Verhebetrauma kann Arbeitsunfall begründen. Copyright by auremar/fotolia.
Verhebetrauma kann Arbeitsunfall begründen. Copyright by auremar/fotolia.

Der Kläger arbeitete als Friedhofsmitarbeiter und Bestattungshelfer. Unter anderen ist er für die Abholung von Verstorbenen zuständig. Im August 2016 bekam er den Auftrag, zusammen mit einem Kollegen, den Leichnam einer verstorbenen Frau abzuholen. Die Tote musste vom Bett auf eine am Boden liegende Trage gehoben werden. Der Kläger begab sich an das Kopfende neben das Bett. Sein Kollege sollte die Füße nehmen. Beim Anheben der Leiche verspürte der Kläger ein "Knacken" im rechten Oberarm und einen brennenden Schmerz oberhalb des Ellenbogens. Ein Wulst war sichtbar. Ein erneutes Anheben  der Leiche war ihm nicht möglich.

Noch am Unfalltag begab sich der Kläger in ein Klinikum. Die Ärzte diagnostizierten einen deutlichen Kraftverlust im Bereich der Bizepsmuskulatur, Druckschmerz und einen Muskelbauch am rechten distalen Oberarm. Die Unfallfolgen führten zu einer vierwöchigen Arbeitsunfähigkeit.
 

Versicherungsträger lehnt Arbeitsunfall ab

Mangels äußerer Krafteinwirkung und unklaren Gesundheitserstschadens lehnte der beklagte Unfallversicherungsträger die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Durch die Willens- und Kraftanstrengung bei dem Vorfall habe ein inneres und vom Kläger gesteuertes Geschehen vorgelegen.

Kläger verweist auf Verletzung während seiner Arbeitstätigkeit

Der Versicherte schilderte den Vorfall wie folgt: Beim Anheben des Leichnams habe er arbeitsbedingt eine Zwangshaltung eingenommen. Schließlich habe er seitlich neben einem niedrigen Bett stehend, vornübergebeugt eine 80 kg schwere, ca. 161 bis 171 m lange und ca. 70 cm breite Last am oberen Ende anheben müssen. Dabei habe er den rechten Arm vom Körper weiter weg strecken müssen als den linken Arm, um dabei die Last so anzuheben, dass diese nicht umkippe. Er habe sich während seiner Arbeitstätigkeit verletzt.
Das Reutlinger Sozialgericht (SG) folgte der Auffassung des Klägers. Es stellte einen Arbeitsunfall fest.
 

Verhebetrauma erfüllt gesetzliche Anforderung an Arbeitsunfälle

Die Berufung der Unfallversicherung war erfolglos. Auch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg gab dem Kläger Recht. Das Verhebetrauma, so die Berufungsrichter*innen, erfüllt die gesetzliche Anforderung an Arbeitsunfälle. Ein "von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, hat zu einem Gesundheitsschaden geführt". Die dabei stattgefundene (mechanische) Krafteinwirkung zählt zu den äußeren Ursachen. Die von der Unfallversicherung angenommene "innere Ursache" - dies wären z.B. Kreislaufkollaps oder Herzinfarkt - hat nicht vorgelegen.
 

Keine Differenzierung zwischen nicht versicherten "üblichen" und versicherten "unüblichen" Tätigkeiten

Ein Versicherter, der auf ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung seines Arbeitgebers eine derartige Kraftanstrengung unternimmt und dabei einen Gesundheitsschaden erleidet, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Geschützt sind nach dem Gesetzeszweck alle Verrichtungen, die in einem sachlichen, inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Eine Differenzierung in nicht versicherte "übliche" und versicherte "unübliche" Tätigkeiten gibt es nicht.
Die zeitlich begrenzte, äußere Krafteinwirkung bei dem Anhebeversuch (Unfallereignis) war auch die wesentliche Ursache für diesen Gesundheitserstschaden.
 
 Hier geht es zum Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19.07.2018 - L 6 U 1695/18 - :
 
 

Das sagen wir dazu:

Nicht nur bei Bestattern, auch zum Beispiel bei Krankenpflegekräften, besteht die Gefahr, sich ein Verhebetrauma zuzuziehen.
Wenn ein solches Unfallereignis eintritt, sollte man sich unverzüglich in ärztliche Behandlung begeben und den Unfall zeitnah bei der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) anzeigen.
Bestätigt der Arzt ein Verhebetrauma, versucht die BG häufig, den Unfall mit dem Hinweis abzulehnen, dass zum Beispiel degenerative Veränderungen (Verschleißerkrankungen) ausschlaggebend für das Verhebetrauma seien. In einem solchen Fall sollte Widerspruch/Klage erhoben werden. Dies insbesondere dann, wenn aus der Sicht des Arztes degenerative Veränderungen nicht vorliegen.

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

§ 8 Absatz 1 SGB VII:
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.