Erfolgreicher Kampf um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben!
Erfolgreicher Kampf um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben!

Der 35 jährige Kläger leidet an einer Muskeldystrophie Typ Duchenne mit Geh- und Stehunfähigkeit sowie einer respiratorischen Insuffizienz mit der Notwendigkeit unterstützender Beatmung, ohne dass eine vollständige Beatmung oder eine assistierte Beatmung erforderlich wäre.

Überdies besteht bei ihm eine Schluckunfähigkeit und es ist eine Magensonde gelegt. Er ist Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100. Überdies wurden bei ihm die Nachteilsausgleiche "G", "aG", "B" und "H" und die Pflegestufe II festgestellt. Seit dem Jahr 1999 beschäftigt sich der Kläger, der den Hauptschulabschluss erreicht hat, mit Computern.
 

Kläger stellt erfolglos Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben


Im Februar 2014 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Er beantragte die Förderung für einen Fernkurs zum Webdesigner. Die Kosten für diesen Kurs sollten ca. 2.900 Euro betragen.

Die beklagte Bundesagentur  beauftragte den ärztlichen Dienst ihres Hauses Stellung dazu zu nehmen, ob dem Antrag des Antragstellers stattgegeben werden kann. Da der ärztliche Dienst zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine ausreichenden Tätigkeiten mehr leisten könne, lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der vom Antragsteller dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.
 

Gerichtlicher Gutachter hält Tätigkeit als Webdesigner für möglich


Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz. Das erstinstanzliche Gericht holte ein Sachverständigengutachten ein, wonach der Kläger in der Lage ist, den Computer sicher und zügig mit den Augen zu steuern.

Die Tätigkeit als Webdesigner hielt der Gutachter vom heimischen  Arbeitsplatz aus für täglich vier bis knapp über sechs Stunden für möglich. Überdies wies der Gutachter darauf hin, dass der Kläger hochintelligent und sehr motiviert sei. Das SG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte, zur Übernahme der Kosten für den Fernlehrgang.

Der Kläger, so die Richter*innen des SG Konstanz, habe als behinderter Mensch einen Anspruch auf die Förderung. Gefördert werden könnten nicht nur Ausbildungen, die zu einer abhängigen Beschäftigung in einem Betrieb führen, sondern auch solche, bei denen im Anschluss ein Beruf als Selbständiger ausgeübt werde. Da dies dem Kläger nach dem Gutachten möglich sei, war der Klage statt zugeben.
 

Beklagte legt Berufung ein da der behinderte Kläger nicht so schnell wie ein nicht behinderter Mensch arbeiten könne!


Gegen die Entscheidung des SG hat die Beklagte beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Sie begründete die Berufung damit, dass nach dem Sachverständigengutachten zwar davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger Arbeiten von wirtschaftlichem Wert leisten könne.

Gleichwohl müsse aber berücksichtigt werden, dass er mit der Augensteuerung nicht so schnell arbeiten könne wie ein nicht behinderter Mensch. Daher könne er nicht mindestens drei Stunden täglich den Beruf des Webdesigners unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben. Eine Ausbildung, die nur zu einer selbständigen Tätigkeit führe, sei nicht förderungswürdig.
 

Landessozialgericht bestätigt Entscheidung des Sozialgerichts


Das LSG Rheinland-Pfalz hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Als schwerbehinderter Mensch könne der Kläger grundsätzlich entsprechende Leistungen beanspruchen. Durch das Sachverständigengutachten sei seine zukünftige potentielle Leistungsfähigkeit auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt.

Gerade die Tätigkeit als Webdesigner könne regelmäßig von zu Hause ausgeübt werden. Ohne wesentliche Einschränkung könne der Kläger telefonisch kommunizieren und den Computer auch hinreichend schnell mit den Augen steuern, so dass eine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit möglich sei. Da die Beklagte keine günstigere und in gleicher Weise geeignete Ausbildungsmöglichkeit habe benennen können, müsse sie die angestrebte Ausbildung finanzieren.


Pressemeldung des Landessozialgericht Rheinland-Pfalz vom 28.10.2016

Das sagen wir dazu:

Die durch das LSG bestätigte Entscheidung des SG ist begrüßenswert. Zeigt doch dieser Fall einmal mehr, wie schnell schwerbehinderte Menschen als nicht (mehr) leistungsfähig eingestuft werden, wenn Behinderungen festgestellt sind, die auf den ersten Blick eine geminderte Leistungsfähigkeit vermuten lassen.
 
Auch in dieser Sache ist anzunehmen, dass der für Bundesagentur für Arbeit beauftragte Gutachter deshalb zu dem für den Kläger negativen Ergebnis kam, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine ausreichenden Tätigkeiten mehr leisten kann, da ein Gutachten nach Aktenlage erstellt wurde.
 
Denn hätte der Gutachter eine Untersuchung des Antragstellers in dessen Wohn- und zukünftigen Arbeitsumfeld vorgenommen, so wäre er, entsprechende fachliche Qualifikation vorausgesetzt, sicherlich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kosten für die begehrte Ausbildung zu übernehmen sind und dem Kläger wäre der mühselige Weg durch die Instanzen erspart geblieben.

Rechtliche Grundlagen

Auszug aus Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

SGB IX § 4 Leistungen zur Teilhabe

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,

2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,

3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder

4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalls so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit nicht behinderten Kindern betreut werden können. Dabei werden behinderte Kinder alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.


SGB IX § 5 Leistungsgruppen

Zur Teilhabe werden erbracht

1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,

2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,

3. unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen,

4. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.


SGB IX § 6 Rehabilitationsträger

(1) Träger der Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger) können sein

1. die gesetzlichen Krankenkassen für Leistungen nach § 5 Nr. 1 und 3,

2. die Bundesagentur für Arbeit für Leistungen nach § 5 Nr. 2 und 3,

3. die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für Leistungen nach § 5 Nr. 1 bis 4,

4. die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für Leistungen nach § 5 Nr. 1 bis 3, der Träger der Alterssicherung der Landwirte für Leistungen nach § 5 Nr. 1 und 3,

5. die Träger der Kriegsopferversorgung und die Träger der Kriegsopferfürsorge im Rahmen des Rechts der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden für Leistungen nach § 5 Nr. 1 bis 4,

6. die Träger der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen nach § 5 Nr. 1, 2 und 4,

7. die Träger der Sozialhilfe für Leistungen nach § 5 Nr. 1, 2 und 4.

(2) Die Rehabilitationsträger nehmen ihre Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahr.