Unfallversicherungsschutz  bei Sturz vor dem Hörakustiker-Geschäft? © Adobe Stock - Comofoto
Unfallversicherungsschutz bei Sturz vor dem Hörakustiker-Geschäft? © Adobe Stock - Comofoto

Die als Fahrdienstleiterin für die Deutsche Bahn tätige Klägerin leidet unter Einschränkungen ihres Hörvermögens. Weil sie deutlich schwerhörig ist, hatte sie mit ihrer Arbeitgeberin schriftlich vereinbart, bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte zu tragen. Vorsorglich sollte sie auch immer Ersatzbatterien mitführen.

Am 12. August 2019 verrichtete die Frau Spätschicht, als ihre Hörgeräte unerwartet ausfielen und sie die Batterien wechseln musste. Daher machte sie sich am Vormittag des folgenden Tages auf den Weg zum Geschäft ihres Hörgeräte-akustikers, um von dort neue Ersatzbatterien zu besorgen. Im Anschluss hieran wollte sie erneut ihre Spätschicht im Stellwerk antreten. Am Bordstein vor dem Geschäft stürzte sie und zog sich einen Bruch am Kopf des Oberarmknochens zu.

Unfallversicherung: Kein Arbeitsunfall – Sozialgericht: Arbeitsunfall

Nachdem die zuständige gesetzliche Unfallversicherung den Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannte, erhob die Frau Klage beim Sozialgericht (SG) Potsdam. Mit Urteil vom 16. September 2020 entschied das SG, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf dem Weg bestehe, den die Frau zurücklege, um Ersatzbatterien für ihre Hörgeräte zu besorgen.

Unfallversicherung legt Berufung ein

Gegen diese erstinstanzliche Entscheidung legte die beklagte Unfallversicherung Urteil Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg ein.

LSG: Hörgeräte oder Brillen sind persönliche Gegenstände und grundsätzlich keine Arbeitsgeräte

Zu einem anderen Ergebnis als die Richter*innen des Potsdamer SG kamen die Berufungsrichter*innen. Auf die Berufung der Unfallversicherung wurde das Urteil des SG Potsdam aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Das LSG begründete seine Entscheidung damit, dass persönliche Gegenstände wie Hörgeräte oder Brillen grundsätzlich nicht zu den Arbeitsgeräten gehören, deren (Ersatz-)Beschaffung versichert ist. Dies gelte auf jeden Fall dann, wenn sie nicht nahezu ausschließlich beruflich genutzt würden. Die Beiziehung ärztlicher Unterlagen und auch die eigenen Abgaben der Klägerin hätten ergeben, dass sie zum Unfallzeitpunkt auch privat auf die Benutzung der Hörgeräte angewiesen gewesen sei.

Unfallversicherungsschutz ist nicht beliebig erweiterbar

Der von der Klägerin begehrte Unfallversicherungsschutz, so das LSG, lasse sich auch nicht aus der mit der Arbeitgeberin getroffenen Nebenabrede herleiten, wonach die Frau bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und Ersatzbatterien mitführen müsse. Durch die Begründung von Nebenpflichten könne der Arbeitgeber den Unfallversicherungsschutz nicht beliebig in den eigentlich privaten Bereich ausdehnen. Allein dem Arbeitnehmer obliege es, funktionsfähig zum Dienst zu erscheinen. Persönliche Einschränkungen habe der Arbeitnehmer in eigener Regie soweit wie möglich zu kompensieren. Hierzu gehöre beispielsweise, eine im privaten Bereich verordnete Sehhilfe oder eben auch ein Hörgerät zu tragen.

Das ausdrückliche arbeitsvertragliche Festhalten dieser Verpflichtung führe nicht dazu, dass Unfälle, die im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Verpflichtung eintreten, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fielen.

Ein besonders enger Zusammenhang mit Arbeitstätigkeit nicht gegeben

Von einer Ausweitung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes könne nur dann ausgegangen werden, wenn von betrieblich veranlassten Vorbereitungshandlungen auszugehen sei, die in einem besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit selbst stünden. Von einem solchen engen Zusammenhang sei in dem zur Entscheidung angestandenen Fall jedoch nicht auszugehen. Um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sei die Klägerin nicht darauf angewiesen gewesen, plötzlich und ohne weiteren Verzug Batterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Da es sich bei dem Kauf von Batterien um die turnusmäßig wiederkehrende Instandhaltung eines Hilfsmittels handele, hätte die Klägerin vorausschauend einen Vorrat einlegen können.

Revision zugelassen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das LSG die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des LSG Berlin-Brandenburg