Streikrecht ist Menschenrecht. Copyright by Thomas Reimer
Streikrecht ist Menschenrecht. Copyright by Thomas Reimer

Beamtete Lehrerinnen und Lehrer aus verschiedenen Bundesländern hatten während der Dienstzeit an Protestveranstaltungen beziehungsweise Streikmaßnahmen der GEW teilgenommen. Deshalb verhängten die Vorgesetzten der Lehrer Disziplinarmaßnahmen. Die GEW hatte den Betroffenen Rechtsschutz gewährt. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hielt die Disziplinarmaßnahmen allerdings für rechtens. Denn nach unseren Gesetzen dürfen Beamte nicht streiken. Vier betroffene Kolleginnen und Kollegen legten mit Unterstützung der GEW Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Das BVerfG hat jetzt entschieden, dass das Streikverbot für Beamte verfassungsgemäß ist.

Wir hatten über die Angelegenheit mehrfach berichtet:

Artikel: Morgen verhandelt das BVerfG über das Streikrecht für Beamte

Artikel: Bundesverfassungsgericht vertagt Entscheidung zum Streikrecht für Beamte:

Einschränkung des Grundrechts soll verfassungsgemäß sein

Das BVerfG bestätigt, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in deren Grundrecht nach Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) eingreift. Die disziplinarrechtliche Ahndung der Teilnahme an einem Warnstreik würde nämlich das Recht auf Beteiligung an Arbeitskampfmaßnahmen einschränken. Diese Beschränkung eines Grundrechts sei aber gerechtfertigt, weil es insoweit gewichtige, verfassungsrechtlich geschützte Belange gebe.

Das Streikverbot für Beamte stelle einen eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums dar.  Es gehe auf eine jedenfalls in der Staatspraxis der Weimarer Republik begründete Traditionslinie zurück und habe eine enge inhaltliche Verknüpfung mit der beamtenrechtlichen Treuepflicht sowie dem Alimentationsprinzip.

Vgl. hierzu: Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums

Die Benachteiligung von Beamtinnen und Beamten soll ausreichend kompensiert sein

Es gebe ein Spannungsverhältnis zwischen der Koalitionsfreiheit, zu dem auch das Streikrecht gehöre, und den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Letztlich sei dieses Spannungsverhältnis aber zugunsten eines Streikverbotes für Beamtinnen und Beamten aufzulösen. Die Koalitionsfreiheit sei nicht vollkommen eingeschränkt. Auch habe der Gesetzgeber die Einschränkung des Grundrechts teilweise kompensiert. Schließlich werden Spitzenorganisationen der Gewerkschaften bei der Vorbereitung gesetzlicher Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse beteiligt. Daher sei der Eingriff in die Grundrechte der Beamten nicht unzumutbar schwer.

Zudem haben Beamte ein Recht auf lebenslange Alimentation. Das ist das Recht auf eine Besoldung, die ihrem Amt entspricht. Die angemessene Besoldung könnten sie nötigenfalls sogar gerichtlich durchsetzen. Insbesondere dieses Recht stehe einem Recht auf eigenes Aushandeln der Besoldung entgegen. Es sei auch nicht angebracht, zumindest den Beamten das Streikrecht zu gewähren, die keine hoheitlichen Aufgaben erfüllen. Das führe nämlich zu Abgrenzungsschwierigkeiten. Davon abgesehen schaffe ein Streikrecht, das auf diese Weise eingeschränkt sei, eine Sonderkategorie der „Beamten mit Streikrecht“ oder „Tarifbeamten“, die das klar konzipierte zweigeteilte öffentliche Dienstrecht in Deutschland durchbräche.

Auch das internationale Recht soll nicht verletzt sein

Das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland stehe mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang. Es sei insbesondere auch mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.

Insbesondere verstoße das Streikverbot nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese gewähre zwar grundsätzlich ein Recht auf Streik für Beschäftigte, die keine hoheitsrechtlichen Aufgaben verrichteten. Die EMRK sei aber im Kontext der staatlichen Regeln zu betrachten. 

Der  Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) lasse Eingriffe in die Menschenrechte zu, wenn ein dringendes soziales oder gesellschaftliches Bedürfnis vorliege und die Einschränkung verhältnismäßig sei. Beim Streikverbot für Beamte habe die Bundesrepublik Deutschland ihren Beurteilungsspielraum insoweit nicht überschritten. Die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte sei unvereinbar mit der Beibehaltung grundlegender beamtenrechtlicher Prinzipien. Dies betreffe vor allem die Treuepflicht des Beamten, das Lebenszeitprinzip sowie das Alimentationsprinzip. Die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte würde das System des deutschen Beamtenrechts, eine nationale Besonderheit der Bundesrepublik Deutschland, im Grundsatz verändern und damit in Frage stellen.

Beamtete Lehrerinnen und Lehrer sind Teil der Staatsverwaltung

Hinzu komme, dass nach Auffassung des BVerfG beamtete Lehrkräfte dem Bereich der Staatsverwaltung im Sinne der EMRK zuzuordnen seien.

Für den Bereich der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen, der im vorliegenden Verfahren maßgeblich ist, ergebe sich ein besonderes Interesse des Staates an der Aufgabenerfüllung durch Beamtinnen und Beamte. Dieses besondere Interesse rechtfertige die Einschränkungen Ihres Grundrechts. Schulwesen und staatlicher Erziehungs- und Bildungsauftrag nehmen im Grundgesetz und den Verfassungen der Länder einen hohen Stellenwert ein.

Zur Pressemitteilung des BVerfG vom 12.06.2018:

Detaillierte Hintergrundinformationen online bei unseren Kolleg*innen von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW):