So nicht! Entschied das Verwaltungsgericht über den Zurruhesetzungsbescheid des Dienstherrn. © Adobe Stock: maroke
So nicht! Entschied das Verwaltungsgericht über den Zurruhesetzungsbescheid des Dienstherrn. © Adobe Stock: maroke

Der Technische Fernmeldemann erkrankte mit 62 Jahren langfristig und konnte seine Tätigkeit zeitweise nicht mehr ausüben. Der Dienstherr nahm das zum Anlass, ein Verfahren zur Versetzung in den Ruhestand einzuleiten.

 

Zuvor wurde die aktuelle Tätigkeiten des Betroffenen geprüft. Dieser arbeitete seit geraumer Zeit nicht mehr vollschichtig. Der Zeitdruck bei der Arbeit war nur noch gering, allerdings sei das volle Spektrum seiner Fachkenntnisse erforderlich, bestätigte der unmittelbare Vorgesetzte. Man habe den Arbeitsplatz behindertengerecht ausgestattet, dennoch komme es aufgrund nachlassender Belastbarkeit zu erheblichen Fehlzeiten. Diverse Maßnahmen zum brieblichen Eingliederungsmanagement seien angestoßen worden, diese habe der Beamte jedoch nicht wahrgenommen.

 

Der BAD sollte ein ärztliches Gutachten erstellen

 

Der Beamte befand sich zu diesem Zeitpunkt in Altersteilzeit und etwa ein Jahr vor Beginn seiner Freistellungsphase. Dennoch ordnete der Dienstherr eine ärztliche Untersuchung des Beamten beim BAD zur Versetzung in den Ruhestand an.

 

Der Gutachter führte aus, neben der eigenen Befunderhebung beruhe die Stellungnahme auf einer Vorbegutachtung eines anderen BAD-Arztes aus 2016. Aktuelle Befunde seien nicht vorgelegt worden und seien aus gutachterlicher Sicht auch nicht erforderlich. Aufgrund der chronischen Grunderkrankung ergäben sich keine neuen Aspekte. Zum Zeitpunkt der Begutachtung habe der Kläger bereits seit mehr als fünf Wochen seinen Dienst wieder aufgenommen. Er befinde sich in der Alterssteilzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 19 Stunden.

 

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Vergangenheit seien durch eine chronische Grunderkrankung, insbesondere ein chronisches Schmerzsyndrom hervorgerufen worden. Die chronische Erkrankung werde auch in der Zukunft zu Fehlzeiten führen, allerdings sei es möglich, den Beamten vollschichtig einzusetzen. Auch in der Vergangenheit seien immer wieder krankheitsbedingte Fehlzeiten aufgetreten. Der Gesundheitszustand habe sich jedoch gebessert und stabilisiert.

 

Der Dienstherr übte sein Ermessen aus

 

Mit einer „Ermessenserklärung" stellte der Dienstherr nach Wertung aller Zusammenhänge und unter Berücksichtigung des vom ärztlichen Dienst erstellten Gutachtens sowie dessen ergänzender Stellungnahme nach „pflichtgemäßem Ermessen“ fest, dass der Kläger dauernd dienstunfähig im Sinne des § 44 Abs. 1 BBG sei.

 

Seit 2016 sei der Beamte regelmäßig krank gewesen und dem Dienst fern geblieben. Die Krankheitstage belegten, dass es bei dem Kläger immer wieder zu einer nicht unerheblichen Anzahl von krankheitsbedingten Ausfalltagen kommen werde. Der Gutachter habe das - sowohl als Rückblick als auch prognostisch für die Zukunft - bestätigt. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Krankheitsverlaufs und der immer wiederkehrenden krankheitsbedingten Ausfalltage müsse deshalb festgestellt werden, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, den Anforderungen seines Amtes nachzukommen.

 

Im Fall des Klägers sei von einer Schwäche der gesamten Konstitution auszugehen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des Betriebes geführt habe und auch zukünftig führen werde.

 

Es kam zur Versetzung in den Ruhestand

 

Mit seiner Zurruhesetzung war der Betroffene nicht einverstanden. Er beschritt den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht. Unterstützt wurde er hierbei vom DGB Rechtsschutzbüro Hannover. Das Verwaltungsgericht Göttingen bestätigte, dass der Zurruhesetzungsbescheid rechtswidrig war und hob ihn auf.

 

Formell sei die Versetzung in den Ruhestand zwar ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungen am Verfahren habe die Beklagte auch rechtmäßig durchgeführt. Sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch die Personalvertretung in Gestalt des zuständigen Betriebsrats seien auf Antrag des Klägers beteiligt worden und hätten Einwände erhoben.

 

                                                                                

Die Versetzung in den Ruhestand war materiell rechtwidrig

 

Obwohl die Beklagte die formalen Voraussetzungen für die Zurruhesetzung erfüllt habe, sei die Versetzung in den Ruhestand aus materiell-rechtlichen Gründen rechtswidrig. Die Beklagte habe unter Beachtung des amtsärztlichen Gutachtens zu Unrecht eine dauernde Dienstunfähigkeit des Klägers gemäß § 44 BBG angenommen.

 

Die Versetzung in den Ruhestand habe die Beklagte auf § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG gestützt, so das Verwaltungsgericht. Danach seien Beamt*innen auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) seien. Der Begriff der Dienstunfähigkeit unterliege der uneingeschränkten Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte.

 

Für die Feststellung gesundheitsbedingter Einschränkungen komme dem Dienstherrn kein Beurteilungsspielraum zu, den die Gerichte nicht kontrollieren dürften. Maßstab sei das Amt des*der Beamtin bei einer bestimmten Behörde ohne Beschränkung auf einen bestimmten, konkreten Dienstposten. Dienstunfähigkeit setze voraus, dass der*die Beamtin dauernd außerstande sei, die Pflicht zur Dienstleitung zu erfüllen und dies auf einer gesundheitlichen Beeinträchtigung beruhe.

 

Die Dienstunfähigkeit ist an Hand objektiver Kriterien festzustellen

 

Sinn und Zweck der Regelungen zur Versetzung in den Ruhestand sei, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu gewährleisten. Daraus folge, dass die Frage der Dienstunfähigkeit ausschließlich an objektiven Kriterien bemessen werden dürfe.

 

Dabei müssten die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Dies erfordere in aller Regel eine besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt oder eine Ärztin verfügten. Dementsprechend sehe das Gesetz vor, dass die Einschätzung des Dienstherrn auf ein (amts-)ärztliches Gutachten zu stützen sei.

 

Ein ärztliches Gutachten müsse die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar darlegen, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden könne, ob eine dauernde Dienstunfähigkeit vorliege.

 

An den Inhalt des Gutachtens sind Anforderungen geknüpft

 

Gutachter dürften nicht nur das Untersuchungsergebnis mitteilen, sondern müssten auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe angeben. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeute allerdings nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden dürfe. Vielmehr werde der Arzt als ein Sachverständiger tätig, auf den der Dienstherr angewiesen sei, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können.

 

Ärztlicherseits müsse deshalb der Gesundheitszustand festgestellt und medizinisch bewertet werden. Dagegen sei es Aufgabe der Behörde und ggf. auch des Gerichts, hieraus die Schlussfolgerungen zur Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen. Sie müssten die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden. Dies gelte insbesondere dafür, welche Folgen sich aus den vom Arzt festgestellten Leistungseinschränkungen für die Dienstpflichten des*der Beamt*in ergäben.

 

Amtsärztliche Gutachten sind Beweismittel im Verfahren

 

Eine amtsärztliche Stellungnahme sei eine neutrale, unabhängige Einschätzung und im Verhältnis zu privatärztlichen Attesten vorrangig von Bedeutung. Der Begriff der Dienstunfähigkeit stelle nämlich nicht allein auf die Person des*der Beamt*in ab. Vielmehr seien die Auswirkungen der Erkrankung auf die Fähigkeit entscheidend, die geforderten Dienstpflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb. Es komme nicht allein und ausschlaggebend auf Art und Ausmaß der einzelnen körperlichen Gebrechen an, sondern vielmehr darauf, ob die gesamte Konstitution dauernd dienstunfähig mache.

 

Die Beklagte setzte sich über das Gutachten hinweg

 

Die Beklagte habe sich ohne nachvollziehbare fachliche Grundlage über die von ihr angeforderten betriebsärztlichen Aussagen und die darin enthaltenen medizinischen Ausführungen hinweggesetzt, ohne auch nur ansatzweise substantiierte Tatsachengrundlagen für ihre eigene, entgegengesetzte Prognoseentscheidung anzuführen. Die Beklagte ignoriere die in den Stellungnahmen des BAD enthaltenen medizinischen Ausführungen zur voraussichtlichen Entwicklung der Dienstfähigkeit des Klägers. Sie setze an die Stelle der medizinischen Einschätzungen in den Stellungnahmen eigene Einschätzungen über das Vorliegen einer „chronisch progredienten Erkrankung". Sie diagnostiziere eigenständig ein auch in der Zukunft an Intensität zunehmend gehäuftes Wiederauftreten von Krankheitstagen.

 

Damit habe sich die Beklagte ausdrücklich in Widerspruch zu den vorliegenden betriebsärztlichen, medizinisch begründeten Feststellungen gesetzt. Die Einstufung der Erkrankung des Klägers als chronische fortschreitend ergebe sich nicht aus den Gutachten. Es erschließe sich dem Gericht auch nicht, dass die Beklagte diese Ausführungen relativieren und stattdessen ohne Weiteres eigene Schlussfolgerungen aus den medizinischen Feststellungen ziehen dürfe.

 

Die Beklagte habe aus den Augen verloren, dass nach § 44 Abs. 1 BBG zunächst erst einmal festgestellt werden müsse, dass der*die Betroffene dienstunfähig sei und erst im Anschluss an diese Feststellung prognostiziert werden könne, dass keine Aussicht besteht, die Dienstfähigkeit innerhalb einer Frist von 6 Monaten wieder voll herzustellen.

 

Das Vorliegen von Dienstunfähigkeit regelt das Gesetz

 

Die Beklagte verkenne den Begriff der Dienstunfähigkeit, wenn sie verneine, dass im Zeitpunkt der amtsärztlichen Untersuchung eine aktuelle Dienstunfähigkeit des betroffenen Beamten vorliegen müsse. Nach dem Gesetz liege Dienstunfähigkeit vor, wenn Beamte*innen wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig seien.

 

Bereits aus diesem Wortlaut ergebe sich, dass keineswegs darauf abgestellt werden dürfe, dass irgendwann einmal Dienstunfähigkeit eintrete. Entscheidend sei vielmehr die Frage, ob ein aktuell bestehender Zustand der Dienstunfähigkeit so lange andauere (oder absehbar wiederkehre), dass eine dauernde Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten bestehe. Genau diese Frage habe das betriebsärztliche Gutachten untersucht und im Ergebnis verneint.

 

Auch anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten sind zu prüfen

 

Hinzu komme, dass die Beklagte es unterlassen habe, danach zu suchen, ob es eine anderweitige Möglichkeit gegeben hätte, den Kläger zu beschäftigen. Für die Suchpflicht des Dienstherrn würden strenge Vorgaben gelten, damit der Grundsatz „Weiterverwendung vor Versorgung" effektiv umgesetzt werden könne. Die Beklagte habe ganz offenbar noch nicht einmal erwogen, einen anderweitigen Arbeitsplatz für den Kläger zu suchen.

 

Die Beklagte hatte damit die Dienstunfähigkeit des Klägers zu Unrecht festgestellt, so dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

 

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 44 BBG

Dienstunfähigkeit

(1) Die Beamtin auf Lebenszeit oder der Beamte auf Lebenszeit ist in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie oder er wegen des körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. In den Ruhestand wird nicht versetzt, wer anderweitig verwendbar ist.

(2) Eine anderweitige Verwendung ist möglich, wenn ein anderes Amt, auch einer anderen Laufbahn, übertragen werden kann. Die Übertragung eines anderen Amtes ohne Zustimmung ist zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Endgrundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und zu erwarten ist, dass die Beamtin oder der Beamte den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügt.

(3) Zur Vermeidung der Versetzung in den Ruhestand kann einer Beamtin oder einem Beamten unter Beibehaltung des übertragenen Amtes ohne Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit übertragen werden, wenn eine anderweitige Verwendung nicht möglich und die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter Berücksichtigung der bisherigen Tätigkeit zumutbar ist.

(4) Zur Vermeidung einer Versetzung in den Ruhestand kann die Beamtin oder der Beamte nach dem Erwerb der Befähigung für eine neue Laufbahn auch ohne Zustimmung in ein Amt dieser Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt versetzt werden, wenn eine dem bisherigen Amt entsprechende Verwendung nicht möglich und die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter Berücksichtigung der bisherigen Tätigkeit zumutbar ist. Das neue Amt muss derselben Laufbahngruppe zugeordnet sein wie das derzeitige Amt. Für die Übertragung bedarf es keiner Ernennung.

(5) Die Beamtin oder der Beamte, die oder der nicht die Befähigung für eine andere Laufbahn besitzt, ist verpflichtet, an Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen.

(6) Bestehen Zweifel über die Dienstunfähigkeit, besteht die Verpflichtung, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls dies aus amtsärztlicher Sicht für erforderlich gehalten wird, auch beobachten zu lassen.

(7) Gesetzliche Vorschriften, die für einzelne Gruppen von Beamtinnen und Beamten andere Voraussetzungen für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit bestimmen, bleiben unberührt.