Als blind gilt auch, wem es kognitiv an der Möglichkeit zum Sehen fehlt. Das kann auch bei schwerer Demenz so sein. Copyright by vesnafoto / Fotolia
Als blind gilt auch, wem es kognitiv an der Möglichkeit zum Sehen fehlt. Das kann auch bei schwerer Demenz so sein. Copyright by vesnafoto / Fotolia

Vorab das Positive an der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG): Es bestätigt, dass auch bei Fällen schwerer Demenz eine Blindheit im Sinne des Blindengeldgesetzes vorliegen kann.
 
Nach dem Blindengeldgesetz liegt auch dann eine Blindheit vor, wenn eine gleich schwere Störung des Sehvermögens vorliegt.
 

Als blind gilt auch, wem es kognitiv an der Möglichkeit zum Sehen fehlt

Das ist nach dem BSG auch bei zerebralen Schäden ohne spezifische Sehstörung so, wenn es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" fehlt. Das hatte das BSG in einem Fall eines schwerst hirngeschädigten Kindes entschieden.
 
Von Blindheit im Sinne des Gesetzes sei auch bei der Klägerin auszugehen. Diese leidet an einer schweren Alzheimer-Demenz und ist nicht mehr in der Lage, körperlich und geistig etwas sinnvoll wahrzunehmen oder zu verarbeiten.
 
Das LSG Bayern hatte deshalb der Klägerin Blindengeld zugesprochen. Die verurteilte Behörde akzeptierte das Urteil nicht und legte Revision beim BSG ein.

Hierüber haben wir in der Vergangenheit bereits berichtet

Blindengeld dient dem Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen.

Das BSG bestätigt eine Blindheit der Klägerin im Sinne des Blindengeldgesetzes. Es führt seine Rechtsprechung allerdings auch fort und schränkt die Ansprüche ein. Der Zweck des Blindengeldes werde verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst bestehen kann.
 
Die Richter vermuten im Falle der Klägerin, dass angesichts ihrer fortschreitenden Demenz kein blindheitsbedingter Mehrbedarf entstehen kann. Das steht aber noch nicht fest. Da es für das LSG auf einen tatsächlichen oder möglichen Mehrbedarf der Klägerin nicht ankam, gab es dazu keine Aufklärung durch das Gericht. Das BSG ist aber keine Tatsachinstanz. Das bedeutet, es überprüft nur, ob die Landessozialgerichte das Recht richtig angewandt haben. Es kann aber nicht selbst ermitteln, sondern hat den von den Vorinstanzen ermittelten Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. 

BSG verweist die Sache zurück an das Bayerische Landessozialgericht

Das BSG hat den Rechtsstreit also in der Sache nicht entschieden.
 
Das Berufungsverfahren wird wiedereröffnet und die Richter beim LSG haben zu prüfen, ob aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes bei der Klägerin blindheitsbedingter Mehraufwand entstehen kann.
 

Blindengeld wird ohne den Nachweis eines konkreten Bedarfs pauschal gezahlt

Wer Blindengeld beansprucht, muss nicht nachweisen, ob und welche Aufwendungen er etwa zur Kontaktpflege, zur Teilnahme am kulturellen Leben oder Arbeitsleben im Einzelfall benötigt. Deshalb verwundert es, wenn das BSG nun die Frage nach einer Zweckverfehlung aufwirft.
 
Das BSG hält daran fest, dass es sich nicht verbindlich berechnen lässt, welcher Mehraufwand einem blinden Menschen wegen seines Leidens im Einzelfall entstehen kann. Aber: Der Grund für die pauschale Leistung liege darin, dass auf die Ermittlung des konkreten Mehrbedarfs sowie einer konkreten Ausgleichsfähigkeit verzichtet werden soll. Dennoch bliebe der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung. Und deshalb müsse man schauen, ob ein blindheitsbedingter Aufwand überhaupt bestehen kann.
 

BSG „schenkt“ der Verwaltung den Einwand der Zweckverfehlung

So kommt das BSG zu dem Schluss, es müsse den Behörden die Möglichkeit einräumen, gegen den Anspruch auf Blindengeld eine Zweckverfehlung einwendend zu können.
Das soll gelten, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen in keiner Weise auszugleichen ist.
 
Die Behörde, die den Einwand der Zweckverfehlung erklärt, muss die Tatsachen im Verfahren darlegen und beweisen. Der Einwand wird durch das Gericht überprüft.
 

Wann ist objektiv ein blindheitsbedingter Mehraufwand unmöglich?

Natürlich fragt man sich hier, bei welchen Krankheitsbildern davon auszugehen sein wird. Immerhin geht es im zugrundeliegenden Fall um eine schwere Demenz. Das BSG nennt aber als Beispiel, wann davon am ehesten auszugehen sein wird, nicht diese Krankheit, sondern Leiden wie dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma.
 
Offen bleibt letztlich also, wann objektiv ein blindheitsbedingter Mehraufwand nicht möglich ist und ob dies bei schwerer Demenz so ist.
Offen bleibt auch, ob die Klägerin Blindengeld erhalten wird. Das BSG meint, sie erfülle die Anspruchsvoraussetzungen, möglicherweise könne aber die Behörde den Anspruch mit dem Einwand der Zweckverfehlung zunichtemachen.
 
Für Klarheit dürfte das BSG mit seinem Urteil nicht gesorgt haben. Nun ist das Bayerische Landessozialgericht wieder an der Reihe. Es muss feststellen, ob bei der Klägerin angesichts ihrer fortschreitenden Demenz der Mangel an Sehvermögen noch in irgendeiner Art und Weise auszugleichen ist.
 
Über das zweitinstanzliche Urteil in diesem Verfahren hatten wir berichtet:

Blindengeld bei schwerer Demenz
Das vollständige Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.06.2018 ist hier nachzulesen.
 
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