut oder besser verrichten können ebenfalls belanglos.“ Die klagende Frau bekam ihren Verdienst für den vorenthaltenen freien Tag.

Das Gericht bestätigt diese Auffassung im Parallelfall des NRW HAT und Assessor Hunn fügt in seiner Anmerkung an, dass die SPD Fraktion beschlossen habe, die Forderung nach einem freien Tag für die arbeitenden Frauen bundesweit zu erheben (AuR 54,320).

Interessant bei meinem Streifzug durch AuR ist vielleicht aber auch, was AuR nicht behandelt bzw. sehr spät:

Abgesehen von einem Aufsatz von Kehrmann (AuR 64, 335) zum Schwerbeschädigtengesetz, befasst sich AuR bis zum Aufsatz von Bitter, über „Gleichbehandlung und Kündigungsschutzprobleme im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Ausländern“(AuR 66, 34) nicht mit  Problemen der sogenannten Gastarbeiter.

Zu diesem Zeitpunkt sind Bitters Angaben zufolge etwa 1,2 Millionen solcher Arbeiterinnen und Arbeiter tätig. Das erste Gastarbeiter-Abkommen wurde 1955 abgeschlossen.

Die Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht dazu Folgendes:

„Die überwiegend männlichen, jungen Angeworbenen wurden vor allem für einfache, körperliche Arbeit im industriellen Gewerbe eingesetzt. Die Arbeiter lebten ohne Familienangehörige in Baracken oder Sammelunterkünften. Weil ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein sollte, wurden sie als "Gastarbeiter" bezeichnet. Das sogenannte Rotationsprinzip sah vor, dass sie nach Ablauf der Aufenthaltsfrist in ihre Heimatländer zurückkehren und andere an ihre Stelle treten sollten.“ (http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68921/erstes-gastarbeiter-abkommen-20-12-2010, Bundeszentrale für politische Bildung).

Die arbeitsrechtlichen Ausführungen von Bitter prüfen, ob die Befristung der Arbeitsverträge dem Gleichbehandlungsgebot widersprechen und kommen zu dem Ergebnis, das dies jedenfalls so lange nicht der Fall ist – auch bei Kettenarbeitsverträgen - wie nach dem AVAVG die Beschäftigung eines Ausländers so lange verboten ist wie keine Arbeitserlaubnis vorliegt. Folglich kann man erst dann möglicherweise von Diskriminierung im Sinne von § 51 BetrVG sprechen, wenn eine unbefristete Arbeitserlaubnis besteht.

Ob möglicherweise die entsprechenden Vorschriften des AVAVG, die im Ergebnis den ausländischen, in Deutschland tätigen, Arbeitnehmer benachteiligen, rechtswidrig sein könnten, wenn langfristig Arbeit vorhanden ist, wird nicht geprüft.

Über den Zustand der Lager/Baracken, in denen die überwiegend jungen Arbeiter gepfercht wurden, über die Umgehung der Tariflöhne und der gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen durch Subunternehmer, über den Mietwucher, dem sie vielfach ausgesetzt wurden, berichtet AuR nicht.

Wie ungern darüber auch später noch Teile der Presse berichten wollten, lernte ich am eigenen Leibe kennen: Mein etwa einstündiges Rundfunkfeature über diese Zustände wurde, nach Durchlaufen der Abnahme durch die zuständige Redakteurin, 1970 vom Programmdirektor aus dem Programm genommen und erst auf Druck einer Vollversammlung der Redakteure des WDR endlich gesendet. Hier schwieg also bis 1970 keineswegs nur AuR.

AuR bemühte sich mit einer Vielzahl von Aufsätzen auch zu den großen, hier nicht nachgezeichneten arbeitsrechtlichen Themen der Zeit, insbesondere Streik und Aussperrung, Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsverhältnis, die Unternehmensmitbestimmung, das Atomgesetz und den Notstandsgesetzen, Frauenarbeitslohn, gewerkschaftliche Positionen zu formulieren und durchzusetzen. Auch dies erfuhr ich selbstverständlich bei meinem Streifzug, Auch will ich klarstellen, dass meine kritischen Anmerkungen für die Zeit nach 1970 keine Geltung beanspruchen wollen.

1968 erschien das von uns „68ern“ begeistert aufgenommene Buch (Funkkolleg) „Rechtswissenschaft“ von Wiethölter, die Kritische Justiz wurde begründet, die Studenten forderten an vielen Universitäten Rechenschaft über die NS-Vergangenheit ihrer Lehrer, niemand konnte mehr „die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft als Reminiszenz“ (Poelmann, s.o.) verbuchen und mit der alten Begrifflichkeit einfach weiter machen.

Für mich war der Streifzug durch die ersten Jahre jedoch von besonderer Bedeutung, weil ich etwas lernen wollte für meine Rolle als „GF Herausgeber“ der AuR. Diese habe ich übrigens nie allein wahrgenommen, sondern vom ersten Tag an mit mindestens gleichberechtigter Teilnahme von Andrea Baczyk, Rudolf Buschmann, Bettina Frohwein, Johannes Heuschmid, Dietmar Hexel, Jochen Homburg, Rainer Jöde, Thomas Klebe, Michael Kittner, Helga Nielebock, Jens Schubert, Günter Schölzel, Marie Seyboth, Reinhard Vorbau und Peter Wedde, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte.

Was ich bei meinem Streifzug gelernt zu haben glaube, ist Folgendes:

1. Wir dürfen uns in unserer Arbeit nicht beeinflussen lassen von Titeln, Orden, Ehrenzeichen und auch nicht von Zugehörigkeiten.

2. Wir müssen jeden arbeitsrechtlichen Begriff und jedes Konstrukt sorgfältig auf seine historische Entstehung und seine Tauglichkeit zur Verbesserung der sozialen Situation und der Herstellung und Verbesserung der Freiheitsrechte (wie aller Grundrechte) der abhängig Beschäftigten untersuchen. (Die Arbeitskampfrisiko-Lehre, bei der die Rechte der Individuen sich in der Gemeinschaft, man könnte auch sagen Klassenzugehörigkeit, auflösen und folglich unbeachtet bleiben z.B., bedarf dringend solcher Untersuchung.)

3. Wir müssen uns besonders für Minderheiten und Ausgegrenzte einsetzen.

4. Wir müssen die 60 jährige (oder ältere) Diskussion um die Gleichstellung von Frauen im Arbeitsleben fortführen, bis sie „handfest und gegenwartsnahe“ hergestellt ist.

Natürlich ist das nicht alles, was eine gute Zeitschrift braucht. Sie muss auch aktuell sein, das gesamte Arbeitsrecht abdecken und ihre Leser fesseln und mit ihnen im Dialog stehen, sie muss ein gutes Layout haben und vieles mehr. Dazu braucht sie gute Autorinnen und Autoren, gute Leserinnen und Leser und gute Redakteure und Redakteurinnen. Um dies zu erreichen oder ihm wenigstens näher zu kommen, haben wir uns eng mit anderen gewerkschaftlichen Institutionen zusammen geschlossen, dem HSI, der Europäischen Akademie für Arbeit, der DGB Rechtsschutz GmbH und dem Bund Verlag und wollen andere nicht ausschließen.

Ganz besonders ist mir dabei an den Rechtssekretärinnen und Rechtssekretären der DGB Rechtsschutz GmbH gelegen. Sie sind – wie ich einmal von meinen italienischen Freunden gehört habe - die „partigiani del diritto“, die Partisanen des Rechts, die an der „Front“ stehen und nicht zulassen, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihr „gutes Recht“ vorenthalten wird. Ihnen möchte ich sagen: Macht bitte mit bei der Arbeit an unserer Zeitschrift, die dazu beitragen soll, dass das  „gute Recht“, das ihr im mühseligen Einzelkampf vor Gericht durchsetzt, immer besseres Recht für Eure „tutelati“ – Beschützten - wird.

Diese aber - wie wir alle - dürfen sich auch nicht „dem gesellschaftlichen Bezug und ihrer Verantwortung entziehen“ wie Schulz (s.o.) es für die Mehrheit seiner Zeitgenossen nach 1948 konstatiert hatte.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Wolfgang Apitzsch

Vorsitzender des Aufsichtsrats der DGB Rechtsschutz GmbH und
geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift »Arbeit und Recht«