Illegale Informationsbeschaffung im Prozess verwertbar?
Illegale Informationsbeschaffung im Prozess verwertbar?


Eine Klärung dieser Frage soll ein - fiktiver - Beispielfall bringen.
 

Diebstahl durch Videoüberwachung aufgedeckt

 
Der Betreiber eines Supermarktes wundert sich darüber, dass seit einiger Zeit in größeren Mengen Waren verschwinden. Ohne irgend einen konkreten Anhaltspunkt dafür zu haben und obwohl Kunden ebenfalls für die Verluste verantwortlich sein könnten, verdächtigt er eine Gruppe von drei Auszubildenden. Eine von ihm daraufhin heimlich und verdeckt angebrachte Videokamera im Umkleideraum der Auszubildenden beweist, dass tatsächlich einer von ihnen der Dieb ist. Als der Täter das Video sieht, gibt er alles zu und erhält nach wenigen Tagen eine außerordentliche fristlos Kündigung, die der Betreiber vor Gericht mit den Diebstählen begründet.
 

War die Videoaufnahme rechtswidrig?

 
Dass der Supermarktbetreiber heimlich eine Videokamera installiert hat, stellt in aller Regel eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Auszubildenden sowie einen Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Deshalb ist eine Videoüberwachung nur zulässig, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind.

 

  • Es muss ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestehen.
  • Weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung müssen ergebnislos geblieben sein.
  • Die Videoüberwachung muss das einzig verbleibende Mittel zur Aufklärung sein.
  • Sie darf nach Abwägung der widerstreitenden Interessen insgesamt nicht unverhältnismäßig sein.


Vgl. dazu im Einzelnen

Schnüffeln bis das Bundesarbeitsgericht kommt oder Beweisverwertungsverbot bei Videoüberwachung am Arbeitsplatz

Im Beispielsfall scheitert die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung bereits daran, dass der Betreiber keine Anhaltspukte für den Verdacht hatte, dass einer der Auszubildenden Waren wegnimmt. Die Videoüberwachung war also rechtswidrig. Deshalb stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten der Auszubildende hat, die Rechtswidrigkeit der Videoüberwachung vor Gericht zur Sprache zu bringen.
 

Zwickmühle für den Auszubildenden

 
Im Prozess steckt der Auszubildende in einer Zwickmühle.

 

  • Wenn er den Diebstahl, den er tatsächlich begangen hat, bestreitet, ist von einem zumindest versuchten Prozessbetrug auszugehen. Denn er ist nach der Zivilprozessordnung verpflichtet, „… vollständig und der Wahrheit gemäß…“ vorzutragen.
  • Wenn er den Diebstahl dagegen nicht bestreitet, geht die Zivilprozessordnung davon aus, dass der Diebstahl „… als zugestanden anzusehen…“ ist. Das bedeutet, dass beide Parteien sich insoweit einig sind. Wenn aber der Vortrag des Betreibers unstreitig ist, braucht und darf das Gericht keine Beweisaufnahme durchführen. Die Frage, ob die Videoüberwachung rechtswidrig war oder nicht, hätte dann aber keinerlei Bedeutung mehr. Damit könnte sich der Auszubildende nicht erfolgreich gegen die Kündigung wehren, obwohl der Videobeweis unzulässig ist und der Betriebsleiter nur von dem Diebstahl erfahren hat, weil er rechtswidrig gehandelt hat.

 

Lösung des Bundesarbeitsgerichts

 
In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.2016 (2 AZR 395/15) ging es ebenfalls um einen Sachverhalt, bei dem der Arbeitgeber von einem Fehlverhalten des Arbeitnehmers durch eine (möglicherweise) rechtswidrige Videoüberwachung  erfahren hat. Auch dieser Arbeitnehmer steckte also (möglicherweise) in der oben beschriebenen Zwickmühle.

Das Bundesarbeitsgericht führt zu diesem Problem in seinem Urteil zunächst aus, dass nach dem Grundgesetz jeder Beteiligte vor jedem Gericht Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Daraus folgt, dass das Arbeitsgericht grundsätzlich verpflichtet ist, jeden Sachvortrag der Parteien bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dann in Betracht, wenn sie
„… aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position zwingend geboten ist.“
Eine solche verfassungsrechtlich geschützte Position stellen sowohl das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar.
Die Gerichte müssen die Grundrechte beider Parteien beachten. Deshalb haben sie die Pflicht, zu prüfen, “ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist.“

Ergebnis dieser Prüfung kann durchaus sein, dass das Gericht den Sachvortrag des Arbeitgebers ausnahmsweise nicht berücksichtigen und verwerten darf, wenn dies den Grundrechten des Arbeitnehmers entgegensteht.

Wenn der Arbeitgeber also grundrechtswidrig Informationen über den Arbeitnehmer erlangt hat, ist diesem nicht zuzumuten, dass er zur Wahrung seiner Rechte gezwungen wird, gegen seine prozessuale Wahrheitspflicht zu verstoßen. Es darf nicht sein, dass die einzige Möglichkeit, das rechtswidrige Verhalten des Arbeitgebers im Prozess zu berücksichtigen, darin besteht, dass der Arbeitnehmer seine Wahrheitspflicht verletzt und sich der Gefahr eines (versuchten) Prozessbetruges aussetzt.
 

Ergebnis

 
Erlangt ein Arbeitgeber Informationen über Arbeitnehmer unter Verstoß gegen Grundrechte (Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht auf informationelle Selbstbestimmung), kann es sein, dass das Gericht den entsprechenden Sachvortrag des Arbeitgebers im Prozess nicht verwerten darf.


Hier geht es zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.2016, Az: 2 AZR 395/15:

Rechtliche Grundlagen

§ 138 Zivilprozessordnung, Grundgesetz Artikel 1 u. 2

Zivilprozessordnung

§ 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.


Grundgesetz Art 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Grundgesetz Art 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.