Die Geräuschkulisse in Kindertagesstätten ist oft sehr hoch. Copyright by Adobe Stock/Robert Kneschke
Die Geräuschkulisse in Kindertagesstätten ist oft sehr hoch. Copyright by Adobe Stock/Robert Kneschke

Die 54-jährige Klägerin des Verfahrens vor dem Sozialgericht Ulm leidet an einer Hörminderung. Sie arbeitet als Erzieherin in einer integrativen Kindertagesstätte. Dort werden insgesamt 80 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren in einem „offenen Konzept“ betreut.
 

Die Klägerin unterstützt die Kinder beim Erwerb der deutschen Sprache

Als Erzieherin arbeitet sie regelmäßig alleine mit einzelnen Kindern, mit größeren und kleineren Gruppen und hat dabei die volle Verantwortung für die Aufsicht über die Kinder.
 
Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie Hörgeräte. Die Krankenkasse war der Auffassung, sie sei für die Entscheidung nicht zuständig und leitete den Antrag an die Rentenversicherung weiter. Die beantragten Hörgeräte verfügten über Zusatzausstattungen, die die Klägerin aus beruflichen Gründen benötige. Das falle in den Zuständigkeitsbereich der Rentenversicherung.
 

Die Rentenversicherung lehnt den Antrag ab

Die Rentenversicherung wollte ebenfalls nicht zahlen. Die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht erfüllt. Die Anforderungen an das Hörvermögen einer Erzieherin seien nicht besonders ausgeprägt. Es gebe keine spezifisch berufsbedingte Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung.
 
Die persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch fordere auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen nur ein Hörvermögen, das bei nahezu jeder Berufsausübung notwendig sei. Die Klägerin könne deshalb keine spezifische berufsbedingte Bedarfslage begründen.
 

Die Rentenversicherung stellt auf den unmittelbaren Behinderungsausgleich ab

Die von der Klägerin beantragten Hörhilfen dienten damit nur dem unmittelbaren Behinderungsausgleich mit dem Ziel der Angleichung des Hörvermögens an dasjenige gesunder Menschen.
 
Der Bescheid überzeugte die Klägerin nicht. Das DGB Rechtsschutzbüro Ulm nahm sich der Sache an. Nachdem die Rentenversicherung auch einen negativen Widerspruchsbescheid erteilt hatte, kam es zum Klageverfahren vor dem Sozialgericht.
 

Das Gericht folgte den Argumenten des DGB Rechtsschutzbüros Ulm

Das Gericht stellte die Rechtswidrigkeit der Bescheide fest. Die Klägerin habe sich zwischenzeitlich die gewünschten Hörgeräte zwar selbst besorgt. Da die Rentenversicherung diese Versorgung jedoch zu Unrecht abgelehnt habe, stehe ihr nun ein Anspruch auf Kostenerstattung zu.
 
Die Krankenkasse habe den Antrag der Klägerin ordnungsgemäß an die Rentenversicherung weitergeleitet. Die Rentenversicherung erbringe nach dem Gesetz Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit vorzubeugen.
 
Dadurch solle die Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verhindert und sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben eingegliedert werden.
 

Hörgeräte verbessern Erwerbsfähigkeit

Die Versorgung mit Hörgeräten sei eine Form der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Dadurch würden Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit vermieden, überwunden oder gemindert.
 
Zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen gehörten auch Hilfsmittel, die erforderlich seien, um eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, sofern sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens angesehen werden müssten.
 

Die Rentenversicherung muss Nachteile am Arbeitsplatz ausgleichen

Die gesetzliche Rentenversicherung habe dabei die Aufgabe, insbesondere berufsbedingte Nachteile gerade am Arbeitsplatz auszugleichen. Die Klägerin sei als Erzieherin in einer integrativen Tageseinrichtung mit 80 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren tätig. Sie trage dort die Verantwortung für die Betreuung, Erziehung und Bildung der Kinder.
 
Die Klägerin müsse alle Kinder kennen, weil die Einrichtung ein "offenes Konzept" verfolge, wo die Kinder selbstständig die unterschiedlichen Räume der Einrichtung aufsuchen könnten. Sie müsse auf deren individuelle Bedürfnisse eingehen können. Das gelte selbst dann, wenn die Arbeit überwiegend in kleineren Gruppen stattfinde.
 

Die Klägerin muss Kinder in ihrer Sprachentwicklung fördern

Die Betreuung der Kinder mit Behinderungen und deren Integration stellten erhöhte Anforderungen an das Hörvermögen. Gerade diese Kinder müsse die Klägerin in ihrer Sprachentwicklung besonders fördern.
 
Die Rentenversicherung habe dabei zu berücksichtigen, dass es sich bei den von der Klägerin zu betreuenden Kindern um eine Altersgruppe handele, deren Sprache noch nicht vollständig ausgebildet sei.
 
Die Klägerin unterstütze die Kinder durch Interaktion, Dialog und Kommunikation beim Erwerb und der Festigung der deutschen Sprache. Sie erweitere deren Wortschatz und unterstütze sie in der Grammatik.
 

Die Kommunikationsfähigkeit von Kleinkindern ist eingeschränkt

Zwar arbeite die Klägerin überwiegend in kleineren Gruppen, aus Sicht des Gerichts sei jedoch die Altersgruppe der Kinder und deren noch eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit von besonderer Bedeutung. Als Erzieherin müsse die Kläger auch bei unterschiedlicher Geräuschkulisse jederzeit in der Lage sein, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen.
 
Die Klägerin habe sich für ein Hörgerät mit insgesamt 16 Kanälen entschieden. Dass gerade diese Einstellung sich als unerlässlich erwiesen habe, sei für das Gericht nachvollziehbar. Die Rentenversicherung müsse der Klägerin deshalb die Kosten für die selbst beschafften Hörgeräte erstatten.

Hier geht es zum Urteil
 
Lesen Sie zur Versorgung mit Hörgeräten mehr:
Gleiches Hörgerät für alle?