I) Die Ausgangslage

 

Im Kündigungsschutzprozess wegen einer verhaltensbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss A behaupten, dass M vertragliche Pflichten verletzt hat. Bestreitet M die Vorwürfe, muss A beweisen, dass ein Kündigungsgrund vorliegt. In M’s Fall behauptet  A, dass M Geld unterschlagen habe. Als Beweismittel legt A die Videoaufzeichnungen vor. Aber: Darf das Gericht sein Urteil darauf stützen? 

 

II)  Der Grundsatz: Es gibt kein Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess

 

Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 I GG). Das Gericht ist also grundsätzlich verpflichtet, „erheblichen Vortrag der Parteien zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen.“ (Beispielhaft Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 20.06.2013 2 AZR 546/12 und BAG vom 13.12.2007 2 AZR 537/06). Das heißt, alles, was die Parteien in ihren Schriftsätzen vorgetragen haben, muss grundsätzlich vom Gericht verwertet werden. Das gilt auch für alle angebotenen Beweismittel.

 

III)  Eine Ausnahme: Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

 

Wenn die Aufnahme von Videobildern einen rechtswidrigen Eingriff in das  allgemeine Persönlichkeitsrecht von M darstellt, darf das Gericht sie nicht berücksichtigen. Dann besteht ein Beweisverwertungsverbot.


Dieses Verbot schützt nur vor der Verwertung der Videoaufnahme. Sollte A zum Beispiel zusätzlich M’s Kollegen B als Zeugen für die Unterschlagung benennen, muss das Gericht B vernehmen und seine Aussage verwerten.

 

1)  Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

 

Art. 2 I Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 1 I GG gewährleistet das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Es ist auch im Arbeitsverhältnis zu beachten und  beinhaltet unter anderem das Recht am eigenen Bild sowie auf informationelle Selbstbestimmung. In diesem Zusammenhang führt das so genannte „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) vom 15.12.1983 (1 BvR 209/83) aus, dass „heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten …) technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus - vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme - mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann.“ 


So ist es folgerichtig, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Mitarbeiter*innen „vor einer lückenlosen technischen Überwachung am Arbeitsplatz durch heimliche Videoaufnahmen“ schützt“. (Beispielhaft: BAG vom 27.03.2002 2 AZR 51/02)


Durch die Kamera müssen die Mitarbeiter während der gesamten Arbeitszeit davon ausgehen, dass ihr Verhalten jederzeit aufgezeichnet und später ‚verwertet’ werden kann. Es entsteht also ein ständiger Überwachungsdruck. Jede*r versucht krampfhaft, sich möglichst unauffällig zu benehmen. Tut jemand dies nicht, besteht die Gefahr, sich der Kritik und dem Spott der Kolleg*innen oder sogar arbeitsrechtlichen Sanktionen auszusetzen. (BAG vom 29.06.2003 1 ABR 21/03)


Wegen dieses Überwachungsdrucks ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht bereits verletzt, wenn Kameras installiert werden. Eine tatsächliche Aufzeichnung ist nicht erforderlich. (LArbG Frankfurt vom 25.10.2010 7 Sa 1586/09) 

 

2) Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs

 

M kann sich nur dann auf ein Beweisverwertungsverbot berufen, wenn der Eingriff ins allgemeine Persönlichkeitsrecht rechtswidrig ist. Umgekehrt wird A sich nach Kräften bemühen, die Rechtmäßigkeit seiner Überwachung zu untermauern. 

 

a)  Konkreter Verdacht

 

Für Rechtmäßigkeit des Eingriffs ist Grundvoraussetzung, dass vor Beginn der Überwachung „der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers“ besteht. (BAG vom 27.03.2003 2 AZR 51/02) Dabei braucht sich der Verdacht nicht auf eine bestimmte Person richten. Es genügt, wenn durch die Überwachung festgestellt werden soll, wer von mehreren Mitarbeiter*innen Straftaten begeht.

 

b) Verhältnismäßigkeit

 

A will erfahren, wer das Geld unterschlagen hat. Der Einsatz einer Videokamera ist dann verhältnismäßig, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist, um dieses Ziel zu erreichen.

aa) Die Überwachung muss geeignet sein

 

Da die Videoaufnahme zeigt, dass M das Geld unterschlagen hat, ist A’s Maßnahme mit Sicherheit zum Erreichen des angestrebten Ziels geeignet. Dies dürfte auch auch für die allermeisten Maßnahmen zur Beschaffung von kündigungsrelevanten Informationen zutreffen. Die A’s dieser Welt werden in den seltensten Fällen zu Mitteln greifen, die von vorn herein ungeeignet sind.

 

bb)  Die Überwachung muss erforderlich sein

 

Solange es noch Möglichkeiten gibt, die gewünschten Informationen auf eine für M weniger einschneidende Art und Weise zu bekommen, darf A nicht zur Videoüberwachung greifen. So könnte möglicherweise bereits die Installation einer Kameraattrappe zur Vermeidung weiterer Unterschlagungen ausreichend sein. Oder A setzt setzt eine richtige Kamera ein, aber speichert deren Bilder nicht. Oder ein Kontrolleur sieht sich die Bilder stichprobenartig ‚live’ an. Diese Vorgehensweisen wären mildere Mittel.


Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage nach der Erforderlichkeit ist unmöglich. Es ist immer im Einzelfall zu entscheiden, ob die konkret zur Diskussion stehende Maßnahme erforderlich war oder nicht.


Für M lohnt es sich auf jeden Fall, kreativ darüber nachzudenken, welche milderen Mittel eingesetzt werden könnten. Wenn es ein gleich gut geeignetes, aber milderes Mittel als die Videoüberwachung gegeben hätte, kann der Videobeweis im Prozess nicht gegen M verwertet werden.

 

cc)  Die Überwachung muss angemessen sein

 

Bei der Überprüfung der Angemessenheit muss man A’s und M’s Interessen gegeneinander abwägen. A möchte nicht weiter Unterschlagungsopfer bleiben, und M will keinen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinnehmen.


Außerdem ist ein allgemeines Interesse an einer funktionierenden Zivilgerichtsbarkeit mit einzubeziehen. Die Gerichte sollen materiell richtige Urteile fällen. Dazu brauchen sie grundsätzlich alle Informationen, die sie bekommen können.


Bei dieser Abwägung überwiegt keiner der genannten Gesichtspunkte von vorn herein und immer. Vielmehr müssen auch hier zwingend die konkreten Gesamtumstände des Einzelfalles geprüft werden. 


Mitentscheidend ist immer die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dabei ist unter anderem bedeutsam,

  • ob die Betroffenen als Personen anonym bleiben,
  • welche Umstände und Inhalte der Kommunikation erfasst werden,
  • welche Nachteile den Arbeitnehmern aus der Überwachungsmaßnahme drohen oder von ihnen begründet befürchtet werden,        
  • ob und in welcher Zahl unverdächtige Dritte mitbetroffen sind,
  • wie lange und in welcher der Art die Überwachungsmaßnahmen durchgeführt werden, 
  • welcher Bereich von den Überwachungsmaßnahmen erfasst werden soll,
  • welche Technik dabei verwendet wird,
  • was mit den gewonnenen Daten passiert und
  • ob der Betroffene einen ihm zurechenbaren Anlass für die Datenerhebung geschaffen hat (z. B durch eine Rechtsverletzung) oder ob diese anlasslos erfolgt.  

c)  Rechtfertigung des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch § 6 b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)

 

§ 6 b Bundesdatenschutzgesetz (BDSB) regelt die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen.

 

 

Auf sein Hausrecht nach § 6 b I Ziffer 2 BDSG kann A sich nicht berufen. Denn nach § 6 b II BDSG muss die Überwachung erkennbar gemacht werden. Ist sie erkennbar, kann jede*r frei entscheiden, den öffentlichen Raum zu betreten oder die Überwachung durch Fernbleiben zu vermeiden. Innerhalb eines Arbeitsverhältnisses besteht diese Wahlmöglichkeit aber gerade nicht. Vielmehr muss M am Arbeitsplatz erscheinen. Beim freiwilligen Besucher kann eine Einwilligung in die Überwachung unterstellt werden, nicht aber bei M.

 

 

Sofern A sich auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke beruft, muss das Gericht untersuchen, ob die Überwachung dafür erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Damit sind genau dieselben Fragen zu beantworten, die bereits hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gestellt wurden.

 

3)  Rechtswidrigkeit der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn M die Vorwürfe von A gar nicht bestreitet

 

Auch wenn M die Pflichtverletzung im Prozess einräumt, dürfen die Videoaufzeichnungen nicht stets und uneingeschränkt verwertet werden. (BAG vom 16.12.2010 2 AZR 485/08) Dazu müsste M zusätzlich in die prozessuale Verwertung der gewonnenen Informationen einwilligen. M’s Prozessvertreter*in sollte deshalb unmissverständlich klarstellen, dass M mit der Verwertung der Videoaufzeichnungen keineswegs einverstanden ist.

 

IV)  Verwertungsverbot bei Verletzung von Betriebsratsrechten

 

1) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.12.2007 

 

Nach § 87 I Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der Betriebsrat (BR) ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Deshalb können solche Maßnahmen nur erfolgen, wenn der Betriebsrat vorher seine Mitspracherechte ausüben konnte. Eine Möglichkeit, zur Mitwirkung ist der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung. Nehmen wir einmal an, A installiert Videokameras, ohne den Betriebsrat auch nur zu informieren. Kann er die Aufzeichnungen im Prozess als Beweismittel einsetzen? Oder führt sein Verstoß gegen das BetrVG zu einem Beweisverwertungsverbot?


Mit diesen Fragen hat sich das BAG in seiner Entscheidung vom 13.12.2007 (2 AZR 537/06) ausführlich auseinandergesetzt.


Zu Beginn stellt es fest, dass weder das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) noch die Zivilprozessordnung (ZPO) ein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot für mitbestimmungswidrig erlangte Informationen kennen. Außerdem muss nach Ansicht des Gerichts zwischen Erlangung eines Beweismittels und seiner Verwertung getrennt werden. 


So geht das Gericht davon aus, dass A zwar handelt rechtswidrig, wenn er den Betriebsrat nicht beteiligt. Er darf das Beweismittel aber trotz seines Verstoßes gegen das BetrVG im Prozess verwenden, weil „erhebliche systematische Argumente“ dafür sprechen. Welche Argumente dies sind, führt das Gericht nicht näher aus. Darüber hinaus stehen dem Betriebsrat nach Ansicht des BAG „kollektiv-rechtliche Sanktionen“ zur Verfügung, um A in die Schranken zu weisen. Gemeint sind damit § 23 III BetrVG sowie der allgemeine betriebsverfassungsrechtliche Unterlassungsanspruch. Eine darüber hinausgehende individual-prozessrechtliche Sanktionsmöglichkeit wie ein Beweisverwertungsverbot ist laut BAG nicht erforderlich, um die Rechte des Betriebsrates zu wahren.


Auch das Argument, § 87 I Nr. 6 BetrVG schütze unter anderem auch das Persönlichkeitsrecht der M, lässt das BAG nicht gelten. Wenn Persönlichkeitsrechte rechtswidrig verletzt sind, ergibt sich ein Verwertungsverbot bereits aus dieser Verletzung. In solchen Fällen kommt es nicht darauf an, ob zusätzlich ein Verstoß gegen das BetrVG vorliegt. Ist die Verwertung aber nach den allgemeinen Regeln zulässig, ändert alleine ein Verstoß gegen das BetrVG nach Auffassung des BAG daran grundsätzlich nichts.

 

2)  Anmerkungen zu dieser Entscheidung

 

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann nicht gefolgt werden. 


Nach § 2 I Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) arbeiten Arbeitgeber und Betriebsrat vertrauensvoll zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen. Solange sich beide Betriebsparteien an diesen Grundsatz halten, gibt es keine Probleme. Wenn aber der Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht verletzt, braucht der Betriebsrat wirksame Sanktionsmöglichkeiten, um den Arbeitgeber wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Die vom BAG genannten Alternativen reichen dazu nicht aus. Sowohl ein Vorgehen nach § 23 III BetrVG als auch der allgemeine Unterlassungsanspruch sind allein darauf gerichtet, zukünftig weitere Verletzungen kollektivrechtlicher Normen zu verhindern. Dies reicht zu einem wirksamen Schutz des Betriebsrates nicht aus. 


Angenommen, der Betriebsrat möchte eine Betriebsvereinbarung schließen, was bisher am Widerstand des A scheitert. Ihm behagen die vom Betriebsrat vorgeschlagenen Einschränkungen der Überwachungsmöglichkeiten nicht. 


Da es in der Folgezeit zu massiven Unterschlagungen kommt, entschließt sich A zum Einsatz von Überwachungskameras, ohne den Betriebsrat zu informieren. Erste nach einiger Zeit konkretisiert sich der Verdacht auf M, ohne dass M die Unterschlagungen sicher nachgewiesen werden können. A spricht M eine Verdachtskündigung aus, obwohl nach den aufgenommenen Bildern auch N als Täter*in in Betracht käme. Deshalb bleiben die Kameras in Betrieb. Erst Im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG erfährt der Betriebsrat von der Videoüberwachung. 


Wenn der Betriebsrat jetzt nach § 23 III BetrVG vorgeht oder den allgemeinen Unterlasungsanspruch geltend macht, kann er nur erreichen, dass A’s Dauer-Verstoß gegen § 87 I Nr. 6 BetrVG nach rechtskräftiger Entscheidung im Beschlussverfahren beendet wird. Selbst wenn der Betriebsrat den Weg des einstweiligen Rechtsschutzes wählt, wird es einige Zeit dauern, bis eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Bis dahin kann A die rechtswidrige Überwachung, mit der er unter Umständen vor Monaten begonnen hat, sanktionslos fortsetzen. Es entsteht also eine zeitliche Spanne, innerhalb derer der Betriebsrat trotz § 23 III BetrVG und des allgemeinen Unterlasungsanspruchs A’s Rechtsverletzungen macht- und schutzlos hinnehmen muss. Dies ist nur zu vermeiden, wenn A von vorne herein klar ist, dass er Beweismittel, die er uner Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Normen erlangt hat, im Prozess nicht verwerten darf. Nur ein Beweisverwertungsverbot ist in der Lage, die Rechte des Betriebsrates sicher und lückenlos zu gewährleisten.


Zudem sieht das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) an anderer Stelle durchaus individualrechtliche Konsequenzen vor, wenn der Arbeitgeber gegen kolllektivrechtliche Vorschriften verstößt. Hört er den Betriebsrat vor einer Kündigung nicht nach § 102 BetrVG an, folgt aus  § 102 I S. 3 BetrVG zwingend, dass die Kündigung unwirksam ist.