Früher verwandte man viel Benzol zur Reinigung. Schmierstoffe ließen sich dadurch gut entfernen, für die Gesundheit war das aber schlecht. Copyright by Adobe Stock/ pongmoji
Früher verwandte man viel Benzol zur Reinigung. Schmierstoffe ließen sich dadurch gut entfernen, für die Gesundheit war das aber schlecht. Copyright by Adobe Stock/ pongmoji

Ein saarländischer Arbeitnehmer wollte es wissen. Er hatte eine Tumorerkrankung im Knochenmark (sog. multiples Myelom). Vor etwa zehn Jahren trat seine Erkrankung auf. Während seines gesamten Berufslebens hatte er regelmäßig Kontakt zu Benzol. Nun sollte die Berufsgenossenschaft prüfen, ob bei ihm die Berufskrankheit Nr. 1318 vorliegt.
 

Der 68-Jährige arbeitete viel mit Benzol

Der 68-jährige ist schon seit vielen Jahren Rentner. In jungen Jahren lernte er den Beruf des Malers und Lackierers. Diesen Beruf übte er viele Jahre aus. In den Siebzigerjahren trat er in ein Unternehmen der Automobilindustrie ein. Dort arbeitete er zunächst als Schleifer in der Lackvorbereitung und führte auch sonstige Reparaturschleifarbeiten und Polierarbeiten aus.
 
Neben einer Belastung mit Feinstaub war er durchweg Lack- und Lösemitteln ausgesetzt. Insbesondere die Lösemittel enthielten Benzol. Der Erkrankte sah darin die Ursache seiner Beschwerden. Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft beantragte er deshalb die Anerkennung einer Berufskrankheit.
 

Der Kläger machte die Anerkennung der BK 1318 geltend

Die Berufskrankheitenverordnung sieht dazu die Berufskrankheit Nr. 1318 vor. Darin werden Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol geregelt.
 
Das offizielle Merkblatt zu dieser Berufskrankheit verweist darauf, dass Benzol in praktisch allen fossilen Brennstoffen enthalten ist. Benzol fällt auch bei der Destillation von Kohle und Erdöl an sowie bei der unvollständigen Verbrennung von organischem Material. Schließlich enthalten auch Tabakrauch und Abgase von Kraftfahrzeugen sowie Benzin unterschiedlich hohe Mengen von Benzol.
 

Der Umgang mit Benzol war früher verschwenderisch

Benzol darf heute an Arbeitsplätzen nur in minimaler Konzentration verwandt werden. Das war früher anders. Benzoltriefende Lappen fanden ihren Einsatz in der Reinigung, denn Schmiermittel konnte man dadurch außerordentlich gut entfernen. Kleinteile legte man zur Reinigung auch oft in offene, mit Benzol gefüllte Becken unmittelbar am Arbeitsplatz. Die Luft war dadurch von Benzol getränkt. Dass das nicht gesund war, erfuhren viele Arbeitnehmer*innen erst viel zu spät  - als sie bereits erkrankt waren.
 
Das saarländische Verfahren zeigt, wie schwierig es dann wird, gegenüber der Berufsgenossenschaft nachzuweisen, in „ausreichendem“ Umfang mit Benzol in Kontakt gekommen zu sein. Der*die Betroffene muss nämlich beweisen, dem Benzol über eine bestimmte Dauer und in einer bestimmten Konzentration am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen zu sein.
 

Viele Anerkennungsverfahren leiden an einem Beweisproblem

Das Beweisproblem tritt auch bei vielen anderen Berufskrankheiten auf. Näheres dazu erfahren Sie hier:
Berufskrankheit: Reinigungsmittel verursacht Asthma
Die Berufsgenossenschaft lehnte den Antrag des Saarländers auf Anerkennung der Berufskrankheit Nummer 1318 ab. Er habe nicht nachgewiesen, dass er Benzol im notwendigen Umfang ausgesetzt gewesen sei.
 

10,8 Benzoljahre reichen nicht aus

Er sei während seines Berufslebens nämlich nur einer Einwirkung gegenüber benzolhaltigen Dämpfen in Höhe von 10,8 ppm-Benzoljahren ausgesetzt gewesen. Bei den ppm-Benzoljahren handelt es sich um eine Maßeinheit zur Bestimmung der Benzolaufnahme während des gesamten beruflichen Lebens.
 
Zwar gebe es für das multiple Myelom keine festgelegten Grenzen. Im Rahmen einer „sozialpolitisch beeinflussten Setzung“ sei jedoch eine Grenzdosis von 16-20 ppm empfohlen worden.
 

Das Gericht zieht den gegenwärtige wissenschaftlich-medizinische Stand heran

Das verstehe, wer will. Der erkrankte Saarländer verstand es jedenfalls nicht. Gegen den ablehnenden Bescheid erhob er daher Klage. Nun entschied auch das Landessozialgerichts für das Saarland.
 
Es verwies in seinem Urteil auf die Stellungnahme des saarländischen Gewerbearztes, die die Berufsgenossenschaft eingeholt hatte, und ein Gutachten des Sozialgerichts. Sowohl der Gewerbearzt als auch der Gutachter stimmten mit dem Präventionsdienst der Beklagten überein. Die Einwirkungsdosis beim Kläger sollte nach dem gegenwärtigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht geeignet gewesen sein, die Erkrankung des Klägers zu verursachen.
 
Dem schloss sich das Landessozialgericht an.
 

Benzoljahre sind schwer zu berechnen

Die Benzol-ppm-Jahre oder kurz „Benzoljahre“ werden anhand einer feststehenden Formel berechnet. In die Berechnung fließt die durchschnittliche Belastung der Atemluft oder des Hautkontakts mit Benzol über die Dauer der beruflichen Tätigkeit ein. Daraus ergeben sich die sogenannten „Benzoljahre“.
 
Die Ärzte hätten beim Kläger wenigstens 16 Benzoljahre für die Anerkennung der BK 1318 gefordert, so das Landessozialgericht. Diese habe der Kläger jedoch nicht nachgewiesen. Laut Berechnungen der Sachverständigen lägen bei ihm nur 10,8 Benzoljahre vor.
 

„Benzoljahre“ sind keine richtigen Jahre

Entgegen der sprachlichen Bezeichnung sind dabei keineswegs die Jahre gemeint, in welchen Kontakt mit Benzol bestand. Ein ganz wesentlicher Faktor für die Berechnung der Benzoljahre ist die Höhe des Benzolgehaltes in der Atemluft.
 
Im Verfahren vor dem Landessozialgericht für das Saarland gab es ein erhebliches Beweisproblem. Der Kläger erkrankte nachweislich an einem Tumor des Knochenmarks. Es bestand kein Zweifel daran, dass Benzol, diese Krankheit verursachen kann. Das bestätigte nun auch das Landessozialgericht.
 
Der Kläger hatte Zeit seines Berufslebens Kontakt mit Benzol. Dennoch stellten die Sachverständigen bei ihm nur etwas mehr als 10 Benzoljahre fest. Das reichte nicht aus.
 

Der Berechnung liegt eine wissenschaftlich fundierte Schätzung zu Grunde

Die Zahl beruhte auf einer wissenschaftlich fundierten Schätzung. Die früheren Arbeitsplätze des Klägers existierten nämlich nicht mehr. Insbesondere sind die damals verwandten Arbeitsstoffe heute nicht mehr zugelassen. Deshalb sind keine genauen Messungen mehr möglich.
 
Wissenschaftliche Studien haben über die Jahre hinweg aber für verschiedene Tätigkeiten Durchschnittsbelastungen errechnet. Diese Durchschnittsbelastungen basieren auf Werten, die nicht vollständig belegt sind, aber durch die Kenntnis der Inhaltsstoffe des verwandten Arbeitsmittels und die Dauer der üblichen Belastung am Arbeitsplatz annähernd bekannt sind.
 

Liegen keine Beweise vor, darf die BG Schätzungen heranziehen

Diese Werte legte die Berufsgenossenschaft auch beim Kläger zugrunde. Die ärztlichen Sachverständigen hatten keinen Zweifel daran, dass dieses Vorgehen richtig war. Der Kläger versuchte im Verfahren, weitere Beweise vorzulegen. Dem Gericht war das nicht genug.
 
Obwohl der Kläger nachweislich über viele Jahre hinweg mit gesundheitsgefährdendem Benzol arbeitete und auch eine Krankheit erlitt, die der geltend gemachten Berufskrankheit entsprach, reichten die Nachweise letztlich nicht aus. Das war für den Kläger bitter.
 
Selbst wenn vieles dafür sprach, dass die BK 1318 vorliegen müsste, kam es nach einem schwierigen Rechtsstreit zu einer abschließenden Ablehnung.
 
Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 10. März 2021

Merkblatt zur Berufskrankheit Nummer 1318

Tagungsdokumentation XI. Potsdamer BK-Tage 2016

Das sagen wir dazu:

Ebenso wie die BK 1318 eine bestimmte Zahl von Benzoljahren erfordert, richtet sich beispielsweise die Anerkennung der BK 4103 (Asbeststaublungenerkrankung) nach einer bestimmten, festgelegten Anzahl von Asbestfaserjahren.

Es handelt sich dabei entgegen dem Wortsinn nicht um eine bestimmte Anzahl von Jahren, in welchen die schädigende Exposition stattgefunden haben muss. Hinter den einfachen Begriffen stecken schwierige Berechnungsformeln. Der Laie kann diese nahezu unmöglich verstehen.

Wer in seinem Berufsleben Kontakt zu schädigenden Stoffen hat oder hatte ist daher sehr gut beraten, möglichst frühzeitig sämtliche Unterlagen, Materialien oder sonstige Beweise aufzubewahren, um im Falle einer Erkrankung die Chance zu haben, die notwendigen Nachweise zu führen. Die Beweispflicht im sozialgerichtlichen Verfahren obliegt nämlich dem*der Betroffenen.

Zwar sind Sozialversicherungsträger zur Amtsermittlung verpflichtet. Die notwendigen Tatsachen für diese Ermittlung von Amts wegen muss aber der*die Versicherte beibringen.