Immunglobuline spielen eine zentrale Rolle in der menschlichen Immunabwehr. Pharmazeutische Konzentrate hiervon können bei vielen Erkrankungen eingesetzt werden. Copyright by Adobe Stock/fotoliaxrend
Immunglobuline spielen eine zentrale Rolle in der menschlichen Immunabwehr. Pharmazeutische Konzentrate hiervon können bei vielen Erkrankungen eingesetzt werden. Copyright by Adobe Stock/fotoliaxrend

Die behandelnden Ärzte des Klägers diagnostizierten nach eingehenden Untersuchungen eine fortschreitende umfassende Sensibilitätsstörungen der unteren Extremitäten des Klägers. Sie bezeichneten diese als „Ganglionitis". Das ist eine Entzündung der Nervenknoten. Aufgrund des Krankheit-und Behandlungsverlaufes schlugen sie eine Behandlung mittels Immunglobulinen vor.
 

Die Behandlung einer Ganglionitis mit Immunglobulinen

Immunglobuline spielen eine starke Rolle in der Immunabwehr des Menschen. In einer Therapie können speziell gewonnene Konzentrate aus Immunglobulinen helfen. Diese sind jedoch üblicherweise arzneimittelrechtlich nicht zugelassen.
 
Nachdem der Kläger beantragt hatte, die Kosten für diese Behandlung zu übernehmen, wies seine Kasse darauf hin, dass intravenös verabreichte Immunglobuline zur Behandlung einer Ganglionitis nicht zugelassen seien. Sie lehnte den Antrag des Klägers deshalb ab.
 

Plötzlich änderte sich die Diagnose

Der Kläger führte die Behandlung dennoch durch. Sein Gesundheitszustand besserte sich anschließend auch. Die Therapie zeigte eine positive Wirkung. Dennoch blieb es bei der Ablehnung der Krankenkasse. Die Behandlung zog sich über mehrere Jahre hin. Irgendwann änderten die Ärzte allerdings die Diagnose.
 
Sie stellten beim Kläger eine andere, seltene Krankheit fest. Bei ihm lägen die Strukturen im Bereich der Nervenknoten des Wirbelkanals sehr eng zusammen. Es handele sich um ein Leiden mit schwerwiegendem Verlauf, bei dem eine andere Therapie nicht verfügbar sei. Hier rechtfertige sich der Einsatz der Immunglobulin-Therapie.
 

Die Kasse muss normalerweise eine Sachleistung erbringen

Die Darmstädter Richter verwiesen in ihrer Entscheidung darauf, ein Versicherter habe Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten, wenn die Krankenkasse eine unausführbare Leistung nicht rechtzeitig hatte erbringen können oder zu Unrecht abgelehnt habe. Die Krankenkasse müsse aber nur die notwendigen Kosten übernehmen.
 
Normalerweise sehe das Gesetz vor, dass die Kassen eine Sachleistung erbringen. Könne die Kasse jedoch eine notwendige Behandlung nicht rechtzeitig  zur Verfügung stellen, sehe es anders aus. Statt der Sachleistung müsse sie dann die Kosten übernehmen.
 

Die Sachleistung wurde zu Unrecht abgelehnt

Hier hätte die Kasse es zu Unrecht abgelehnt, die Kosten der Versorgung mit Immunglobulinen zu tragen. Nach dem Gesetz seien Krankenversicherungen verpflichtet, notwendige Behandlungen zu übernehmen. Notwendig seien Behandlungen, wenn damit eine Krankheit erkannt, geheilt, ihre Verschlimmerung verhütet oder Krankheitsbeschwerden gelindert werden könnten. Zur Krankenbehandlung gehöre auch die Versorgung mit Arzneimitteln.
 
Verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel müssten allerdings eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Krankheit haben, im Rahmen derer sie angewendet werden sollten. Fehle diese arzneimittelrechtliche Zulassung, sei das anders. Mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit bestehe hier keine Leistungspflicht. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung liege nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Behandlungsgebiet besitze, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden solle.
 

Immunglobuline sind für die Behandlung einer Ganglionitis nicht zugelassen

Dies galt hinsichtlich der ursprünglichen Diagnose beim Kläger nicht. Für die Behandlung einer Ganglionitis war eine Therapie mit Immunglobulinen nicht zugelassen. Für die Behandlung einer Polyneuropathie, wie sie beim Kläger später diagnostiziert worden sei, gebe es demgegenüber aber eine Zulassung.
 
Die ursprüngliche Diagnose einer Ganglionitis sei damit überholt. Tatsächlich leide der Kläger an einer anderen Krankheit. An der neuen Diagnose bestehe auch kein Zweifel. Diese Krankheit habe aber von Anfang an bestanden. Die Ärzte hätten ursprünglich schlicht eine falsche Diagnose erstellt. Damit stehe fest, dass die Krankenkasse den ursprünglichen Anspruch des Klägers auf Sachleistung zu Unrecht abgelehnt habe. Daraus resultiere die Pflicht der Kasse, später die Kosten zu erstatten, die dem Kläger für die Behandlung dieser Erkrankung entstanden waren.
 

Die Ablehnung der Leistung war rechtswidrig

Dass die Krankenkasse bezogen auf die ursprüngliche Diagnose die gewünschte Behandlung nicht hätte übernehmen müssen, spiele dabei keine Rolle. Die Ablehnung der Leistung sei rechtswidrig gewesen. Dies gelte auch, wenn sich erst im Laufe des Verfahrens eine Fehldiagnose herausstelle.
 
Es entspreche der ständigen medizinischen und sozialgerichtlichen Erfahrung, dass eine einmal gestellte Diagnose aufgrund besserer Erkenntnis in der Folge revidiert werden müsse. Das ändere aber nichts an der Krankheit und dem daraus folgenden Bedarf für eine Behandlung. Die Ablehnung der Krankenkasse sei rechtswidrig gewesen und verletze den Kläger in seinen Rechten.
 

Die Kasse kann sich nicht auf Diagnosefehler der Ärzte berufen

Die gesetzliche Krankenversicherung bewege sich in einem System, in dem sie den Versicherten Sachleistungen erbringen, die von zugelassenen Vertragsärzten und Krankenhäusern zur Verfügung gestellt würden. In diesem System können die Kasse sich nicht auf Diagnosefehler der Ärzte und Krankenhäuser berufen, um einen Anspruch der Versicherten auf Erbringung der ihm objektiv zustehenden Leistungen abzulehnen mit der Folge, dass Versicherte die Kosten dann so lange selbst tragen müssten, bis die Fehldiagnose erkannt werde.
 
Das würde den gesamten Verantwortungszusammenhang im Krankenversicherungsrecht auf den Kopf stellen.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Patienten können schließlich keine Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass Ärzte, deren Leistungen die Krankenversicherung bezahlt, fehlerhafte Diagnosen aufstellen. Hat sich an der Krankheit von Anfang an nicht bis auf die Diagnose geändert, muss an Hand der richtigen, neuen Diagnose geprüft werden, welche Leistungen die Krankenkasse erbringen muss.

Wie so oft können dann selbst kleine Unterschiede zu großen finanziellen Konsequenzen führen.

Rechtliche Grundlagen

§ 13 SGB V

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 5 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 4 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.
(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.
(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.
(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.