Krankengeld ausnahmsweise auch bei verspäteter Krankmeldung? Copyright by Adobe Stock/Marco Drux
Krankengeld ausnahmsweise auch bei verspäteter Krankmeldung? Copyright by Adobe Stock/Marco Drux

Eine Versicherte, die zunächst Arbeitslosengeld bezog, erkrankte 2018 arbeitsunfähig und erhielt Krankengeld. Das Ende der bescheinigten AU fiel auf einen Freitag. Am darauf folgenden Montagmorgen versuchte sie telefonisch mit der Arztpraxis einen Termin für den gleichen Tag zu vereinbaren, was nicht gelang. Sie erfuhr, dass ihr Arzt in Urlaub sei. Bei dem Vertretungsarzt könne sie erst am Mittwoch vorstellig werden. Am Mittwoch bescheinigte der Vertretungsarzt der Versicherten fortdauernde AU.
 
In einem weiteren ähnlich gelagerten Verfahren wurde eine Versicherte telefonisch von ihrem Hausarzt aus organisatorischen Gründen auf einen späteren Termin verwiesen.
 
Weil keine lückenlose AU festgestellt worden sei, lehnten die jeweiligen Krankenkassen in beiden Fällen weitere Krankengeldzahlungen ab.
 

Arzttermin „auf Vorrat“ nicht erforderlich - „Arzt-Hopping“ gesetzlich unerwünscht

Mit seinen Entscheidungen vom 22. Dezember 2020 gab das Landessozialgericht (LSG) Hessen beiden Versicherten Recht. Die Krankenkassen wurden zur Zahlung von Krankengeld für einen Zeitraum von 5 bzw. fast 12 Monaten verurteilt.
 
Es sei zwar zutreffend, so das LSG, dass die Fortdauer der AU spätestens am nächsten Werktag nach dem Ende der zuletzt festgestellten AU ärztlich bescheinigt werden müsse. Wenn der Versicherte jedoch alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan habe, die ärztliche Bescheinigung zu erhalten, sei ausnahmsweise eine Bescheinigungslücke unschädlich. Von dem Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls sei dann auszugehen, wenn der rechtzeitig vereinbarte Termin von der Arztpraxis verschoben worden sei. In gleicher Weise gelte dies auch dann, wenn die Arztpraxis dem Versicherten nur einen späteren Termin anbiete. Hiervon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn der Versicherte bereits am Morgen um einen Termin für den gleichen Tag nachfrage. Erhalte der Versicherte an diesem Tag keinen rechtzeitigen Arzttermin, so sei ihm nicht zuzumuten, einen anderen Arzt oder gar den ärztlichen Notdienst aufzusuchen. Ein „Arzt-Hopping“ sei gesetzlich nicht erwünscht. Auch könne von dem Versicherten nicht verlangt werden, dass er sich bereits Tage vorher „auf Vorrat“ um einen Arzttermin bemühe.
 

LSG: Verantwortung liegt bei den Krankenkassen

Dass der Arzttermin nicht rechtzeitig erfolge, falle in den genannten Konstellationen in die Sphäre des Vertragsarztes und sei damit der Krankenkasse zuzurechnen. Das Hessische LSG verwies des Weiteren darauf, dass die AU-Richtlinie missverständlich formuliert sei, da sie den Vertragsärzten - entgegen der gesetzlichen Regelung - ausdrücklich eine zeitlich begrenzte Rückdatierung der AU erlaube. Eine daraus resultierende Fehlvorstellung von Vertragsärzten sei den Krankenkassen zuzurechnen, da diese als maßgebliche Akteure über den Gemeinsamen Bundesausschuss an der Formulierung der AU-Richtlinie mitwirkten.
 
Die Revision zum Bundessozialgericht wurde in beiden Fällen durch das LSG Hessen nicht zugelassen.
 
 
Hier geht es zur PM des LSG Hessen vom 22.12.2020

Rechtliche Grundlagen

Voraussetzungen für Anspruch auf Krankengeld

Für Beschäftigte führt eine verspätete Feststellung der AU lediglich zu einem kurzfristigen Wegfall des Krankengeldanspruchs. Für Versicherte, deren Mitgliedschaft - wie in den dargestellten Fällen - nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, konnte dagegen nach der bis zum 10.05.2019 gültigen Rechtslage der Anspruch auf Krankengeld langfristig entfallen, wenn die AU wenige Tage zu spät festgestellt wurde.
Gemäß § 46 Satz 3 SGB V in der ab dem 11.05.2019 gültigen Fassung bleibt der Anspruch auf Krankengeld nunmehr auch dann bestehen, wenn die weitere AU wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird.
§ 46 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der bis zum 10.05.2019 gültigen Fassung
(1) Der Anspruch auf Krankengeld entsteht
1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (…) von ihrem Beginn an,
2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.
Der Anspruch auf Krankengeld bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. (…)
§ 46 SGB V in der ab dem 11.05.2019 gültigen Fassung
(1) Der Anspruch auf Krankengeld entsteht
1. bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (…) von ihrem Beginn an,
2. im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.
Der Anspruch auf Krankengeld bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. Für Versicherte, deren Mitgliedschaft nach § 192 Absatz 1 Nummer 2 vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, bleibt der Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen, wenn die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag im Sinne von Satz 2, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird.
§ 192 SGB V
(1) Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bleibt erhalten, solange
1. (…)
2. Anspruch auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld besteht (…)
§ 76 SGB V
(3) Die Versicherten sollen den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt innerhalb eines Kalendervierteljahres nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln. (…)