Infolge eines mit 20 Jahren erlittenen Unfalls ist ein 1958 geborener Versicherter querschnittsgelähmt und mit einem Faltrollstuhl ausgestattet. Bei seiner Krankenkasse beantragte er die Versorgung mit einem Handbike - einer elektrischen Rollstuhlzughilfe mit Handkurbelunterstützung, welche an den Faltrollstuhl angekoppelt werden kann. Er begründete seinen Antrag damit, dass er ohne dieses Hilfsmittel Bordsteinkanten nicht überwinden und auch keine Gefällstrecken befahren könne. Auch sei das begehrte Hilfsmittel geeignet, seine Beweglichkeit und Muskelverspannungen im Schulter-Arm-Bereich zu reduzieren. Des Weiteren verwies er darauf, dass er das Handbike selbstständig an den Faltrollstuhl ankoppeln könne.

Krankenkasse bietet Elektrorollstuhl an

Das Angebot der Krankenkasse ihn mit einen Elektrorollstuhl zu versorgen (Kosten etwa 5.000 Euro) lehnte der Versicherte ab, da er bei dessen Nutzung auf eine entsprechend qualifizierte Hilfskraft angewiesen sei, die ihn beim Umsetzen unterstützen müsse.

Nach dem die Krankenkasse nicht bereit war die Kosten für ein Handbike zu übernehmen (Kosten etwa 8.600 Euro) erhob er Klage beim Sozialgericht (SG).

Versicherter in zwei Instanzen erfolgreich

Die Richter*innen des Sozial- und Landessozialgerichts kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass der Versicherte Anspruch auf Versorgung mit der begehrten elektrischen Rollstuhlzughilfe hat. Versicherte, so dass Hessische Landesozialgericht (LSG), haben Anspruch auf Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Das Grundbedürfnis nach Mobilität sei durch Erschließung des Nahbereichs zu ermöglichen. Hierbei sei insbesondere das gesetzliche Teilhabeziel, ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen, zu beachten. Der Behinderungsausgleich mittels Hilfsmittel sei nicht auf einen Basisausgleich beschränkt.

Handbike ermöglicht Bewegung ohne fremde Hilfe

Entgegen der Auffassung der beklagten Krankenkasse könne der Versicherte nicht im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot auf den von dieser angebotenen Elektrorollstuhl verwiesen werden. Denn diesen könne er nur nutzen, wenn er von einer Pflegekraft entsprechend umgesetzt werde.

LSG: Die Versorgung mit einem Handbike überschreitet nicht das Maß des Notwendigen

In seiner Entscheidung weist das Berufungsgericht darauf hin, dass der querschnittsgelähmte Mann keine Greifkraft in den Händen habe, mit welcher er beim Befahren z.B. von Bordsteinkanten die erforderlichen Kippbewegungen des

Rollstuhls ausführen und auf Gefällstrecken bremsen könnte. Mit dem motorisierten Handbike aber sei es ihm möglich, Bordsteinkanten und andere Hindernisse zu überwinden. Auch könne er das Handbike ohne fremde Hilfe direkt an den Faltrollstuhl anbringen. Bei anderen von der Krankenkasse angebotenen Rollstuhlzughilfen sei er hingegen für die Montage auf fremde Hilfe angewiesen. Damit lägen keine Anzeichen dafür vor, dass eine Versorgung mit einem Handbike das Maß des Notwendigen überschreite.

Die Revision zum Bundessozialgericht wurde durch das Hessische LSG nicht zugelassen.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Landesozialgerichts Hessen:

 

 

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus Sozialgesetzbuch V, IX, Grundgesetz und UN-Behindertenrechtskonvention

§ 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. (…) Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen
.
§ 12 SGB V

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

§ 11 SGB V

(2) (…) Die Leistungen nach Satz 1 werden unter Beachtung des Neunten Buches erbracht, soweit in diesem Buch nichts anderes bestimmt ist.

§ 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)

(1) Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. (…)

§ 8 SGB IX

(1) Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen.
(…)
Art. 3 Grundgesetz (GG)

(3) (…) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Art. 20 UN-Behindertenrechtskonvention – Persönliche Mobilität

Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen (…)