Missglückter nächtlicher Besuch bei Seminarteilnehmerinnen. Copyright: @Adobe Stock – passiflora70
Missglückter nächtlicher Besuch bei Seminarteilnehmerinnen. Copyright: @Adobe Stock – passiflora70

Der zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens 17-Jährige Kläger machte eine Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft. Im Rahmen dieser Ausbildung fand eine Einführungsveranstaltung in einer Jugendherberge für alle Auszubildenden statt. Der Auszubildende war der einzige männliche Seminarteilnehmer. Am ersten Abend des Seminars zogen sich die Teilnehmer*innen in ihre Zimmer zurück und konsumierten danach heimlich Alkohol. Der Auszubildende hatte zwei Vodka-Orange genossen.

Erlaubterweise besuchte er Mädchen im Nachbarzimmer. Um 23 Uhr war Zapfenstreich. Alle mussten in ihre jeweiligen Zimmer zurück. Der Kläger kam dieser Anweisung zunächst auch nach. Den Mädchen kündigte er an, über das Dach in das benachbarte Zimmer zurückzukommen, um den Abend zu verlängern, was von diesen aber nicht ernst genommen wurde.

Nächtlicher Besuch bei Seminarteilnehmerinnen gescheitert

Der Auszubildende setzte seine Ankündigung in die Tat um. Nach einem Kontrollbesuch des Ausbilders öffnete er das Fenster und kletterte auf das Dach. Er verlor den Halt und stürzte aus etwa acht Metern Höhe in die Tiefe, wobei er sich mehrere Frakturen zuzog. Unter anderem Frakturen des Beckens, der Wirbelsäule und des linken Arms. Nach mehreren Operationen verblieb eine massive Bewegungseinschränkung des linken Arms.

BG lehnt Anerkennung als Arbeitsunfall ab

Auf die zu gewährenden Geldleistungen gewährte die Berufsgenossenschaft (BG) dem Auszubildenden zunächst einen Vorschuss, den sie später, im Rahmen der Ablehnung des Sturzes als Arbeitsunfall, zurückforderte. Die Ablehnung als Arbeitsunfall begründete die beklagte BG damit, dass der Entschluss des Klägers, durch das Fenster zu den Mädchen zu klettern, in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit als Teilnehmer der Ausbildung stehe.

Kläger erstinstanzlich erfolgreich - BG legt Berufung ein

Nach erfolglosen Widerspruchsverfahren erhob der Auszubildende Klage beim Sozialgericht (SG) Reutlingen, welches mit Urteil vom 5. Dezember 2019 den Sturz als Arbeitsunfall anerkannte. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte die BG Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) ein.

LSG bestätigt Entscheidung des SG Reutlingen

Mit Urteil vom 14. Dezember 2021 wiesen die Stuttgarter LSG-Richter*innen die Berufung der BG ab. Der Kläger, so das Berufungsgericht, sei als Teilnehmer der

Ausbildungsmaßnahme während des Einführungsseminars, bei allen Verrichtungen die im inneren Zusammenhang mit der Ausbildung standen, unfallversichert gewesen. Hiervon sei auch das Klettern über das Dach erfasst. Der Sturz sei Folge der alterstypischen Unreife und des in dem Alter typischen gruppendynamischen Prozesses, der durch den maßvollen Alkoholgenuss in Gang gesetzt worden sei.

Über das Dach zu klettern ist zwar unvernünftig, aber nicht fernliegend.

Es erscheine nachvollziehbar, dass der junge Mann den Wunsch verspürt habe, den Abend zu verlängern. Zudem hätten die Mädchen mit ihrem Unglauben an die angekündigte Aktion ("Das machst du sowieso nicht!") den Mann in einen gewissen Zugzwang gesetzt. Die Idee, die Konfrontation mit einer Aufsichtsperson auf dem Flur zu vermeiden, sei ebenso naheliegend. Die daher gewählte Lösung, über das Dach zu klettern, sei zwar unvernünftig und leichtsinnig – aber nicht komplett fernliegend, so das LSG.

Verbotener Alkoholkonsum für die Entscheidungsfindung unbeachtlich

Auch ändere der nach der Hausordnung verbotene Alkoholkonsum nichts an dieser Auffassung. Keine der vernommenen Zeuginnen hätte den Mann als betrunken beschrieben. Im Übrigen habe auch das erstversorgende Krankenhaus keine besonderen Auswirkungen einer Alkoholisierung dokumentiert.

LSG Entscheidung rechtskräftig

Gründe die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zuzulassen sah das LSG nicht als gegeben; mithin das Verfahren im Sinne des klagenden Auszubildenden rechtskräftig abgeschlossen ist.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14.12.2021, Az: L 9 U 180/20: