Telefonische Erreichbarkeit ist ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Copyright by brat82/fotolia
Telefonische Erreichbarkeit ist ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens. Copyright by brat82/fotolia

Beim 1966 geborenen Kläger besteht eine beidseitige hochgradige Schwerhörigkeit. Die Krankenkasse hatte ihm einige Hilfsmittel gewährt, die Kostenübernahme für einen Telefonsender mit Blitzlampe zum Preis von € 139,00 aber abgelehnt. Hierbei handelt es sich um einen Sender, mit dessen Hilfe beim Klingeln des Telefons zusätzlich ein optisches Signal ausgelöst wird. Das LSG verurteilte die Krankenkasse jetzt zur Übernahme der Kosten.

 

Rechtlicher Hintergrund 

Nach dem fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte u.a. Anspruch auf eine Hörhilfe, um Behinderungen auszugleichen. Der Anspruch besteht allerdings nicht für allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens wie etwa Kleidungsstücke oder Zahnbürsten. Zudem darf ein solches Hilfsmittel gleichsam keinen Luxus darstellen. Nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)  muss es bei der vorgesehenen Verwendung des Hilfsmittels um ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens gehen. 

 

Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen haben insoweit ein Hilfsmittelverzeichnis erstellt. In diesem Verzeichnis sind die Hilfsmittel aufgelistet, deren Kosten die Krankenkassen übernehmen müssen.  Allerdings haben die Spitzenverbände der Krankenkassen nach Auffassung des BSG keine gesetzliche Ermächtigung erhalten, durch das Hilfsmittelverzeichnis ihre Leistungspflicht gegenüber den Versicherten im Sinne einer Positivliste abschließend festzulegen. Das widerspreche der Gesetzeslage. Es käme vielmehr darauf an, dass mit dem Hilfsmittel eine Behinderung zumindest mittelbar ausgeglichen werde. 

 

Unmittelbarer und mittelbarer Behinderungsausgleich

Unterschieden wird insoweit zwischen mittelbarem und unmittelbarem Behinderungsausgleich. Unmittelbar ist der Ausgleich, wenn es um den Ausgleich einer ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst geht. Das ist etwa beim Einsatz von Prothesen der Fall. Bei einem mittelbarem Ausgleich wird dagegen nicht ein Teil des Körpers durch einen künstlichen Körperteil ersetzt. Vielmehr geht es darum, die  direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen, etwa durch eine Brille oder ein Hörgerät.

Das BSG hat mehrfach entschieden, dass sich bei einem unmittelbaren Behinderungsausgleich stets ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens handelt. Es geht ja gerade darum, die Einschränkung einer normalen Körperfunktion abzumildern. Die Erhaltung oder die Wiederherstellung einer Körperfunktion sei als solche bereits ein Grundbedürfnis.

Der mittelbare Behinderungsausgleich ist nur ein Basisausgleich

Bei einem mittelbaren Behinderungsausgleich muss die Krankenkasse dagegen nur für einen Basisausgleich sorgen. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist nach Rechtsprechung des BSG die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges. Dem Behinderten soll ermöglicht werden, ein selbstständiges Leben führen. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation sei hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Die Krankenkasse müsse ein Hilfsmittel im Fall des mittelbaren Behinderungsausgleichs daher nur gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere.

 

Das BSG rechnet zu den allgemeinen Grundbedürfnissen ganz elementare Dinge wie Stehen, Sitzen, Liegen oder Hören. Auch die Körperpflege, den Gang zur Toilette oder die Nahrungsaufnahme gehören dazu, sowie ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum. Zur Erschließung eines solchen Freiraums gehört nach Auffassung des BSG auch die menschliche Kommunikation. In einem Urteil von 2010 hatte das BSG entschieden, dass ein schwerhöriger Versicherter daher gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Versorgung mit einer Lichtsignalanlage für die Türklingel haben kann. Der Hörbehinderte würde ansonsten ja nicht mitbekommen, wenn ihn jemand besuchen wolle.

 

Die Versorgung mit Hilfsmitteln muss ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein

Der Versicherte hat allerdings keinen Anspruch auf eine optimale Versorgung. Sowohl beim mittelbaren als auch beim unmittelbaren Behinderungsausgleich kommt es darauf an, dass das Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Wenn es zwei gleichwertige Hilfsmittel gibt, die im Grunde denselben Zweck erfüllen, muss die Krankenkasse nur das kostengünstigere übernehmen.

 

Die gesetzliche Krankenversicherung habe nach Auffassung des BSG nicht für Innovationen aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirkten. Demnach brauche sie keine Hilfsmittel zahlen, die sich nur auf einen besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränkten.

 

Die Begründung des LSG

Die Krankenkasse hatte eingewendet, die Nutzung eines Telefons diene regelmäßig nicht dem mittelbaren Ausgleich des eingeschränkten Grundbedürfnisses nach Kommunikation. Vielmehr ermögliche sie die Kommunikation mit anderen Menschen nur in bestimmten Lebenssituationen. Telefonieren gehöre nicht zu den elementaren Lebensbetätigungen. Auch sei Telefonieren keine zwingende Voraussetzung für eine selbstständige Lebensführung.

 

Dem ist das LSG entgegengetreten. Sowohl das Telefonieren als auch die telefonische Erreichbarkeit gehörten heute zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens. Es mach keinen Unterschied, ob es um die tatsächliche Erreichbarkeit für einen spontanen Besuch ginge. Auch die virtuelle Erreichbarkeit am Telefon sei ein Grundbedürfnis.

 

Der Artikel nimmt Bezug auf folgende Entscheidungen des Bundessozialgerichts:

Rechtliche Grundlagen

§ 33 SGB V

(1) 1Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. 2Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. 3Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. 4Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. 5Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. 6Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. 7§ 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.

(2) 1Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1. 2Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie 1.
nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder
2.
einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus
aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. 3Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. 4Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfaßt nicht die Kosten des Brillengestells.
(3) 1Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. 2Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. 3Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuß zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte. 4Die Kosten für Pflegemittel werden nicht übernommen.

(4) Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach Absatz 2 besteht für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Ausnahmen zulassen.

(5) 1Die Krankenkasse kann den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. 2Sie kann die Bewilligung von Hilfsmitteln davon abhängig machen, daß die Versicherten sich das Hilfsmittel anpassen oder sich in seinem Gebrauch ausbilden lassen.

(5a) 1Eine vertragsärztliche Verordnung ist für die Beantragung von Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. 2Abweichend von Satz 1 können die Krankenkassen eine vertragsärztliche Verordnung als Voraussetzung für die Kostenübernahme verlangen, soweit sie auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. 3§ 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.

(5b) 1Sofern die Krankenkassen nicht auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichten, haben sie den Antrag auf Bewilligung eines Hilfsmittels mit eigenem weisungsgebundenem Personal zu prüfen. 2Sie können in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst vor Bewilligung eines Hilfsmittels nach § 275 Absatz 3 Nummer 1 prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. 3Eine Beauftragung Dritter ist nicht zulässig.

(6) 1Die Versicherten können alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. 2Hat die Krankenkasse Verträge nach § 127 Abs. 1 über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln geschlossen, erfolgt die Versorgung durch einen Vertragspartner, der den Versicherten von der Krankenkasse zu benennen ist. 3Abweichend von Satz 2 können Versicherte ausnahmsweise einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn ein berechtigtes Interesse besteht; dadurch entstehende Mehrkosten haben sie selbst zu tragen. 4Im Falle des § 127 Absatz 1 Satz 4 können die Versicherten einen der Leistungserbringer frei auswählen.

(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.

(8) 1Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. 2Der Vergütungsanspruch nach Absatz 7 verringert sich um die Zuzahlung; § 43c Abs. 1 Satz 2 findet keine Anwendung. 3Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.

(9) Absatz 1 Satz 5 gilt entsprechend für Intraokularlinsen beschränkt auf die Kosten der Linsen.