Aktuell stellt sich die Frage, wann ist eine Rechtsfrage objektiv geklärt ist besonders im Zusammenhang mit Ansprüchen von Beamt*innen wegen altersdiskriminierender Besoldung.

Bundesverwaltungsgericht: Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union maßgeblich

Hierzu hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinen Urteilen vom 30.10.2014 zu Sachsen und Sachsen-Anhalt entschieden, dass die Rechtslage durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) „Hennings und Mai“ vom 08.09.2011 objektiv geklärt war.

In der Entscheidung hatte der Europäische Gerichtshof aufgrund einer Vorlage des Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass die BAT-Lebensaltersstufen eine Altersdiskriminierung jüngerer Arbeitnehmer*innen darstellen. 

Frist: Zwei Monate ab Urteil

Ab diesem Zeitpunkt war nach Auffassung des BVerwG den Betroffenen eine Klageerhebung beziehungsweise die Einleitung fristwahrender Schritte zuzumuten, da diese ab diesem Zeitpunkt „ hinreichend aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos“  war.

Die hier in Rede stehenden Ansprüche wegen diskriminierender Besoldung müssen innerhalb einer Geltendmachungsfrist von 2 Monaten geltend gemacht werden.

Nach Auffassung des BVerwG wurde sie am 08.09.2011 in Lauf gesetzt, so dass diese spätestens bis zum 08.11.2011 hätten geltend gemacht werden müssen.

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes: Frist nur für Angestellte

Zwischenzeitlich hat nun das  OVG des Saarlandes in seiner  Entscheidung vom 10.08.2015 (Az. 1 A 290/14) eine andere – überzeugende – Auffassung vertreten: Es verweist darauf, dass mit der Entscheidung des EuGH vom 08.09.2011 nur die Ansprüche von Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst behandelt worden sind.

Dies besage indes nicht, dass hiermit der Europäische Gerichtshof auch allen anderen Fragen, die andere Beschäftigtengruppen wie Beamten und Soldaten betreffen, mitentschieden und -erwogen habe. 

Es sei also nicht davon auszugehen gewesen, dass ab dem Zeitpunkt dieses Urteils auch für diese Beschäftigtengruppen die Klageerhebung/Einleitung fristwahrender Schritte hinreichend aussichtsreich gewesen sei.

Rechtslage für Beamt*innen noch bis zum 19.06.2014 unklar

Nach Auffassung des OVG des Saarlandes blieb die Rechtslage für diese Beschäftigtengruppen  zunächst unklar, denn auch nach der EuGH-Entscheidung vom 08.09.2011 folgten die Verwaltungsgerichte keineswegs einheitlich und „brav“ den grundsätzlichen Maßgaben dieser Entscheidung.

Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und auch die Einschätzung der sonstigen Fachwelt blieb skeptisch und uneinheitlich, was das OVG Saarland detailreich dargelegt hat.

Vielmehr komme frühestens seit Ergehen der obergerichtlichen Urteile des OVG Sachsen-Anhalt vom 11.12.2012 und des Sächsischen OVG vom 23.04.2013 eine objektive Klärung der Rechtslage in Betracht, letztlich sei diese jedoch erst mit Entscheidung des EuGH vom 19.06.2014 erfolgt.

Anmerkung


Wenn der Fristbeginn von der objektiven Klärung der Rechtslage abhängt, gilt es, ein besonderes Auge darauf zu haben, ab wann dieser Zustand wirklich eintritt. Dies fällt bei kurzen Fristen – wie hier nach § 15 Abs. 4 AGG – besonders ins Gewicht, ist aber auch bei längeren einzuhaltenden Fristen zu beachten.

Wir kommen also – gerade bei umfassenden EuGH-Entscheidungen – wohl nicht umhin, die Rechtsprechungsentwicklung zu beobachten, insbesondere, wenn unterschiedliche Gerichtszweige, wie hier Arbeitsgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit, betroffen sind. Denn hier stellt sich in der Tat die Frage: Wie sollen die betroffenen Beamt*innen von einer objektiv geklärten Rechtslage ausgehen, wenn sich sogar die „Fachleute“ über einen nachfolgenden Zeitraum noch zutiefst uneins sind?

Ob das Bundesverwaltungsgericht allerdings seine Auffassung nach kurzer Zeit wieder ändern wird, muss wohl bezweifelt werden. Das Verwaltungsgericht München und der Hessische Verwaltungsgerichtshof haben jedenfalls zwischenzeitlich die Auffassung des Saarländer Urteils verworfen.

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Im Praxistipp:
§ 15 IV Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz und § 61b I Arbeitsgerichtsgesetz

Rechtliche Grundlagen

§ 15 IV Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz; § 61b I Arbeitsgerichtsgesetz

§ 15 IV Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG

Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

§ 61b I Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG

Eine Klage auf Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes muss innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden.