Sozialgericht spricht Merkzeichen für außergewöhnliche Gehbehinderung bei Beeinträchtigungen von Herz und Lunge zu
Sozialgericht spricht Merkzeichen für außergewöhnliche Gehbehinderung bei Beeinträchtigungen von Herz und Lunge zu

Mit der Entscheidung vom Sozialgericht Detmold war nicht unbedingt zu rechnen. Denn der zum Sachverständigen bestellte Arzt kam zu dem Ergebnis, dass keine außergewöhnliche Gehbehinderung beim Kläger vorliegt. Und zumeist halten die Richter sich an die Gutachten.

Gericht zieht eigene Schlüsse aus dem Sachverständigengutachten

In diesem Fall hat der Vorsitzende Richter zum Glück sehr genau hingeschaut und das Anliegen des Klägers nicht mit dem Ergebnis des Gutachtens abgetan. Die Entscheidung hat der Richter auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens getroffen, dabei aber aus den Untersuchungsergebnissen einen anderen Schluss gezogen als der Sachverständige.

Denn aus den Feststellungen des Arztes erschließt sich nach der Kammer eine außergewöhnliche Gehbehinderung beim Kläger. Auch wenn die Bewertung im Gutachten zum Teil widersprüchlich ist, so „lassen die im Gutachten dargelegten Befunderhebungen für die Kammer keinen Zweifel daran, dass beim Kläger eine außergewöhnliche Einschränkung des Gehens schwersten Maßes gegeben ist“.

Dafür war unter anderem maßgeblich, dass der 80-jährige Kläger im Belastungstest und in der Gehtestung nur etwa 20 % der Soll-Leistung eines gesunden Menschen seines Alters erreichte.

Ziel: Parken auf Parkplätzen, die mit dem Rollstuhlsymbol gekennzeichnet sind

Hauptziel des Klägers ist die Möglichkeit, auf den besonders ausgewiesenen Parkplätzen (so genannte Behindertenparkplätze) zu parken, um Dinge des Alltags wie Einkauf und Arztbesuche bewältigen zu können. Den dafür erforderlichen blauen Parkausweis erhalten blinde Menschen (Merkzeichen Bl) und Menschen mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen aG). Das Merkzeichen aG wird anerkannt, wenn die Fortbewegung wegen außergewöhnlicher Behinderung beim Gehen auf das schwerste eingeschränkt ist. Das trifft bei Personen zu, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Hierzu zählen vor allem Querschnittgelähmte und Doppeloberschenkelamputierte. Der Kläger hat keine solche Funktionseinschränkung.

Außergewöhnliche Gehbehinderung bei inneren Erkrankungen

Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung können darüber hinaus andere Schwerbehinderte gelten, die aufgrund innerer Erkrankungen dem Personenkreis der Querschnittsgelähmten etc. gleichzustellen sind. Zu den Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen können, gehören Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades.

Allen Regelbeispielen ist gemeinsam, dass Funktionsstörungen mit einem Mindest-GdB von 80 vorliegen müssen, die sich gravierend auf die Fortbewegungsfähigkeit auswirken.

Beim Kläger liegen zahlreiche Gesundheitsstörungen vor, die insgesamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 bedingen. Unter anderem liegt eine Herz- und Kreislaufstörung vor (Einzel-GdB 60), eine Lungenfunktionsstörung (GdB 50) und eine Funktionsstörung des Skelettsystems (Einzel-GdB 30).

Gesundheitsstörungen an Herz und Lunge wirken sich in Kombination schlecht aus

Die Gesundheitsstörungen im Bereich der Lunge und des Herz-Kreislaufsystems wirken sich ungünstig in ihrer Kombination aus. Davon sind die Sozialrichter aufgrund der medizinischen Unterlagen überzeugt.

Wegen dem Zusammenspiel dieser Erkrankungen hat das Gericht die außergewöhnliche Gehbehinderung bejaht.

Das Urteil führt aus, es liege beim Kläger keins zur Zuerkennung des Merkzeichens aG führendes Regelbeispiel vor. Aber er sei im Hinblick auf seinen Gesamtzustand Menschen, bei denen ein solches gegeben ist, gleichzustellen.

Das vollständige Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 06.01.2017 können Sie hier nachlesen.

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Das sagen wir dazu:

Eine erfreuliche Entscheidung! Für den Kläger, der lange Verfahren führen und eine quälende Begutachtung über sich ergehen lassen musste, um sein Ziel der Parkerleichterung zu erreichen. Die Stadt Warburg hatte ihm für einige Jahre eine Ausnahmegenehmigung für das Parken erteilt, ab 2015 dann nicht mehr. Ein Verfahren hiergegen war erfolglos. 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann vom Kreis Höxter mit der Berufung 
angegriffen werden. Wir hoffen aber, dass die leidvolle Erfahrung für das IG Metall-Mitglied abgeschlossen ist. 

Bei Erkrankungen der inneren Organe entscheidet der medizinische Einzelfall

Die Entscheidung ist auch für uns erfreulich, die wir häufig solche Konstellationen wie beim Kläger vorliegen haben und das Merkzeichen aG nicht erstreiten können. Oft haben wir damit argumentiert, dass zwar kein Einzel-GdB von 80 für eine Erkrankung der Lunge oder des Herzens vorliegt, wohl aber Erkrankungen von Lunge und Herz mit Einzelwerten von 50 oder mehr und es auf das Zusammenwirken der Gesundheitsstörungen ankommt. In diesem Fall hat sich das Gericht der Argumentation nicht verschlossen, was Hoffnung für andere Verfahren macht. 

Allerdings muss immer auf den Einzelfall und die jeweiligen Umstände geschaut werden. Bei der Einschätzung darf nicht pauschalisiert werden. Die Kammer stellt darauf ab, dass sich die Gesundheitsstörungen ungünstig in ihrer Kombination auswirken, da die Lungenfunktionsstörung die funktionale Auswirkung der Herzschwäche potenziert. Das wird genau anhand der medizinischen Unterlagen und dem speziellen Krankheitsbild des Klägers begründet und kann nicht pauschal angenommen werden, wenn Herz und Lunge betroffen sind. 

Gericht erlegt Kreis Höxter die Gutachterkosten auf

Nicht unerwähnt bleiben soll, wie das Gericht den Kreis Höxter für sein Nichtstun abgestraft hat. Da dieser im Widerspruchsverfahren den medizinischen Sachverhalt nicht aufgeklärt hatte, muss er die Kosten des im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachtens tragen. Auch das erleben wir nicht alle Tage. Vielleicht wäre die Kostenentscheidung so nicht erfolgt, wenn der Kreis Höxter einen Vertreter in den Gerichtstermin geschickt hätte. Es erschien aber niemand und dies unentschuldigt.