Erfolgreich vor dem Bundessozialgericht - Angelika Kapeller und Bertold Brücher (Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht)
Erfolgreich vor dem Bundessozialgericht - Angelika Kapeller und Bertold Brücher (Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht)

In dem vom Bundessozialgericht (Bundessozialgericht) am 20.07.2017 entschiedenen Fall hatte ein Arbeitnehmer geklagt, dem bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ab "Erreichen des 55. Lebensjahres die Betriebsrente von 1327,55 DM monatlich" zugesagt worden war. Ab Dezember 1998 wurden die Überbrückungsleistungen laufend ausgezahlt.

Einige Zeit später nahm der Kläger eine andere versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Seit Beginn seiner Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zahlt er auf die Betriebsrente Krankenversicherungsbeiträge.

Krankenkasse verlangt Beiträge für die Zeit vor Rentenbeginn

Die Krankenkasse verlangte von dem Kläger Beitragsnachzahlungen für die Zeit vor Rentenbeginn. Widerspruch und Klage beim Sozialgericht Duisburg blieben erfolglos.

Auch die gegen die erstinstanzliche Entscheidung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung war nicht von Erfolg gekrönt. Mit Urteil vom 26.01.2014 wies das Landessozialgericht die Berufung des Klägers zurück. Die Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen, sodass der direkte Weg in die Revisionsinstanz abgeschnitten wurde.

Offenkundig waren sich die Richter des 1. Senats des Landessozialgerichts NRW sich ihrer Rechtsauffassung so sicher, dass sie eine Überprüfung ihrer Entscheidung durch das Bundessozialgericht nicht für angezeigt erhielten. Wie sonst lässt sich die Nichtzulassung der Revision erklären?

Nichtzulassungsbeschwerde macht den Weg frei zum Bundessozialgericht (BSG)

„Not amused“ darüber, dass das Landessozialgericht die Revision zum Bundessozialgericht nicht zuließ war Bertold Brücher, seinerzeit zuständiger Sozialrechtsexperte beim Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH, in Kassel.

Nach Kenntnis der Landessozialgerichts  - Entscheidung kam er zu dem Ergebnis, dass die Sache von grundsätzlicher Bedeutung sei und legte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht ein.

Mit Beschluss vom 30.09.2015 ließ der 12. Senat des Bundessozialgericht die Revision zu, da auch die Richter*innen dieses Senats die grundsätzliche Bedeutung erkannten.

Bei unbefristeten Leistungen keine Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen

Mit Urteil vom 20.07.2017 hat das Bundessozialgericht der Revision stattgegeben und entschieden, dass es sich bei der Betriebsrente aus der Direktzusage bis zum Beginn der Altersrente nicht um einen Versorgungsbezug handelt, der in der Gesetzliche Krankenversicherung beitragspflichtig ist.

Damit, so Angelika Kapeller, die die Interessen des Klägers in der Revisionsverhandlung vertrat, „hat das Bundessozialgericht seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2015 fortentwickelt, wonach Leistungen, die ein Arbeitgeber an einen Arbeitnehmer nach dessen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zur Überbrückung der Zeit bis zum Renteneintritt zahlt, keine beitragspflichtigen Versorgungbezüge sind“

Voraussetzung hierfür sei, dass für den Leistungsbeginn auf ein Lebensalter abgestellt wird, das nach der Verkehrsanschauung typischerweise nicht schon als Beginn des Ruhestands gelten kann. Überdies sei diese Zuwendung bis zum Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand befristet.

Durch die Entscheidung vom 20.07.2107 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass auch auf unbefristete Leistungen keine Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen sind, solange der Überbrückungszweck der Leistung im Vordergrund steht. Dies gelte nach Auffassung des Bundessozialgericht bis zum Renteneintritt, längstens aber bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze.

Beitragspflicht greift in die allgemeine Handlungsfreiheit ein

Nach Auffassung des 12. Senats greife die Versicherungs- und Beitragspflicht in der Gesetzliche Krankenversicherung in die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz) ein.

Dieser Eingriff sei dem Gebot grundrechtsschonender Auslegung entsprechend möglichst gering zu halten und das Gesetz folglich dahin auszulegen, dass auch unbefristete, über den Renteneintritt hinaus gezahlte Arbeitgeberleistungen solange keine Versorgungsbezüge und daher beitragsfrei seien, als sie vorrangig einem Überbrückungs- und keinem Versorgungszweck dienten. Mit dem Beginn des tatsächlichen Rentenbezugs sowie der gesetzlich festgelegten Regelaltersgrenze liegen, so der Senat, zudem einfach festzustellende Merkmale vor, an welche die Krankenkassen im Rahmen der Massenverwaltung für das Ende der Beitragsfreiheit solcher Leistungen anknüpfen können.

Hier finden Sie den Terminbericht des Bundessozialgerichts vom 21.07.2017
Hier finden Sie die Entscheidung des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2014, Az: L 1 KR 199/12
Hier geht es zum Beschluss des Bundessozialgerichts vom 30.09.2015, Az: B 12 KR 28/14 B, durch den die Revision zugelassen wurde. 

Das sagen wir dazu:

Beschwerlicher Weg in die Revisionsinstanz

 

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

 

  • die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das heißt, ungeklärte Rechtsfragen aufwirft und über den Einzelfall hinaus von allgemeinem Interesse ist oder
  • das Urteil der Vorinstanz von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  • ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, der auf das Ergebnis durchschlägt (dieser Zulassungsgrund kommt nur bei der Nichtzulassungsbeschwerde in Betracht). Es können jedoch nicht sämtliche Verfahrensfehler geltend gemacht werden. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblich sind: eine Verletzung des § 109 Sozialgerichtsgesetz (Anhörung eines bestimmten Arztes bei der Aufklärung eines medizinischen Sachverhaltes) oder des § 128 Absatz 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (Überschreiten der Grenzen der freien Beweiswürdigung). Auf eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz (Pflicht zur Erforschung des Sachverhaltes von Amts wegen) kann der geltend gemachte Verfahrensfehler nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

 

Allein mit der Behauptung, das Urteil des Landessozialgerichts sei falsch, kann die Zulassung der Revision also nicht erreicht werden. 

 

Wenn die Revision nicht bereits vom Sozialgericht oder Landessozialgericht zugelassen ist, so stellt das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht eine - wie die Erfahrung zeigt - nur schwer zu überwindende Hürde dar. Nur rund 3 % aller Nichtzulassungsbeschwerden führen zur Zulassung der Revision.

 

Vor dem Hintergrund dieser nicht gerade rosigen "Erfolgschancen" wird einmal mehr deutlich, dass die Einlegung und Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur gut überlegt, sondern auch im Hinblick auf die formalen Voraussetzungen gut zu begründen ist. 

Rechtliche Grundlagen

§ 160a Sozialgerichtsgesetz (Nichtzulassungsbeschwerde)

§ 160a Sozialgerichtsgesetz
(1) 1Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. 2Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. 3Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. 4Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.
(2) 1Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. 2Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. 3In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(4) 1Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. 2Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. 3Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. 4Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.
(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.