Wann wird aus einem Kämpfer ein Querulant und wann ist dieser nicht mehr prozessfähig?
Wann wird aus einem Kämpfer ein Querulant und wann ist dieser nicht mehr prozessfähig?


Die Klägerin hatte sich 2013 auf eine Stelle als Software-Entwicklerin beworben. Wegen der Absage des Unternehmens machte sie Schadensersatzansprüche geltend und erhob Klage beim Arbeitsgericht Hamburg. Es liege eine Diskriminierung wegen ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer russischen Herkunft vor. 

Das beklagte Unternehmen sah schon mangels passenden Bewerberprofils keine ernsthafte Bewerbung. Vor allem fehle die geforderte langjährige Erfahrung in der speziellen Softwareentwicklung.

Das Arbeitsgericht Hamburg sah die Klägerin als objektiv nicht geeignet für die Stelle an. Es wies die Klage zurück. 

Klägerin fühlt sich diskriminiert durch die Frage nach Geschlecht und Alter


Als Indizien, welche eine Diskriminierung wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Herkunft vermuten ließen, stellte die Klägerin auf allgemein übliche Formulierungen im Bewerbungsformular und der Stellenausschreibung ab. 

Zum einen sei in dem Online-Bewerbungsformular nach Geschlecht und Geburtsjahr gefragt worden. Auch wenn es sich dabei nicht um Pflichtfelder gehandelt habe, seien diese Angaben nicht erforderlich und diskriminierend. 

Auch die Benutzung männlicher Formen wie „Mitarbeiter“ in der Stellenausschreibung stelle ein Indiz für die Benachteiligung von Bewerberinnen dar. Der Zusatz (m/w) sei hinsichtlich der Geschlechtsneutralität nicht ausreichend. 

Schließlich sei die Anforderung „fließendes Deutsch und Englisch in Wort und Schrift" ein Indiz für die Benachteiligung wegen ihrer ethnischen Herkunft.

Zweifel an der Prozessunfähigkeit


Da die Klägerin sich mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht zufrieden gab, legte sie Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg ein. Das Verfahren dort begann im Mai 2014.
 

Das LAG wies die Berufung im August 2017 zurück. Das Arbeitsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Klage sei schon unzulässig, da die Prozessfähigkeit der Klägerin und damit eine wesentliche Prozessvoraussetzung nicht festgestellt werden könne. 

Klägerin hat hunderte Verfahren wegen Diskriminierung geführt


Wenn man allein den Sachverhalt zu diesem Klageverfahren betrachtet, so wird nicht deutlich, um welchen extremen Fall es sich insgesamt handelt. Keineswegs war dies die erste oder einzige Klage auf Entschädigung wegen Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. 

Allein beim LAG Hamburg gab es ab 2007 mehrere hundert Rechtsmittelverfahren oder Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren. Sie hatten ganz überwiegend keinen Erfolg.

Dieser Trend setzte sich nicht nur fort, sondern verstärkte sich trotz aller Erfolgslosigkeit. Allein im Zeitraum vom Januar 2017 bis April 2017 waren 59 neue Anträge der Klägerin beim LAG eingegangen.

Klägerin bezeichnet Urteile als willkürlich, absurd und verleumderisch


In allen Verfahren gab die Klägerin sich mit den Ergebnissen der Richter nicht zufrieden. Sie erklärte die Richter regelmäßig für befangen (und unfähig) und legte Rechtsmittel um Rechtsmittel ein. 

Nach Einschätzung des LAG liegt eine wahnhafte Entwicklung im Sinne eines sog. Querulantenwahns vor. Die Klägerin befinde sich hinsichtlich der Führung von Rechtsstreitigkeiten wegen vermeintlicher Diskriminierung dauerhaft in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, der die freie Willensbestimmung ausschließt.

Verfahrenskosten bedrohen die wirtschaftliche Existenz der Klägerin 


Ein Aspekt bei der Einschätzung des Gerichts ist die finanzielle Misere, in die die Klägerin sich gebracht hat. Sie schade sich selbst und handele damit gegen ihre eigenen Interessen. 

Denn mit der großen Zahl der ohne Aussicht auf Erfolg geführten Verfahren hat die Klägerin Gerichts- und Anwaltskosten gegen sich in einer Höhe verursacht, die ihre wirtschaftliche Existenz auf Dauer bedrohen: 

Alleine gegenüber der Gerichtskasse Hamburg gibt es Verbindlichkeiten von über 100.000 € (Stand Juli 2017). Und das sind nur die Gerichtskosten. Hinzu kommen die Kosten der verklagten Arbeitgeber, die die Klägerin ersetzen muss. Dieser Betrag dürfte den oben genannten deutlich übersteigen. 

Gutachter verneint eine ausreichende Prozessfähigkeit bis auf Weiteres 


Das LAG musste sich nicht allein auf seine Einschätzung zur geistigen Gesundheit der Klägerin verlassen. In einem anderen Verfahren hatte das Gericht einen Gutachter eingeschaltet. In dessen Stellungnahme heißt es „dass die Klägerin nicht mehr ausreichend in der Lage ist, die Vorfeldereignisse, die tatsächlichen Sachverhalte, ihre jeweilige argumentative Position und das aktuelle bzw. gegebenenfalls auch zukünftige prozessuale Geschehen in realitätsentsprechender, perspektivisch-abstrahierend ausgerichteter Weise zu erfassen und vernünftige bzw. prozessual angemessene Entscheidungen zu treffen.“

Mit einfachen Worten: Die Klägerin weiß nicht, was sie tut. 

Eine persönliche Begutachtung wegen der gerichtlichen Zweifel an der Prozessfähigkeit hatte die Klägerin im Übrigen abgelehnt. 

Abgrenzung zwischen Kampfgeist und Wahn 


Also wann ist die Grenze überschritten zwischen Kampfgeist und krankhaftem Wahn? Wenn die klagende Person absolut uneinsichtig ist, die eigene Position trotz aller rechtlicher Hinweise gar nicht hinterfragt, meint, dass alles und jeder gegen sie ist und letztlich auch die Übersicht im Verfahren verliert. 

Das LAG formuliert es wie folgt:

Von ausgeprägtem Querulantenwahn kann ausgegangen werden, wenn die Vorstellungen eines Klägers von einer eindeutigen Beeinträchtigung eigener Rechte sich weiter intensivieren und Zweifel an der Rechtmäßigkeit der eigenen Position nicht mehr zugelassen werden, absolute Uneinsichtigkeit und Selbstgerechtigkeit sich mit einer Ausweitung des Kampfes vom ursprünglichen Gegner auf andere Menschen und Instanzen verbindet und ein Kläger nicht mehr in der Lage ist, die verfahrensmäßige Behandlung seiner Ansprüche durch die Gerichte nachzuvollziehen.

Querulantenwahn als Extremfall 


Nicht nur für die Richter, sondern auch für die Prozessbevollmächtigten wird es schwer, wenn die Kläger*innen keinen Rechtsrat mehr annehmen und man sogar selbst zum Feindbild wird. 

Vielleicht hat der ein oder andere im Rechtswesen Tätige nach der obigen Formulierung das Gefühl, dass ihm schon öfter Personen mit Querulantenwahn untergekommen sind. Ganz klar muss man aber sagen, dass es schon extreme Fälle sind, in denen die Gerichte die Kläger*innen für prozessunfähig erklären. Das zeigt auch dieser Fall deutlich. 

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