Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice kann unfallversichert sein, Copyright by Adobe Stock/Brian Jackson.
Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice kann unfallversichert sein, Copyright by Adobe Stock/Brian Jackson.

 

Der als Gebietsverkaufsleiter im Außendienst tätige Kläger befand sich auf dem Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene häusliche Büro (Home-Office)

 

Erfolgreich vor dem Sozialgericht

 

Ohne vorher zu frühstücken beginnt er dort üblicherweise seine Arbeit. Beim Beschreiten der die Räume verbindenden Wendeltreppe rutschte er aus und brach sich einen Brustwirbel. Die Berufsgenossenschaft (BG) lehnte Leistungen aus Anlass des Unfalls ab.

 

Sie begründete dies damit, dass der Unfallversicherungsschutz in einer Privatwohnung auf dem Weg zum Zwecke der erstmaligen Arbeitsaufnahme erst mit Erreichen des häuslichen Arbeitszimmers beginne.

 

Gegen die Entscheidung der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik erhob der Gebietsverkaufsleiter Klage beim Sozialgericht (SG) Aachen, welches mit Urteil vom 14. Juni 2019 seiner Klage stattgab.

 

Kläger ruft das Bundessozialgericht an

 

Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte die BG Berufung beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) ein. Die Richter*innen des Berufungsgerichts kamen zu einem anderen Ergebnis als das Aachener SG.

 

Mit Urteil vom 9. November 2020 änderte das LSG die Entscheidung des SG ab und wies die Klage ab. Weil die Frage, ob der Weg zur erstmaligen Aufnahme der versicherten Tätigkeit im Homeoffice unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, von grundsätzlicher Bedeutung war, ließ der 17. Senat des LSG die Revision zum Bundessozialgericht zu (Kein Unfallversicherungsschutz auf dem Weg ins Homeoffice).

 

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des materiellen Rechts. In Anbetracht der aktuellen Pandemielage arbeiteten viele Menschen von zu Hause aus. Diese dürften hinsichtlich des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung nicht schlechter gestellt werden als die Arbeitnehmer*innen im Betrieb. Es müsse sich deshalb beim Weg zur erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit im Home-Office in der Privatwohnung um einen versicherten Betriebsweg handeln.

 

Bundessozialgericht gibt der Revision statt

 

Das BSG folgte der Begründung des Klägers und kam unter Aufhebung des LSG-Urteils zu dem Ergebnis, dass der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat, als er auf dem morgendlichen Weg von seinen privaten Wohnräumen in sein häusliches Büro (Homeoffice) beim Beschreiten einer Treppe stürzte und sich an der Wirbelsäule verletzte.

 

Der Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme so das Gericht, war danach als Betriebsweg versichert. Begründet wurde die erfolgreiche Revision des Urteils weiterhin, wie aus der Pressemitteilung des BSG ersichtlich, wie folgt:

 

"Ausnahmsweise ist ein Betriebsweg auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude befinden (Urteil vom 5.7.2016 - B 2 U 5/15 R). Ob ein Weg als Betriebsweg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich auch im Homeoffice nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob dieser bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 9/16 R)."

Pressemitteilung des Bundessozialgerichts von 8. Dezember 2021

 

Für Interessierte: Entscheidung des LSG NRW vom 9. November 2020

 

Lesen Sie auch:

 

Unfallversicherungsschutz im Home-Office ausgeweitet

 

Bundessozialgericht zu Arbeitsunfällen im „Homeoffice“

 

Corona: DGB fordert bessere Absicherung für Beschäftigten

 

 

Das sagen wir dazu:

Das Urteil des Bundessozialgerichts ist ein erfreuliches Zeichen für alle Beschäftigten, die sich derzeit im Home-Office befinden oder in Anbetracht der sich verschärfenden Pandemie demnächst befinden werden.

 

Beschäftigte im Home-Office oft schlechter geschützt

 

Dabei ist das Ergebnis keineswegs selbstverständlich. Das Bundessozialgericht war bisher recht zurückhaltend mit der Anerkennung von Arbeitsunfällen im Home Office. Auch die Vorinstanz hatte sich auf den Standpunkt gestellt, der Weg des Klägers vom Schlafzimmer ins Büro sei nicht von der gesetzlichen Versicherung gedeckt, da es sich nicht um einen Betriebsweg gehandelt habe.

 

In der Praxis hatte dies zur Folge, dass Beschäftigte im Home-Office oft schlechter gestellt waren als ihre Kolleginnen und Kollegen im Betrieb. So hat das Bundessozialgericht im Jahr 2016 den Versicherungsschutz abgelehnt, als die Klägerin von ihrem Home-Office im Dachgeschoss in die Küche gegangen war, um sich dort ein Getränk zu holen (Urteil vom 5. Juli 2016 – B 2 U 5/15 R). Im Betrieb wäre ein solcher Gang versichert gewesen. Gleiches gilt für Gänge von und zur Toilette.

 

DGB erreicht Gleichstellung von Beschäftigten im Home-Office

 

Der DGB hat schon zu Beginn der Pandemie auf diese Ungleichbehandlung hingewiesen. Mit der Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber darauf reagiert. Im Gesetz heißt es jetzt:

 

„Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“

 

Das Urteil des Bundessozialgerichts ist noch zur alten Rechtslage ergangen, weil sich der Unfall vor Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ereignet hat. Dennoch war es gut und richtig, die oben genannte Formulierung ins Gesetz aufzunehmen. Beschäftigte im Home-Office haben damit die Sicherheit, nicht schlechter dazustehen, als wenn sie im Betrieb arbeiten würden.

Rechtliche Grundlagen

§ 8 Abs. 1 SGB VII

(1) 1Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). 2Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. 3Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.